Dass die Polizei mit Blaulicht zu seinem Gemeindebau kam, war für Angeklagten S. "nix Neues". Dass er nun selbst vor Gericht sitzt, dagegen schon.

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Wien – "Bekennen Sie sich schuldig, nicht schuldig oder teilschuldig?", stellt Richter Andreas Hautz die obligatorische Frage an Justin S., der wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung an einem Beamten angeklagt ist. "Nicht schuldig. Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht hätte", erklärt der unbescholtene 18-Jährige ruhig.

Es geht um einen Polizeieinsatz am Abend des 25. Oktobers. Die Geschichte aus dem Gemeindebau in Wien-Hernals weist aber ungewöhnliche Aspekte auf, wenn man dem Angeklagten und den Zeugen glaubt. Und sie beginnt demnach schon vor dem damaligen Erscheinen des Angeklagten.

Zeuge T., 50 Jahre alt, schildert die Genese: "Wir sind von unseren Trauzeugen heimgegangen. Im Hof hat dann ein Nachbar meine Frau niedergestreckt und ist geflüchtet. Wir haben sofort die Polizei gerufen", erinnert sich der Angestellte.

Angebliches Opfer wurde festgenommen

Die kam auch, verhielt sich aber laut T.s Darstellung anders als gedacht. "Die wollten nicht zum Nachbarn gehen, sondern von uns Ausweise. Als meine Frau sagte: 'Nehmt endlich den Scheißtrottel fest', haben die Polizisten gesagt, sie ist jetzt festgenommen, und haben sie zu Boden gebracht", berichtet der Zeuge merklich erregt.

Da seine Frau nicht nur an Asthma leidet, sondern auch einen Herzschrittmacher hat, forderte T. lautstark nach der Rettung. "Darauf hat einer der Beamten gesagt: 'Du hoitst jetzt die Goschn, sonst bist da nächste, der do liegt.'"

Kurz zuvor muss auch der Angeklagte in den Hof gekommen sein. Er erzählt die Geschichte so: "Ich habe aus dem Fenster geschaut, Polizei gesehen und mir gedacht: 'Nix Neues'", erzählt der Lehrling Richter Hautz. "Wie meinen Sie das?", wundert der sich. "Na ja, es gibt in der Gegend immer wieder Polizeieinsätze."

Angeklagter wollte beruhigen

Dann hörte er allerdings in dem Tumult eine langjährige Freundin schreien – die Tochter der Festgenommenen. S. ging also hinunter. "Ich wollte, dass sich die Situation beruhigt. Die Mutter ist auf dem Boden gelegen, Herr T. war aufgebracht. Ich habe ihn zurückgehalten", versichert der Teenager.

"Plötzlich wollten die Beamten meinen Ausweis." – "Warum?", fragt der Richter nach. "Ich habe meiner Meinung nach nichts falsch gemacht", kann S. es ihm nicht erklären. "Ich habe gefragt, wo drinsteht, dass ich meinen Ausweis herzeigen muss", schildert S. den weiteren Verlauf. "Ich habe keine Antwort bekommen, der Beamte hat sich weggedreht."

In der Version des Angeklagten sei er dann an der Hauswand bei der Stiege elf gestanden, als mehrere Beamte ihn bedrohlich umringten. "Ich habe den Arm zur Seite gehalten, um Abstand zu halten. Herr T. hat gesagt, ich soll mitkommen, als ich mich bewegt habe, hat mich der eine Polizist in den Schwitzkasten genommen, und vier, fünf Beamte haben mich auf dem Boden fixiert."

"Ich wollte nur, dass ich Luft bekomme"

Er habe in der Situation Todesangst gehabt, da auch er an Asthma leide. "Ich wollte nur, dass ich Luft bekomme. Mehr wollt ich nicht", beteuert er. Daher habe er versucht, sich aus der Fixierung zu lösen. Aber: "Ich habe keine Beamten beschimpft, und ich habe keine aktiven Schlagbewegungen gemacht."

