Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache kann nach wie vor auf viele Unterstützer im Umkreis der Ermittlungen zählen.

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17. Mai 2019: Heimlich aufgenommene Korruptionsfantasien von Heinz-Christian Strache flimmern über Österreichs Bildschirme. Es folgen das Ende der türkis-blauen Koalition, die Abwahl von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) durch den Nationalrat und zahlreiche Ermittlungen.

In Haft befinden sich anderthalb Jahre später allerdings keine der Korruption verdächtigten Politiker oder Manager, sondern der mutmaßliche "Regisseur" des Ibiza-Videos: der Sicherheitsberater J. H., der kurz vor Weihnachten in Berlin festgenommen worden ist. Ihm droht nun die Auslieferung nach Österreich, die sein Anwalt Johannes Eisenberg vehement bekämpft – im Notfall auch mit einem Antrag auf Asyl in Deutschland.

An sich handelt es sich bei dem juristischen Prozedere um eine Formalität: Die deutsche Justiz vertraut dem EU-Nachbarstaat Österreich, dass hierzulande rechtsstaatliche Prinzipien hochgehalten werden. Ist das Delikt, dessentwegen Österreich die Auslieferung begehrt, auch in Deutschland strafbar, wird dieser stattgegeben. Es gibt nur einen Haken: Weder die Erstellung noch die Verbreitung des Ibiza-Videos seien aus Sicht der deutschen Justiz strafbar gewesen. Im Unterschied zu Vorwürfen des Drogenhandels und der Erpressung – die im Auslieferungsantrag zwar eine prominente Rolle spielen, aber laut Verteidigung eine fragwürdige Entstehungsgeschichte haben.

So mischten sich von Beginn an Strache-Unterstützer und Lobbyisten in die Ermittlungen ein. Zur Wahrheitsfindung wollen nur die wenigsten Zeugen und Beschuldigten beitragen. Vielmehr spielen private und berufliche Rachegedanken, politische Faktoren und finanzielle Motive eine Rolle. In mehreren Jahrzehnten Ermittlungen im Bereich organisierter Kriminalität seien ihm nie derartige Manipulationsversuche von außen begegnet, sagt ein erfahrener Ermittler. Es sind oft Methoden der Unterwelt, die hier auf die ganz große Politik getroffen sind.

Ermittler an Strache: "Die Politik braucht dich"

Die Probleme der Ibiza-Ermittlungen begannen ganz am Anfang. Wer eines Verbrechens verdächtigt wird, muss darauf vertrauen, dass die Polizei unvoreingenommen ermittelt. Bei den Ermittlungen gegen die Ibiza-Hintermänner spielte anfangs ein Polizist eine prominente Rolle, der sich offen zu Heinz-Christian Strache bekannte. "Lieber HC, ich hoffe auf einen Rücktritt vom Rücktritt", schrieb der Beamte Niko R. wenige Stunden nach dem Erscheinen des Ibiza-Videos an den einstigen Vizekanzler. "Die Politik braucht dich!" Wenige Tage später wurde Niko R. Teil der Soko Tape, die für die Suche nach den Video-Drahtziehern gebildet worden ist. Kurz darauf wurde diese auch beauftragt, Korruptionsermittlungen bezüglich der Inhalte des Ibiza-Videos zu führen.

Wofür war Drogenfahnder Niko R. zuständig? Er verfasste den ersten Anlassbericht in der Causa und vernahm Zeugen, auf deren Aussagen die Drogenvorwürfe gegen Ibiza-"Regisseur" J. H. basieren. Er befragte Strache und die Familie Gudenus sowie eine Gruppe von Personen, die Strache bei seinen "privaten" Nachforschungen zum Ibiza-Video unterstützten. Und R. kommunizierte weiterhin per SMS mit Strache, angeblich als eine Art "Lockvogel". Nebenbei verärgerte R., der einst in einem niederösterreichischen Ort für die ÖVP kandidierte, auch noch die WKStA, weil er in der sogenannten Schredder-Affäre keine Geräte des damals verdächtigen Mitarbeiters von Kanzler Kurz sicherstellte.

