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US-Präsident Donald Trump auf der Bühne vor dem Weißen Haus, von der aus er am Mittwoch den Mob anstachelte.

Foto: AP Photo/Jacquelyn Martin

Der Ton, den der scheidende US-Präsident am Donnerstagabend Ortszeit anschlug, unterschied sich dann doch stark von jenem zuvor. Mit dem Versprechen einer friedlichen Amtsübergabe an seinen Nachfolger Joe Biden hat Donald Trump erstmals das Wahlergebnis vom 3. November anerkannt – oder jedenfalls deren Folgen. "Jetzt hat der Kongress die Ergebnisse bestätigt. Am 20. Jänner wird eine neue Regierung vereidigt. Mein Fokus liegt nun darauf, einen reibungslosen, geordneten und nahtlosen Machtwechsel zu gewährleisten", sagte Trump in einer Videobotschaft auf Twitter – zuvor war der US-Präsident auf dem Kurznachrichtendienst noch gesperrt gewesen.

The White House

Trump distanzierte sich in dem Video, das merklich mehrfach geschnitten wurde, von der Gewalt und dem Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol und sicherte einen geordneten Machtwechsel zu. Es sei ein "abscheulicher Angriff" gewesen. Die Demonstranten hätten mit ihrer Aktion "den Sitz der amerikanischen Demokratie beschmutzt". Er habe die Nationalgarde zum Kapitol beordert, um die Unruhen zu beenden, behauptete der Präsident in dem Video – in Wahrheit war es Vizepräsident Mike Pence gewesen.

In diesem Statement äußerte Trump zwar keine direkten Wahlbetrugsvorwürfe, zeigte sich aber überzeugt, dass "die Wahlgesetze reformiert" werden müssten. Am Ende des Videos bezeichnete er seine Anhänger als "wundervoll" und äußerte Verständnis für ihre Enttäuschung. "Unsere Reise hat gerade erst begonnen", sagte er.

Auch Toter bei der Polizei

Noch Donnerstagfrüh (Ortszeit) hingegen hatte Trump seine unbelegte Behauptung bekräftigt, dass Biden sich nur mittels massiven Wahlbetrugs habe durchsetzen können. Und erst einen Tag zuvor, am Mittwoch, hatte er seine Anhänger dazu aufgerufen, aus Protest gegen die Wahlergebnisse während der formellen Bestätigung Bidens zum Kapitol zu marschieren. Daraufhin drang ein Mob gewaltsam in das Regierungsgebäude ein und störte die Sitzung. Infolge der Ausschreitungen sind mindestens vier Protestierende gestorben, darunter eine Frau, die von der Polizei angeschossen wurde und später verstarb. Auch ein Angehöriger der U.S. Capitol Police erlag später seinen Verletzungen, wie die Capitol Police in der Nacht auf Freitag bestätigte.

Der designierte US-Präsident Joe Biden hat den Sturm auf das Kapitol in einer emotionalen Rede als einen von Trump geschürten Angriff auf die Demokratie bezeichnet. Er sprach von "Inlandsterroristen" und einem der dunkelsten Tage in der US-Geschichte. "In den vergangenen vier Jahren hatten wir einen Präsidenten, der seine Verachtung für unsere Demokratie, die Verfassung, die Rechtsstaatlichkeit in allem, was er getan hat, deutlich gemacht hat," sagte Biden über Trump. "Er hatte von Anfang an einen Generalangriff auf die Institutionen unserer Demokratie gestartet, und gestern war nur der Höhepunkt dieses unerbittlichen Angriffs." Biden verglich Trumps Verhalten im Amt in der Ansprache auch mehrfach mit jenem eines autokratischen Herrschers.

CNBC Television

Demokraten preschen in Sachen Amtsenthebung vor

Die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und der demokratische Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, forderten Vizepräsident Mike Pence und Trumps Kabinett auf, den US-Präsidenten wegen "seiner Aufstachelung zum Aufstand" auf Grundlage des 25. Verfassungszusatzes des Amtes zu entheben. Auch Finanzminister Steven Mnuchin und Außenminister Mike Pompeo hätten die Möglichkeit zur Absetzung Trumps diskutiert, berichtete der Sender CNBC am Donnerstag unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen.

