Ossof erklärte sich am Mittwoch zum Sieger gegen Amtsinhaber Perdue. Der 33-Jährige wäre der jüngste Senator seit langem.

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Es ist mehr als drei Jahre her, da musste sich Raphael Warnock im Kapitol zu Washington die Hände auf dem Rücken zusammenbinden lassen. Begleitet von anderen Pastoren, hatte er gegen den Versuch protestiert, die Gesundheitsreform Barack Obamas auszuhebeln. Polizisten erschienen, um die Gruppe an das Demonstrationsverbot im Gebäudekomplex des Parlaments zu erinnern.

Drei Vorwarnungen, dann wurde der Baptistenpfarrer aus Atlanta festgenommen. Später, als er für einen Senatssitz kandidierte, durfte das Kapitel in keiner seiner Wahlkampfreden fehlen. Er bewerbe sich, setzte der Reverend die Pointe, weil er diesen wunderbaren Polizisten noch einmal die Gelegenheit geben wolle, ihn zu eskortieren. "Aber diesmal nicht ins Gefängnis, sondern zu meinem Büro."

Am frühen Mittwochmorgen (Ortszeit) stand so gut wie fest, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen wird. Ein amtliches Endergebnis gab es zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht, doch angesichts eines kaum noch aufzuholenden Vorsprungs nach Auszählung von 98 Prozent der abgegebenen Stimmen erklärten die amerikanischen Nachrichtensender den 51-Jährigen zum Sieger des Duells mit Kelly Loeffler, der republikanischen Amtsinhaberin. Und damit hatte Georgia Geschichte geschrieben.

Georgias erster schwarzer Senator

Der Pfarrer der Ebenezer Baptist Church, jener Kirche, an der einst Martin Luther King predigte, wird als erster Afroamerikaner überhaupt aus dem "Peach State" in den US-Senat einziehen. Wohlgemerkt, aus einem der alten Südstaaten, die sich von der Union abspalteten und einen Bürgerkrieg in Kauf nahmen, um die Sklaverei über die Zeit retten.

Aus einem Staat, den die Republikaner zu einer ihrer Hochburgen ausbauten, nachdem der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson die Bürgerrechtsgesetze durchgesetzt hatte und konservative Südstaatler aus Protest zur Grand Old Party, also den Republikanern, übergelaufen waren.

Emotionale TV-Rede von Warnock

Um Geschichte ging es denn auch, als sich Raphael Warnock noch in der Nacht von seinem Homeoffice an die Wähler wandte. In emotionalen Worten sprach er von seiner Mutter, die im Teenager-Alter "anderer Leute" Baumwolle pflückte, nun aber, mit 82 Jahren, für ihren jüngsten Sohn, das elfte von zwölf Kindern, als Senatsanwärter stimmen konnte.

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Warnock hielt am Mittwoch eine emotionale Siegesrede.
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"Heute haben wir bewiesen, dass mit Hoffnung, harter Arbeit und Menschen an unserer Seite alles möglich ist", beschwor er die Aufstiegschancen Amerikas. Jeden, der schwer zu kämpfen habe, ob er ihn gewählt habe oder nicht, wolle er wissen lassen: "Ich höre euch, ich sehe euch, an jedem Tag im Senat werde ich für euch und eure Familien kämpfen." Dem linken Flügel seiner Partei zuzurechnen, gehört der Geistliche zu jenen Demokraten, die mahnen, sich stärker der Sorgen einer verunsicherten Arbeiterschaft anzunehmen, um Populisten vom Schlage Donald Trumps das Wasser abzugraben. Weit oben auf seiner Agenda steht die Forderung nach einem Gesundheitssystem, mit dem ausnahmslos alle Amerikaner krankenversichert sind.

33-jähriger Ossoff gegen 71-jährigen Perdue

Der Ausgang des zweiten Rennens, zwischen dem Republikaner David Perdue und dem Demokraten Jon Ossoff, war zunächst noch offen – am Abend sahen die großen TV-Sender aber auch Ossoff als Sieger. Gewinnt dieser, ein 33-jähriger Produzent von Dokumentarfilmen, wirklich, ist er seit vier Dekaden der Jüngste, der den Sprung in die Senatskammer schafft.

Ein genauerer Blick auf die vorläufigen Resultate offenbart, wo Perdue vor allem Federn lassen musste. In Cobb County, einem Landkreis am Rande Atlantas, der für ein gepflegtes Mittelschichtmilieu steht, kam er gerade einmal auf 44 Prozent der Stimmen. 2014, als sich der damalige Unternehmensmanager zum ersten Mal für ein Senatsmandat bewarb, waren es noch rund 55 Prozent gewesen.

Perdue verlor bei Mittelschicht

Wie das Beispiel zeigt, dürfte sich wiederholt haben, was Trump bereits im November den Sieg in Georgia kostete. Weiße Mittelschichtwähler waren von der Rhetorik des Präsidenten dermaßen abgestoßen, dass sie Joe Biden den Vorzug gaben, obwohl sich viele eher mit den Republikanern identifizieren. Dass Trump seine Niederlage partout nicht anerkennen will und sich mit verzweifelten Manövern zum Sieg zu mogeln versucht, könnte etliche veranlasst haben, seiner Partei nun erst recht einen Denkzettel zu verpassen.

Ersten Analysen zufolge profitierten sowohl Warnock als auch Ossoff zudem von einer ungewöhnlich hohen Beteiligung afroamerikanischer Wähler, die zu mobilisieren sich Initiativen wie das New Georgia Project zum Ziel gesetzt hatten. Sollten sich beide durchsetzen, käme es im Senat zu einer Pattsituation von 50 zu 50 Sitzen. Da die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris ein solches Patt mit ihrer Stimme auflösen kann, hätten die Demokraten de facto die Mehrheit. Da sie auch das Repräsentantenhaus kontrollieren, würden den Konservativen die Machthebel fehlen, um Biden auszubremsen. (Frank Herrmann aus Washington, 6.1.2021)