17 Millionen Menschen haben das "15 Minute Full Body HIIT Workout" der deutschen Fitness-Influencerin Pamela Reif auf Youtube bisher gemacht. Oder es zumindest angeklickt. Denn wie viele das Training, in dem man durch Übungen wie Hampelmänner und Squats in 30-Sekunden-Intervallen gehetzt wird, auch wirklich beendet haben, weiß man nicht.

Einige dürften aufgegeben haben, bevor ihnen Reif am Ende des Workouts virtuelle Küsse zuwirft: "Ich habe fünf Pausen gemacht und es trotzdem nur bis zur Hälfte geschafft", schreibt ein User unter das Video. Andere berichten, wie sehr sie beim Sporteln geflucht und geschwitzt haben. Pamela Reif selbst sieht auch nach 15 Minuten Sport noch frisch aus. Wer ihr nachturnt, kann darüber nur ungläubig den tiefrot angelaufenen Kopf schütteln.

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Sieht auch nach 15 Minuten HIIT noch überraschend frisch aus: die deutsche Fitfluencerin Pamela Reif.
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Kurze Belastung

Die hochintensiven Onlineworkouts boomen besonders in Zeiten von Corona und geschlossenen Fitnessstudios. Auf Youtube finden sich Videos mit unterschiedlichen Protagonistinnen und Protagonisten (siehe Infobox) und vielversprechenden Namen wie "30 Minute Full Body Crusher" oder "Brutal HIIT Ladder Workout". Das klingt furchteinflößend. Und der Eindruck täuscht nicht ganz.

"Wenn man es richtig macht, ist es hart", sagt die Sportwissenschafterin Antje Peuckert vom Olympiazentrum Vorarlberg. Das Prinzip des High-Intensity-Interval-Trainings – kurz HIIT – funktioniert so: Auf eine knackige, oft nur 30 Sekunden dauernde, hochintensive Belastung folgt eine kurze Pause. Dann kommt wieder eine kurze Belastung, dann erneut eine Pause zum kurzen Durchatmen. Und so weiter. Der Puls soll dabei auf bis zu 95 Prozent der maximalen Herzfrequenz hinaufgejagt, der Körper an seine Grenze und ein kleines Stück darüber hinaus gebracht werden. Und: Je kürzer das Belastungsintervall, desto anstrengender sollte es sein.

Immer gut: Sprünge treiben den Puls in die Höhe – unter Umständen aber auch den des Nachbarn.
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Viele HIITs dauern weniger als zehn Minuten. Aber das reicht, um schweißgebadet zu sein. Mit HIIT, so das Versprechen, geht eine Leistungssteigerung in kurzer Zeit einher. Kann man sich die gemütliche Joggingrunde durch den Park also künftig sparen und daheim effizienter trainieren?

Kampf dem Schweinehund

Das kommt – wie so oft im Leben – darauf an. Für das Trainingsprinzip HIIT spricht einmal der Kampf gegen den inneren Schweinehund, der sich zu einem zehnminütigen Workout daheim vermutlich schneller motivieren lässt als zu einem einstündigen Lauf in der Kälte. Die Trainings sind abwechslungsreich, für Langeweile oder irgendeine Ablenkung bleibt gar keine Zeit. Und theoretisch muss man einfach nur nachturnen, ohne groß nachzudenken.

Wunder darf man sich aber keine erwarten, betont der deutsche Sportwissenschafter Billy Sperlich von der Universität Würzburg. Für eine Studie ließ Sperlich 24 junge, untrainierte Probanden vier Wochen lang entweder ein oder zwei sechsminütige HIITs pro Tag machen. Tatsächlich: Die Probanden waren nach den vier Wochen Training kräftiger. Sie konnten mehr Übungen wie beispielsweise Push-ups in einem bestimmten Zeitfenster durchführen. Aber auf die Ausdauer haben sich die HIITS nicht ausgewirkt. "Da braucht es sicher eine längere Belastungszeit als nur sechs Minuten", sagt Sperlich.

Dass es trotzdem sinnvoll sein kann, beim Sporteln immer wieder an den Anschlag zu gehen, weiß die Sport- und Trainingswissenschaft seit den 1920er-Jahren. Auch die Sportwissenschafterin Antje Peuckert schreibt ihren Profi-Athleten solche hochintensiven Einheiten in den Trainingsplan. Denn an ihrem hohen Trainingsumfang können diese längst nicht mehr schrauben. Daher wird die Intensität für einige Trainings erhöht.

