Parler geht bald offline.

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Auf den Höhenflug folgt der rasante Absturz: Die Betreiber von Parler stehen wenige Tag nach dem Sturm von Trump-Anhängern auf das US-Kapitol vor einem Scherbenhaufen. Die Twitter-Alternative für Rechtsextreme und Konservative hat innerhalb weniger Stunden nicht nur seine wichtigsten Verbreitungswege sondern auch die technische Infrastruktur zum Betrieb des Services verloren.

Schlussstrich

Den Anfang machte bereits am Freitag Google: Der Android-Hersteller warf kurzerhand die Parler-App aus dem eigenen Play Store. Einen Tag später folgte nun Apple diesem Beispiel: In der Nacht auf Sonntag wurde Parler auch aus dem App Store für iPhones und iPads geworfen. Die Argumentation der beiden Unternehmen fällt dabei sehr ähnlich aus. Parler habe es verabsäumt, Postings, die zu Gewalt aufrufen zu entfernen, heißt es unisono. Für so etwas kann und wolle man keine Plattform bieten. Eine Rückkehr von Parler in die App Stores wäre erst möglich, wenn der Betreiber eine angemessene Moderation einführt.

Das könnte allerdings schwierig werden. Immerhin positioniert sich Parler lautstark als Plattform für eine kompromisslose Meinungsfreiheit, auf der jeder alles posten kann. Genau mit diesem Versprechen wurde Parler nach und nach zu einer Art sicherem Hafen für Rechtsextreme, die bei großen Plattformen wie Twitter oder Facebook gesperrt wurden – und für deren Anhänger. Entsprechend kämpferisch gab sich Parler zunächst: "Wir werden nicht gegenüber politisch motivierten Firmen und autoritären Personen, die die freie Meinungsäußerung hassen, klein beigeben" reagierte Parler-Chef John Matze in einem Posting auf die Google-Sperre.

Zu wenig, zu spät

Hinter den Kulissen sah es aber offensichtlich schon da etwas anders aus: Das Unternehmen soll eilig versucht haben, eine minimale Moderation für die Inhalte auf der Plattform aufzustellen. So wurde etwa ein Beitrag von Trump-Anwalt Lin Wood gelöscht, in dem dieser zur Hinrichtung von Vizepräsident Mike Pence aufrief. Pence ist derzeit so etwas wie das größte Hassobjekt der Trump-Getreuen. Hatte er es doch abgelehnt, seine Macht illegal zu missbrauchen, um die Bestätigung von Joe Biden und Kamala Harris als neuer Präsident und Vizepräsidentin zu verhindern. Schon beim Sturm auf das Kapitol waren von Trump-Anhängern Rufe mit "Hängt Mike Pence" zu hören.

Das war dann sogar Parler zu viel.

Amazon dreht den Saft ab

Eine minimale Kurskorrektur, die aber auch einem anderen Unternehmen nicht mehr reichte: In den frühen Morgenstunden des Sonntags informiert Amazon die Betreiber des rechten Netzwerks, dass dessen Konto bei den Amazon Web Services in Kürze suspendiert wird. Bislang nutzte Parler die Cloud von Amazon als Basis für seine Dienste, nun steht man ohne Anbieter da. In einem von Buzzfeed veröffentlichten Mail, verweist Amazon dabei ebenfalls auf die zahlreichen Gewaltaufrufe, die sich auf der Plattform befinden. Zwar hätte Parler offensichtlich damit begonnen einzelne dieser Postings zu entfernen, dies sei aber nicht ausreichend, und es sei nicht davon auszugehen, dass die Plattform dies in absehbarer Zeit in den Griff bekommt – oder bekommen will. Immerhin hatte Parler-Chef Matze erst unlängst öffentlich betont, dass man sich für die geposteten Inhalte – und damit auch Gewaltaufrufe – gar nicht zuständig fühlt.