Diagnostiziert ist allerdings, dass Revierinspektor W. einen glatten Nasenbeinbruch erlitt. "Woher hat er den?", will Richter Hautz vom Angeklagten wissen. "Ich kann mir das nicht erklären", versichert S. und beteuert, so auf dem Boden festgehalten worden zu sein, dass er nicht einmal seine Füße bewegen konnte. Auch für Zeuge T. ist es "ein Ding der Unmöglichkeit", dass Nachbar S. für den Nasenbeinbruch verantwortlich ist. Außerdem habe danach keiner der Beamten gesagt, er sei verletzt, man habe auch nichts gesehen, erinnert er sich.

Knochenabsplitterung und Schock

T. sagt allerdings auch, dass der Angeklagte sich "gewehrt" habe, als er am Boden lag. "Wie?", fragt der Richter daher. "Na ja, er muss sich ja wehren. Wie man sich halt wehrt, er hat versucht, sich zu befreien", antwortet der Zeuge. Er legt auch noch einen Befund vor, dass seine Gattin bei der Festnahme eine Knochenabsplitterung am Ellbogen erlitten habe und wegen des Schocks nun in psychologischer Behandlung sei.

Revierinspektor W., der Polizist mit dem Nasenbeinbruch, liefert bei seiner Zeugenaussage eine deutlich divergierende Version der Ereignisse. Er und sein Kollege seien als Verstärkung gerufen wurden. "Was war der Einsatzgrund?", fragt Hautz. "Wir sind zur Festnahme einer Dame unterstützend zugefahren", erklärt der Beamte.

"Die Stimmung im Innenhof war relativ geladen", erinnert er sich. Dass die Beamtshandelte angeblich eigentlich das Opfer einer Attacke war, wusste er nicht. Er und seine Kollegen hätten die Situation seiner Darstellung zufolge dann wieder beruhigt gehabt, als der Angeklagte dazu kam.

"Ich zeig euch Scheißkiberern sicher keinen Ausweis"

"Er hat die Kollegen beleidigt und sich dann aktiv in die Amtshandlung eingemischt", behauptet der Zeuge. S. sei zunächst abgemahnt worden, dann sei ihm mit einer Anzeige angedroht worden, und schließlich sei er weggewiesen worden. Er ging nicht, die Forderung nach einem Ausweis sei mit "Ich zeig euch Scheißkiberern sicher keinen" quittiert worden.

Nach W.s Schilderung sei dann bei der Wand die Festnahme ausgesprochen worden, worauf S. zunächst versucht habe, einen anderen Polizisten zu schlagen und dann W. einen Stoß versetzt habe. Der Angeklagte sei zunächst in Rückenlage auf den Boden gebracht worden, dabei habe er mit den Füßen heftig ausgetreten. "Da hat er mich im Gesicht getroffen" – neben der Nase sei auch sein Funkgerät beschädigt worden.

Sechs Wochen Krankenstand mit glattem Nasenbeinbruch

Dann folgt für den Richter und die Staatsanwältin eine Überraschung. Denn W. erklärt, er sei mit dem Nasenbeinbruch sechs Wochen lang dienstunfähig und daher im Krankenstand gewesen. Dadurch ändert sich aber die Anklage: Durch die länger als 24 Tage dauernde Berufsunfähigkeit erhöht sich der Strafrahmen auf sechs Monate bis fünf Jahre, für den 18-Jährigen Angeklagten bestünde daher Verteidigerpflicht.

Allerdings erklärt sich Hautz nicht gleich für unzuständig, sondern er vertagt vorerst auf unbestimmte Zeit. Ein Gerichtssachverständiger soll klären, ob man als Exekutivbeamter tatsächlich mit einem glatten Nasenbeinbruch sechs Wochen nicht arbeiten kann. Falls dem so ist, wäre ein Schöffengericht zuständig. (Michael Möseneder, 7.1.2020)