Warum gelangte R. in die Soko? "Uns war mit Blick auf die Akteure von Beginn an klar, dass die Ermittlungen in Richtung Suchtmittel gehen können", sagt ein hochrangiger Beamter. In diesem Bereich habe R. als Experte gegolten, weil er beispielsweise erfolgreich gegen einen prominenten heimischen Popstar ermittelt hat. Auch in der Soko lieferte R. rasch Ergebnisse – allerdings mit fragwürdigen Methoden. Im September 2019 zog man die Notbremse, R. verlässt die Ermittlungen. Später entdeckte man, dass er nicht nur ÖVP-Kandidat und Strache-Fan war, sondern auch vor Jahrzehnten bei einem Glücksspielunternehmer gearbeitet hatte, gegen den im Zusammenhang mit Ibiza ebenfalls ermittelt wird.

Ermittlungen "durchseucht mit Strache-Verbündeten"

Unterstützt wurden Strache und Gudenus, die Hauptprotagonisten des Ibiza-Videos, zu diesem Zeitpunkt schon längst von einer Schar loyaler Unterstützer. Beispielsweise vom Glücksspiellobbyisten Gert Schmidt, Betreiber des Blogs "EU-Infothek". Ermittlungsunterlagen zeigen, dass Schmidt knapp vor dem Ibiza-Video intensiv versucht hatte, über Gudenus die freiheitlichen Positionen in Sachen Glücksspiel zu beeinflussen. Ab dem 8. Mai 2019 tauschten die beiden hunderte Chatnachrichten aus. Nach dem verhängnisvollen 17. Mai 2019 folgte "ein intensiver Austausch über das 'Ibiza-Video' und die Ausforschung der 'Hintermänner', der nur noch gelegentlich von glücksspielrelevanten Nachrichten unterbrochen wurde", fasst die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zusammen.

Es wirkt, als würde Schmidt Gudenus "beraten". Dessen Ehefrau Tajana bezeichnete den Glücksspiellobyisten dann als "unseren Detektiv, den wir nicht bezahlen". Für andere Tätigkeiten im Glücksspielsektor erhielt Schmidt viel Geld von der Novomatic, die durch das Ibiza-Video ins Rampenlicht gerückt war. "Novomatic zahlt alle", sagte Strache dort – was er und Novomatic später von sich wiesen. Klar ist aber, dass die Causa Casinos rund um angebliche Politdeals im Glücksspielbereich ohne das Ibiza-Video nie so prominent geworden wäre – und dass Novomatic dadurch viel Schaden genommen hat.

Schmidt sagt, dass sein Lobbying bei Gudenus nicht im Auftrag der Novomatic erfolgt war, diese "war auch darüber nicht informiert". Er kämpfe gegen das illegale Glücksspiel und schicke "immer wieder Schriftsätze an wesentliche Politiker und Behörden, auch an Medien". Gudenus sagt, er sei "kein Motivforscher" und könne nicht beurteilen, für wen Schmidt lobbyiert hat.

In den kommenden Monaten wird Schmidts Blog "EU-Infothek" mit zahlreichen exklusiven Meldungen bezüglich der Hintermänner der Causa auffallen – allerdings auch mit falschen Spuren und medienrechtlichen Prozessen. Und Schmidts Firmen werden zwei Männer bezahlen, gegen die im Ibiza-Komplex ermittelt wird.

Die V-Leute

Edis S. und Slaven K. waren bei der Polizei keine Unbekannten: Beide arbeiteten als Informanten im Bereich organisierte Kriminalität. Laut seinem Anwalt Timo Gerersdorfer habe K. der Polizei geholfen, "hunderte Kilo Suchtgift von der Straße zu holen". Nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos prahlten sie, ebenso wie der berüchtigte "Sicherheitsexperte" Sascha W., mit ihrer Bekanntschaft mit den Ibiza-Leuten.

