Skifahrer am Semmering, aufgenommen am 24. 12. 2020. Ob es Wiener oder gar Favoritner sind, ist unbekannt.

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Österreich befindet sich seit Weihnachten wieder im harten Lockdown. Man kennt sich kaum aus, was noch erlaubt ist und was nicht. Aber Skifahren geht, unter Auflagen und ohne Gastronomie, das haben nach wochenlangem Gezerre um die Öffnung der Skilifte wohl alle mitbekommen. Also packten die Großstädter ihre Kinder und die Rodeln und machten sich auf zum Wiener Hausberg. Am Semmering muss man ja nicht unbedingt Ski fahren. Den Hang runterrutschen oder einfach im Schnee spazieren gehen ist auch nett und vor allem kostengünstiger, da keine Ausrüstung oder gar Liftkarte vonnöten ist.

Auf Facebook ist "Kurier" besorgt.

Der Andrang war groß, das Skigebiet war an mehreren Tagen ausgelastet, meldete die APA, die Zufahrtsstraße musste gesperrt werden. Es ist ja auch kein Wunder, es sind Ferien, und die Kinder müssen mal an die frische Luft. Mit den Abstandsregeln nahmen es die Ausflügler nicht so genau, wird berichtet. Aber diese Bilder kennt man ja aus anderen Skigebieten aus den letzten Dezembertagen: dichtes Gedränge am Skilift, lange Schlangen, Menschentrauben.

Und damit wäre die Geschichte vom Semmering auch schon erzählt, wären da nicht Medien, die immer nach spannenden Geschichten und interessanten Details suchen. "Semmering-Chaos: Die meisten Gäste kamen aus Favoriten" titelte der "Kurier". "Mobilfunkdaten liefern interessante Details", lautet der Cliffhanger.

In der ersten Variante des Artikels "beobachtete" noch Bürgermeister Doppelreiter alleine.

Doch die Details ließen sich dann doch wenig spektakulär an: Die meisten Besucher des Semmeringer Skigebiets kamen aus Wien, weiß der "Kurier" dank der Bewegungsanalysen der Mobilfunkanbieter. "Das Ranking führen neun Wiener Gemeindebezirke an. Favoriten liegt ganz klar vor Floridsdorf und Simmering an erster Stelle", heißt es weiter. Und das ist nun wahrlich keine Überraschung, handelt es sich bei Favoriten doch um den bevölkerungsreichsten Wiener Bezirk. Floridsdorf und Simmering sind dicht dahinter, unter den Top sechs. Aus den bevölkerungsreichsten Bezirken kamen die meisten Besucher.

Doch dann kommt eine interessante "Beobachtung", eine spannende Korrelation hinzu. Bürgermeister Hermann Doppelreiter hat, laut "Kurier", "beobachtet", dass am Sonntag "die Zahl der Gäste mit Migrationshintergrund eine besonders große war". Aha! Jetzt haben wir die Geschichte!

Etwa eine Stunde nach der Veröffentlichung wurde die Beobachtung des Bürgermeisters "präzisiert", lässt der Kurier die Leser wissen.

Die nächste "Die Migranten sind schuld"-Geschichte hatte ich, ehrlich gesagt, erst am kommenden Wochenende erwartet. Da wird es nämlich Bilder vom Grenzübergang Spielfeld geben. Nach dem orthodoxen Weihnachtsfest reisen jene Menschen vom Westbalkan zurück, die ja an der Ausbreitung der Pandemie im Sommer schuld gewesen sein und das Virus "eingeschleppt" haben sollen – behaupteten zumindest Bundeskanzler und Innenminister kürzlich. Aber dank Semmering, Bürgermeister Doppelreiter und "Kurier" wissen wir nun: Nicht nur an der Ausbreitung der Pandemie im Sommer und der schwachen Massentestteilnahme sind Menschen mit Migrationshintergrund schuld, nein, auch das Rodelchaos am Semmering haben sie verursacht.

Und auch diesmal gibt es keine Zahlen, nur "Beobachtungen". Wie denn auch, niemand trägt auf der Stirn "Migrationshintergrund" aufgedruckt. Nur wenige Menschen scheinen diese seltsame Gabe zu haben, sie treffgenau zu erkennen, darunter auch der Semmeringer Bürgermeister Doppelreiter.

Kurz nach dem Erscheinen des Artikels hat der "Kurier" die Passage mit der "Beobachtung" geändert. Nun ließ er dem Bürgermeister und seinen Beobachtungen auch weitere Beobachter beipflichten. In der zweiten Variante des Artikels heißt es: "Das deckt sich laut Bürgermeister Hermann Doppelreiter, Lokalbetreibern und anderen Verantwortlichen am Semmering mit den Beobachtungen von Sonntag, wonach eine große Zahl der Gäste anscheinend auch Migrationshintergrund hatte." Der Titel des Artikels wurde ebenfalls geändert und lautet nun "Mobilfunkdaten zeigen Spitzenzeiten mit mehr als 4.700 Besuchern". Von Favoriten nun keine Spur mehr. War ja auch wirklich "ka gute G'schicht". (Olivera Stajić, 6.1.2021)