Begonnen hat alles mit einigen Anglizismen wie "Lockdown", "Superspreader", "Social Distancing" oder "Home-Office" – ein wahrer Synapsenorgasmus für jeden Feinschmecker des gediegenen Unternehmensberaterjargons. Nun sind wir soweit, dass Werbespots mit Ärzten und unter anderem Großaufnahmen des Logos der Medizinischen Universität Wien laufen, damit wohl jedem von uns Halbgebildeten klar sein sollte, wie seriös und bedeutungsschwanger die nun offerierte Information sein muss. Ziel der Kampagne ist es vermutlich, vermehrt Akzeptanz für die Corona-Impfung zu generieren. In diesem Rahmen ist ein Phänomen mehr als auffällig. Während die eine Gruppe es kaum abwarten kann, bis sie endlich die längst ersehnte Impfung bekommt, gibt es ein zweites, immer größer werdendes Lager, welches wenig bis gar kein Vertrauen in den zügig entwickelten Impfstoff hat. Ähnlich verhält es sich bei den politischen Lagern. Die Regierung aus ÖVP und Grünen macht kräftig Druck in Richtung Anti-Corona-Maßnahmen und die Opposition hält zunehmend stärker dagegen. Selbst die "Denn wie Sie wissen bin ich Ärztin"-SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner findet nun Gefallen an der Oppositionsarbeit. Gemeinsam mit FPÖ und Neos wächst eine politstrategische Phalanx gegen die Regierungslinie.

Gegenteil von gut ist gut gemeint

Der Kanzler und sein Team an Experten meinen es gut mit uns. Sie wollen uns weniger Wissenden vor Gefahren schützen. Leider ist nur nicht jeder damit einverstanden, ob berechtigt oder nicht, bevormundet zu werden. Sogar die oft von Sebastian Kurz zitierten “Älteren“ sind nicht einheitlich erpicht darauf, dass sie der ÖVP-Chef vor Unheil bewahrt. Sie wollen selbst entscheiden, was für sie gut ist und was nicht. Als Sohn eines Ingenieurs und einer Lehrerin hat er sicher eine Form der funktionalistischen Denkweise auf seinem Lebensweg mitbekommen. Diese setzt er jetzt, gestützt auf die Expertise seiner Berater im Dunstkreis internationaler Consulter, um. Eine Logik, die nicht auf das Individuum abzielt, sondern “Fakten, Fakten, Fakten“ zum Inhalt hat, beziehungsweise das was derartige Denktypologien als relevant erachten. Ob der Bundeskanzler, basierend auf seinen nachhaltigen Eingriffen in unser Gesellschaftsleben, wiedergewählt wird, wird sich früher oder später weisen. Zwei Szenarien sind denkbar:

1) Kurz, der souveräne Retter, welcher uns mit starker Hand durch die Corona-Pandemie geführt hat.

2) Ein Staatenlenker, der mit seinen Maßnahmen über das Ziel hinausgeschossen ist und dadurch die Wirtschaft und unser Sozialsystem ins Wanken gebracht hat.

Kurz: Retter oder nicht?
Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Die Wissenschaft und der Spin der Doktoren

Häufig wird in den Medien von “der Wissenschaft“ und ihrer Meinung gesprochen. “Die Wissenschaft“ gibt es jedoch nicht, sondern es handelt sich bei ihr um eine Vielzahl an Fachrichtungen und in diesen um verschiedenste Strömungen und Denkrichtungen. Je nach Phase der Entwicklung gibt es so etwas wie einen wissenschaftlichen Konsens, der sich aber basierend auf neuen Forschungsergebnissen ändern kann. Sie ist somit niemals statisch sondern dynamisch. Der Schriftsteller Michael Ende spricht in Zusammenhang von linearen Erklärungsmustern, die von der Allmacht des naturwissenschaftlichen Denkens geprägt seien, vom “Orthodoxieanspruch der Wissenschaftskirche“. Die einseitige Fixierung auf rein kognitive Fähigkeiten, das Primat einer kalten, emotional verarmten Verstandeskultur, die einerseits das abstrakt-logische Denken der Naturwissenschaften verinnerlicht hat und andererseits ethisch moralische Wertmaßstäbe negiert, habe frei nach Ende zu den größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts geführt. Er veranschaulicht das Dilemma des neuzeitlichen Denkens, indem er meint, dass er sich nur schwer eine wenn auch noch so wissenschaftsgläubige Mutter vorstellen könne, die ihrem Kind erklärt, dass das gegenseitige Liebhaben in Wirklichkeit nur ein paar elektrochemische Prozesse in den Gehirnen sind und man dies mit entsprechenden Drähten, die man in den Kopf steckt, an- und ausknipsen könnte.

Eines steht unabhängig davon aber fest: Nämlich, dass sich die Spindoktoren der ÖVP nun intensiver in Simulationen abseits von Infektionsraten mit der Entwicklung der eigenen Krisenerzählung beschäftigen können. In ihrem Sinne bleibt zu hoffen, dass sich knapp vor der nächsten Nationalratswahl wieder eine Balkanroute öffnet, die dann rasch geschlossen werden kann, denn Wirtschaftskreisläufe zu unterbrechen, kommt bei der Zielgruppe der Volkspartei nicht wirklich an. Jener Politwunderknabe, der eine vielbejubelte harte Linie in der Migrationspolitik fahren wollte, greift nun in die Lebenswelt seiner Stammwähler ein und trifft diese Zielgruppen in der Zentrale - eine Ironie des Schicksals. In diesem Sinne "Schau auf dich, schau auf mich". (Daniel Witzeling, 13.1.2021)

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