"Geführt" wurden die drei Informanten einst von einem weiteren Polizisten, der sich bei der freiheitlichen Polizeigewerkschaft engagierte. Dieser fragte Slaven K. laut dessen Aussagen im Ermittlungsakt, ob er Zugang zum Video hat, weil man es "an Strache abgeben" möchte. Waren das private Gefälligkeiten eines blauen Polizisten?

Der blaue Polizist tauchte bei Treffen mit Verdächtigen gemeinsam mit einem Heeresangehörigen auf: Dieser wurde von Strache als "sein Agent" bezeichnet. Der nahm heimlich – also mutmaßlich illegal – ein Gespräch mit Slaven K. auf und schickt es an Strache-Fan Niko R. von der Soko Tape: "Aufnahme von heute gemäss Absprache bka (Bundeskriminalamt, Anm.) zu deiner Verwendung". Darüber informiert Niko R. dann seine Vorgesetzten. Die Staatsanwaltschaft entscheidet einerseits, das Transkript in den Akt zu nehmen; andererseits wird ein Verfahren wegen heimlicher Tonbandaufnahme eingeleitet.

Deutlich wird, dass in den unabhängigen Ermittlungen ein Netzwerk mitmischt, das Strache unterstützt. Hat Glücksspiellobbyist Schmidt Informanten bezahlt? Er selbst sagt: "Nein. Informationshonorare würden auch dem Redaktionsgeheimnis unterliegen." Aber: "Diese von Ihnen genannten Personen waren seit etwa einem Jahrzehnt auch für diverse österreichische Behörden tätig. Aus dieser (staatlich anerzogenen) Gewohnheit heraus sind derartige Personen nicht gewillt, ohne Honorar Informationen – auch nicht an Medien – weiterzugeben."

Strache sagt, er kenne den Heeresangehörigen aus der blauen Gewerkschaft. "Er hat sich selbst als Informant angeboten", erklärt Strache. Bezahlt habe er keinen seiner Unterstützer. Auch auf den Aussagen dieser Personen basieren Vorwürfe, derentwegen der mutmaßliche Ibiza-Hintermann J.H. nun festgenommen wurde und ausgeliefert werden soll.

Ermittlungen im Drogenmilieu

Konkret geht es in Haftbefehl und Auslieferungsbegehren um Delikte der Unterwelt: Suchtgift und Erpressung. Die Ibiza-Ermittlungen unter der Leitung des Staatsanwalts, eines Spezialisten für organisierte Kriminalität, wurden von Beginn an großflächig angelegt: Man befragte verurteilte Dealer, Polizeispitzel, Prostituierte. "Bei Suchtgiftverfahren ist es relativ normal, dass Zeugen selbst Konsumenten sind", sagt ein Ermittler. Anders könne man in diesem Milieu nicht ermitteln.

In dieser Szene waren auch die Ibiza-Hintermänner beruflich unterwegs, etwa zum Aufdecken von Zigarettenschmuggel oder Industriespionage. Ein ehemaliger Geschäftspartner war der Erste, der den Vorwurf des Drogenhandels gegen J. H. aufbrachte – wohl aus persönlichen Rachemotiven, wie man auch bei der Soko erkannte. Dennoch sind die belastenden Aussagen und Indizien gegen Ibiza-Drahtzieher J. H. nicht von der Hand zu weisen – ebenso wie eine frühere Verurteilung im Bereich der Suchtgiftkriminalität. Angezweifelt wird jedoch die Qualität der Zeugen- und Beschuldigtenaussagen, die immer wieder abgeändert wurden.