Hatte Parler nach dem Rauswurf aus den App Stores noch eilig versucht, seinen Nutzern beizubringen, wie man die Web-Version statt der Android- und iOS-Apps verwenden könne – und diese davon überzeugt, dass das Wort "Progressive" in "Progressive Web App" nicht im Sinne von "fortschrittlich" auf einen Geheimplan von liberalen Mächten zurückgeht, sondern als "fortschreitend" eine technische Beschreibung ist – ist dies damit vorerst Makulatur. Nach dem Auslaufen der Amazon-Frist – in Österreich um 8:59 Montagmorgens – wird Parler nicht mehr erreichbar sein.

Umbau

Daran lassen auch die Betreiber der Plattform wenig Zweifel. In einer öffentlichen Stellungnahme warnt John Matze die Nutzer davor, das Parler mindestens eine Woche offline sein wird, bevor die Infrastruktur an anderer Stelle frisch aufgebaut werden kann. Das könnte noch eine optimistische Schätzung sein, immerhin ist nicht davon auszugehen, dass irgendein anderer großer Cloud-Anbieter Parler zur Seite stehen wird. Damit wird auch diversen rechtsextremen Gruppierung ihre Arbeit erheblich erschwert. Immerhin kursierten auf Parler in den vergangenen Tagen bereits martialisch-pathetische Aufrufe für neue Gewaltaktionen zur Inauguration von Biden und Harris am 20. Jänner.

Der Aufstieg vor dem Fall

Vor dem Bann schien man bei Parler noch von den aktuellen Entwicklungen begeistert zu sein: Der Rauswurf von Donald Trump sowie zahlreicher QAnon-Verschwörungserzähler bei Twitter und anderen Plattformen hatte Parler in den vergangenen Tagen zahlreiche neue Nutzer beschwert. Vorübergehend schaffte es die App dabei sogar auf Platz 1 in den App-Store-Charts von Apple. Auch wenn solche Reihungen immer nur aktuelle Trends und nicht gesamte Downloadzahlen wiedergeben, zeigt dies doch das Ausmaß des Interesses von Trump-Anhängern.

Mit den aktuellen Schritten der großen Plattformbetreiber wiederholt sich in einem gewissen Maß die Geschichte: Hat doch Google bereits im August 2017 mit Gab ein anderes Diskursnetzwerk für Rechtsextreme aus dem Play Store geworfen. Bei Apple hatte man die Gab-App gleich niemals akzeptiert. Beides hat der Verbreitung von Gab massiv geschadet, damit indirekt aber natürlich auch den Weg für Parler frei gemacht. Sicherlich auch kein Hindernis war die finanzielle Unterstützung einer der reichsten Familien der USA: Rebekah Mercer, Tochter des Hedgefonds-Milliardärs Robert Mercer, gehört zu den wichtigsten Investoren hinter Parler.

Rasche Löschaktionen

Unterdessen scheint bei so manch anderer beim Sturm auf das Kapitol viel genutzten Plattform langsam Panik auszubrechen. Nachdem die Streaming-Plattform DLive zunächst ebenfalls betont hatte, keinerlei "Zensur" durchführen zu wollen, wurden nun einige bekannte Konten gesperrt. Darunter mehrere, die der rechtsextremen Schlägertruppe Proud Boys zuzurechnen sind. Mit diesem Schritt will man offensichtlich ein Schicksal wie jenes von Parler oder Gab verhindern – also einem Rauswurf bei Apple und Google zuvorzukommen.

Auch sonst bleibt abzuwarten, wie sich die aktuelle Sperrwelle auf die Organisation von Rechtsextremen im Internet auswirkt. Haben doch in den vergangenen Tagen viele bekannte Akteure ihr Sprachrohr verloren. So wurde etwa von Youtube die "War Room" genannte Podcast des ehemaligen Trump-Beraters Steve Bannon gelöscht. In diesem Fall argumentierte Google damit, dass Bannon immer wieder Falschinformationen über die US-Präsidentschaftswahl verbreitet hatte. (Andreas Proschofsky, 10.1.2021)