Sieht sich von Reptiloiden und Vampiren bedroht: Trump-Fan, Verschwörungstheoretiker und rechtsextremer Schamane Jake Angeli alias QShaman.

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Die letzte Zuflucht des Schurken ist bekanntlich der Patriotismus. Je mehr demonstrativ mit der Landesflagge herumgewachelt wird, desto schriller schrillen sämtliche Alarmglocken. Überzogener Stolz auf das eigene Land wird von politischen Eliten immer dann als höchstes Gut einer Nation verkauft, wenn etwas verdeckt werden soll. Als beliebtes Beispiel sei etwa genannt, dass ein Land am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder moralischen Abgrund steht.

Insofern war eines nur folgerichtig. Zum Ende einer in jeder Hinsicht mindestens einzigartigen US-Präsidentschaft wurde nun – nach vier Jahren voller Lügen, Betrügereien, Alternative und Fake-News sowie einigen dazwischengeschobenen Mauscheleien mit verfreundeten Diktatoren und Golfwochenenden in Florida – das Kapitol in Washington von einem etwas milchgesichtigen Mann mit dem Star-Spangled Banner in der Hand gestürmt.

Selbsternannte Patrioten treten damit ihr eigenes Land, auf das sie angeblich so stolz sind, in den Schmutz. Speziell bei dem Mann, der auf den ersten Blick aussieht wie aus einer Westernklamotte in den Anfangszeiten des Tonfilms, kommt von den Symbolen her noch einiges zusätzlich zusammen.

Die Fellhaube mit den Hörnern mag erst einmal auf die amerikanischen Ureinwohner verweisen. Möglicherweise zielt der junge Mann namens Jake Angeli, der sich laut Social Media "QShaman" nennt und als wichtiger Influencer in der wissenschaftlich nicht vollständig untermauerten QAnon-Verschwörungstheoretiker-Szene gilt, ja auf eines ab: Hier will sich einer im US-Senat verstärkt und mit Gewalt für die Rechte ethnischer Minderheiten einsetzen. Und auch die chauvinistische Fingerfarbenmalerei der US-Flagge im Gesicht schreit nach inbrünstiger Heimatliebe eines "proud boy". Er ist ein guter Junge.

Nordische Götter

Darunter auf der nackten Heldenbrust feiern allerdings nordische und germanische Götter die Entdeckung der Neuen Welt und der dortigen indigenen Bevölkerung im zweiten Teil der sechsten Staffel der Fernsehserie "Vikings". Die drei auf die Heldenbrust tätowierten, miteinander verschränkten Dreiecke stellen den "Valknut" dar, den in der internationalen rechtsextremen Szene überaus beliebten "Wotansknoten". Er steht für Kampf und Tod – oder Tod im Kampf. Es handelt sich um ein sehr kräftiges Symbol, das bei QShaman darunter noch von einem während der flächendeckenden Tätowation offensichtlich etwas aus der Form geratenen "Thors Hammer" bestärkt wird. Auch der nordische Donnergott Thor wird in rechtsextremen und völkischen Kreisen gern als Symbol der Stärke und als Gegenstück zum Kreuz der Christen verehrt.

Das Kreuz führt uns zum christlichen Kulturverein Ku-Klux-Klan und in die Südstaaten. Die Flagge der Konföderierten wurde parallel zum Star-Spangled Banner und zu Trump-Flaggen aus der Fankurve irgendeines Flugfelds im Mittleren Westen ebenso ins Kapitol getragen, wie man draußen vor der im Gegensatz zu Black-Lives-Matter-Demonstrationen mindestens rücksichtsvollen Polizei auch mit Photoshop das Konterfei des scheidenden US-Präsidenten auf ein Transparent des Westernhelden John Wayne kopierte. Man liest "Don Wayne", man ist erstaunt. Möglicherweise hat die Welt einen derart symbolisch verwirrten Mob noch nicht gesehen.

Irgendwie geht dann aber doch alles zusammen. John Wayne steht genau für jene Rosstäuscher- und Wunderheiler- und Song-and-Dance-Man-Kultur, die seit Beginn der Entertainment-Industrie in den Ministrel-Shows des 19. Jahrhunderts mehr vortäuscht, als sie einzuhalten imstande ist.

Säbelrasseln

Mit Donald Trump, dem heldenhaften Kämpfer gegen die Reptiloiden und die blutsaugende Kultur der US-Elite, verbindet John Wayne neben rechtem Gedankengut auch, dass beide zwar in Film und Fernsehen (und natürlich aktuell auf Twitter) mit dem Säbel gegen Kommunisten, Sozialisten und überhaupt alle rasseln, bei denen der Daumen rechts zu finden ist. Allerdings haben beide Volkshelden nie ihren Militärdienst geleistet.

Den sogenannten Mob, der in Washington, D.C., nun aus den großen Weiten dieser großen und nicht nur bezüglich der Wahlen noch immer auf dem Rücken der Pferde ruhenden Nation (teilweise bewaffnet) herbeiströmte, hat man mit Argumenten längst verloren. Endgültig, wie es scheint. Wenn man vor den Herausforderungen und Zumutungen einer postfaktischen Welt einmal die endgültige Flucht ins Obskurantentum des Internets und der sozialen Aluhut-Medien angetreten hat, ist man anscheinend tatsächlich nicht mehr zu retten. Ab dann kann man auch "Hustlern" wie Donald Trump als vermeintlichem Retter der einfachen ehrlichen Leute bis hinein ins Machtzentrum von Washington folgen.

Hausfriedensbruch mit Todesfolge als Ultima Ratio. Oder wie es schon die große US-Hinterwäldler-Chronistin Flannery O’Connor in den 1950er-Jahren auf den Punkt brachte: Die Wahrheit verändert sich nicht entsprechend unserer jeweiligen Fähigkeit, diese zu verdauen. Man muss sie erst einmal erkennen – oder anerkennen. So sad. (Christian Schachinger, 7.1.2021)