Ganz ähnlich ist das beim zweiten großen Vorwurf gegen J. H., bei der Erpressung. Die Verteidigung bezeichnet diesen als "besonders direkt im Tatbestand der politischen Verfolgung angesiedelten und zugleich besonders dreist von Niko R. konstruierten Vorwurf". So soll Slaven K., der Polizeispitzel, nach der Veröffentlichung von Ausschnitten in Spiegel und SZ versucht haben, das Video an Strache zu verkaufen – ohne im Besitz des Videos zu sein. Dazu fand auch ein Treffen zwischen Straches Anwälten, seinem Unterstützerkreis und Slaven K. statt.

Auch hier ist die Faktenlage verwirrend: Strache forderte selbst mehrfach, das Video solle in ganzer Länge veröffentlicht werden. Im Herbst 2019, weit nach dem angeblichen Tatzeitpunkt der Erpressung, dementierte der einstige Vizekanzler im "Kurier", je erpresst worden zu sein. Straches Anwälte schrieben in einem Gedächtnisprotokoll zum angeblichen "Erpressungstreffen", dass Strache das Video nie kaufen wollte.

Heute will sich Strache "aus ermittlungstaktischen Gründen" nicht dazu äußern, ob er erpresst wurde. Eine Ausstrahlung des ganzen Videos kann aus seiner Sicht "schon aus rechtlichen Gründen" nicht erfolgen. Strache hätte sich jedoch gewünscht, dass "SZ" und "Spiegel" mehr angeblich ihn entlastendes Material gezeigt hätten.

Die Krux der Soko Tape

Trotz alldem konnte die Soko Tape schon große Ermittlungserfolge verzeichnen. Das Netzwerk aus Bekannten und ehemaligen Mitarbeitern der Ibiza-Hintermänner wurde großräumig dokumentiert; eine Kopie des Ibiza-Videos in einer Wohnung in Wiener Neustadt gefunden.

Durch die fragwürdigen Ermittlungsmethoden von Niko R. hat sich die Soko allerdings angreifbar gemacht. Noch im U-Ausschuss verteidigte Soko-Chef Andreas Holzer seinen einstigen Mitarbeiter als "einen der besten Männer"; auch der Staatsanwalt soll von ihm geschwärmt haben. Holzer selbst werden von der Verteidigung des Ibiza-Drahziehers Unvereinbarkeiten vorgeworfen: Als der mutmaßliche spätere Ibiza-Video-Anbieter und Wiener Anwalt R. M. im Jahr 2015 im Auftrag von Straches Bodyguard belastendes Material über den damaligen FPÖ-Chef an die ÖVP verkaufen wollte, leitete man ihn dort an Holzer weiter, der "sehr vertrauenswürdig" sei. Die damals übermittelten Informationen seien laut Polizei jedoch zu vage gewesen, um die Polizei tätig werden zu lassen – außerdem soll Straches Bodyguard viel Geld vom Innenministerium sowie den Abschluss der Ermittlungen vor der Wien-Wahl verlangt haben.

Holzer soll nun zum neuen Leiter des Bundeskriminalamts werden – mitverantwortlich dafür dürften auch Ermittlungserfolge der Soko Tape sein. Innerhalb der Polizei gilt Holzer als beliebt und kompetent – auch weil er sich loyal vor seine Mitarbeiter wie beispielsweise Niko R. stellt.

Plan B: Asyl

All das macht die Ermittlungen der Soko Tape zu einem Labyrinth, in dem sich kaum jemand auskennt. Entwirren muss die vielen Fäden nun das Kammergericht Berlin, das über die Auslieferung von J. H. zu entscheiden hat. Sollte Berlin den heimischen Behörden grünes Licht geben, will J. H.s Verteidiger Johannes Eisenberg jedenfalls per Eilantrag vor das deutsche Bundesverfassungsgericht ziehen, um Asyl für J. H. zu erwirken. Im Gegenzug überlegt man im Bundeskriminalamt, J. H.s Anwalt wegen Verleumdung anzuzeigen. Die Causa Ibiza steht also noch lange nicht vor ihrem Ende – für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Fabian Schmid, 8.1.2020)