Vorsicht für Ungeübte

Und auch weit weniger Ambitionierten rät Peuckert dazu, einmal ein HIIT auszuprobieren. "Man kann damit in kurzer Zeit sinnvoll trainieren", sagt sie. Sich jetzt, motiviert von den Neujahrsvorsätzen, das erstbeste Youtube-Video rauszusuchen und mitzuturnen ist trotzdem nicht ratsam. Denn nicht überall, wo HIIT draufsteht, ist auch HIIT drin.

Zum einen ist es für Ungeübte nicht leicht, zu wissen, wie sich hochintensives Training anfühlen soll – und wie nicht. Selbst eine Pulsuhr gibt über die Herzfrequenz nur zeitverzögert Auskunft. Ein Anhaltspunkt ist aber, dass man richtig ins Schnaufen kommen soll. Das kann und soll unangenehm sein. Wichtig ist aber: bei Schmerzen oder Unwohlsein lieber aufhören. Peuckert rät dazu, sich vorab medizinisch durchchecken zu lassen, um seine maximale Herzfrequenz zu kennen.

Manche Videos auf Youtube sind auch gar nicht so hochintensiv, wie sie versprechen: Übungen wie Sit-ups oder Kniebeugen, die in den Videos oft vorgemacht werden, sind hart. Sie treiben aber den Puls nicht ausreichend in die Höhe. Und Liegestütze wiederum, die in diesen Workouts auch sehr beliebt sind, können nur die wenigsten überhaupt so lange durchhalten. Und dann gibt es noch Übungen, die für Ungeübte so fordernd sind, dass sie sich dabei überlasten können.

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Mit Online-HIITS lässt sich der Schweinehund überwinden. Wunder darf man sich aber auch keine davon erwarten.
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Ärger mit dem Nachbarn

Bei sogenannten Burpees, die HIIT-Erprobten einen kalten Schauer über den Rücken jagen, springt man aus dem Stand in eine Liegestützposition, lässt sich zu Boden und springt wieder auf. Immer und immer wieder. Das treibt den Puls zwar in ungeahnte Höhen – kann aber auch zu einer Überlastung in den Handgelenken führen. Einfache Sprünge oder das klassische Seilspringen sind da zwar einfacher, haben aber den Nachteil, dass sie den Nachbar von unten auf den Plan rufen.

Für komplette Anfängerinnen und Anfänger kann ein Workout mit koordinativ einfachen Übungen sinnvoller sein, sagt Peuckert. Dafür braucht es kein Youtube-Video. Die Sportwissenschafterin rät zum Beispiel dazu, 30 Sekunden auf der Stelle zu traben und dabei mit den Armen in die Luft zu boxen, " so wie in Rocky-Filmen". Nach 30 Sekunden Pause geht es wieder von vorn los. Das Ganze kann man neun- oder zehnmal wiederholen.

Sinnvoll ist all das aber nur, wenn man es regelmäßig macht – und auch dabei bleibt. In einer Trainingsgruppe funktioniert das eher, weiß Sportwissenschafterin Peuckert aus Erfahrung. Selbst wenn diese Trainingsgruppen derzeit nur virtuell miteinander ins Schwitzen kommen dürfen.

Zweimal pro Woche

Auch Billy Sperlich weiß, wie hart HIITs für Anfänger sein können. Bei seiner Studie mit Ungeübten hat sich herausgestellt, dass diese zwar nach vier Wochen Training allesamt zufriedener mit ihrem Körper waren. Allerdings klagten sie mehr über Muskelschmerzen. "Da stellt sich die Frage, ob man ein solches Training dauerhaft durchhält", sagt Sperlich. Wichtig ist daher, sich von anstrengenden Workouts wieder gut zu erholen und es mit den hochintensiven Einheiten auch nicht zu übertreiben. Zweimal pro Woche reicht. Wer mehr machen will, kann zusätzlich locker laufen oder spazieren gehen.

Denn besonders in Zeiten von Corona zählt jede Form von Bewegung, zu der man sich regelmäßig aufraffen kann. Die Quälerei mit Pamela Reif und ähnlich fitten Youtube-Vorturnern bleibt also Geschmackssache. (Franziska Zoidl, 8.1.2021)