Pence, der den Prozess der Amtsenthebung einleiten müsste, lehne jedoch eine Absetzung Trumps auf Grundlage des 25. Verfassungszusatzes ab, erfuhren US-Medien aus dessen Büro. Bei dem 25. Verfassungszusatz handelt es sich um eine Möglichkeit der Absetzung, die eigentlich für Situationen gedacht ist, in denen der Präsident etwa aus Krankheitsgründen sein Amt nicht mehr ausüben kann.

Impeachment möglich

Bereits am Donnerstag hatte Pelosi angekündigt, ein Impeachment-Verfahren gegen Trump anzustreben, sollte er nicht über den 25. Verfassungszusatz entmachtet werden. Die demokratische Abgeordnete Kathrine Clark kündigte am Freitag an, das eine Impeachment-Abstimmung im Repräsentantenhaus "Mitte nächster Woche" stattfinden könnte, sollte der 25. Verfassungszusatz nicht zum Einsatz kommen. In der von Demokraten beherrschten Kammer gilt eine Zustimmung als sicher, im Senat wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig.

Der republikanische Senator Ben Sasse, der dem eher gemäßigten Flügel der Partei angehört und Trump schon mehrfach kritisiert hatte, sagte dem TV-Sender CBS, er werde sich mit einem möglichen Impeachment "ernsthaft auseinandersetzen", sollte sich das Repräsentantenhaus zu diesem Vorgehen einigen.

Ministerinnen zurückgetreten

Aus Protest gegen Trump sind bereits mehrere Mitglieder der Regierung zurückgetreten, darunter Verkehrsministerin Elaine Chao – langgediente Politikerin der Republikaner, die auch unter George W. Bush schon acht Jahre Ministerin war, sowie Ehefrau des republikanischen Mehrheitsführers des Senats, Mitch McConnell – und Bildungsministerin Betsy DeVos. "Es gibt keinen Zweifel daran, welchen Einfluss Ihre Rhetorik auf die Situation hatte, und es ist der Wendepunkt für mich", schrieb DeVos in ihrem Rücktrittsgesuch an Trump. DeVos stammt aus einer äußerst einflussreichen republikanischen Familie aus Washington, deren Mitglieder auch Großspender der Republikaner sind. Mehrere weitere hochrangige Mitarbeiter sind mittlerweile zurückgetreten.

Trump war zuvor vorgeworfen worden, den Mob erst angeheizt und später die anschließende Erstürmung des Parlaments nicht verurteilt zu haben. Erst lange nach Beginn der Zusammenstöße am Mittwoch hatte der Republikaner seine Anhänger in einer Videobotschaft aufgefordert, nach Hause zu gehen. Zugleich hatte er die Demonstranten gelobt. "Wir lieben euch, ihr seid etwas ganz Besonderes", sagte er. Zudem hatte er zu dem Zeitpunkt erneut behauptet, dass ihm die Wahl "gestohlen" worden sei.

Vorwürfe gegen Sicherheitskräfte

Gegenüber den Sicherheitskräften mehren sich indes die Vorwürfe, warum es hunderten Trump-Anhängern gelungen war, Polizeiabsperrungen zu durchbrechen und in das Kapitol einzudringen, als die Senatoren und Abgeordneten gerade dabei waren, den Sieg des designierten Präsidenten Joe Biden vom 3. November formell zu bestätigen. Nach dementsprechenden Forderungen von Pelosi und McConnell reichten der Sicherheitschef der Parlamentskammer, Mike Stenger, sowie der für das Kapitol zuständige Polizeichef Steven Sund ihre Rücktrittsgesuche ein.

Für Aufregung sorgt derzeit auch ein Bericht der "New York Times", demzufolge Trump offenbar mit dem Vorhaben einer Selbstbegnadigung voranschreiten wolle. Das soll er gegenüber Helfern angedeutet haben. Ob er dies wirklich kann, ist juristisch umstritten – es wäre, sagen Experten, ein interessanter Fall, der vor dem Obersten Gerichtshof landen könnte. Der juristischen Verfolgung würde der Präsident damit nicht vollends entkommen. Trump kann sich, sofern überhaupt, nur nach Bundesrecht begnadigen. Gegen ihn ermitteln aber auch mehrere Bundesstaaten wegen möglicher Verstöße gegen deren Gesetze. (maa, flon, mesc, 8.1.2021)