Sieht sich als Experten, der keine Einarbeitungszeit braucht: Martin Kocher.

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Wien – Nur siebzehneinhalb Stunden hat es gedauert, bis Sebastian Kurz (ÖVP) den Nachfolger für Christine Aschbacher im Arbeitsministerium bekanntgeben konnte – und so nebenbei auch eine Kompetenzverschiebung in der Regierung: Der neue Arbeitsminister Martin Kocher soll sich als weitgehend unpolitischer Experte zur Gänze auf das Thema Arbeitsmarkt konzentrieren, das ideologielastige Thema der Familien- und Jugendpolitik wandert ins Kanzleramt.

Kompetenzverschiebungen

Dafür wird allerdings eine Änderung im Bundesministeriengesetz notwendig, die mit einfacher türkis-grüner Mehrheit beschlossen werden kann. Dann wird die Oberösterreicherin Susanne Raab (ÖVP), die bisher als Kanzleramtsministerin mit dem Thema Integration befasst war, die Familien- und Jugendagenden übernehmen. Am Montag um 13 Uhr wurde Kocher von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt.

Kocher sieht sich selbst damit freigespielt für drei Aufgabenfelder, die sein verschlanktes Ressort zu betreuen haben wird:

Abfederung der Folgen der Pandemie: Hier rechnet der neue Minister damit, dass es bis Jahresmitte eine weitgehende Normalisierung des Lebens (und damit der Arbeitsbedingungen) geben wird. Damit einher geht auch das Auslaufen der Kurzarbeitsregelungen, "die Kurzarbeit ist keine Maßnahme für Jahre", sagt der künftige Minister.

Beschäftigung für die nächsten Jahre: In der Antrittspressekonferenz mit Bundeskanzler Kurz hat Kocher, bisher selbst Wirtschaftsforscher und mit Prognosen wohlvertraut, die Vorhersage zitiert, dass die Arbeitslosigkeit bis ins Jahr 2024 (also das nächste reguläre Wahljahr) höher sein werde, als sie es bis zum Vor-Krisen-Jahr 2019 gewesen ist. Für ihn ist diese Perspektive Herausforderung und Messlatte, er will erreichen, dass sich die Beschäftigung besser entwickelt als vorhergesagt. Die Ausgangslage ist dabei schwierig: Im Dezember waren mehr als 500.000 Menschen arbeitslos, dazu kommen gut 400.000 Personen in Kurzarbeit. Besonders dramatisch ist der Anstieg der Langzeitarbeitlosen: Auch wegen der Corona-Krise waren zuletzt 171.000 Personen länger als ein Jahr ohne Job.

Zukunft der Arbeit: Nicht mit aktueller Priorität, aber bei allen Maßnahmen schon jetzt mitzudenken sei die künftige langfristige Entwicklung von Arbeitsgestaltung und Beschäftigungsverhältnissen.

Offene Fragen: Aschbacher hat noch weitere Herausforderungen hinterlassen, die nun von Kocher gelöst werden sollen. Eine davon: Knapp zehn Monate nach dem Lockdown gibt es immer noch keine Homeoffice-Regelung. Die Sozialpartner haben sich zwar auf die Eckpunkte geeinigt, aber steuerliche Erleichterungen sind noch offen. Dazu zählt eine an die Pendlerpauschale angelehnte Steuerbegünstigung, weil höhere Kosten für Strom, Heizen oder Internet anfallen können.

Sowohl Kocher als auch Regierungschef Kurz betonten bei ihrem knapp 20-minütigem Auftritt Sonntagmittag, dass der neue Minister als unabhängiger Experte ins Regierungsteam komme und dieses seiner Erfahrung dieses bereichern soll. Kocher ist damit das zweite parteifreie Regierungsmitglied das nach Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer in die Regierung eingewechselt wurde. Mayer hat nach dem ersten Rücktritt im türkis-grünen Kabinett am 20. Mai die Agenden von Ulrike Lunacek (Grüne) übernommen hat. Damit sitzen gleich vier Regierungsmitglieder ohne Parteibuch am Kabinettstisch, denn auch Heinz Faßmann und Alexander Schallenberg sind parteifrei.

Mehr Männer als Frauen

Mit Kochers Eintritt in die Regierung verschiebt sich auch die bisherige Parität zwischen männlichen und weiblichen Regierungsmitgliedern, auf die Türkis-Grün vor einem Jahr so stolz gewesen ist.

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Kurz streute der zurückgetretenen Ministerin Aschbacher im Nachhinein Rosen für ihr Management der Beschäftigungskrise infolge der Pandemie und sagte, Kocher sei nun "ein zusätzlicher Experte", mit dem es gelingen werde, "neben all den Notmaßnahmen, die wir setzen müssen, alles zu tun, um Österreich wieder zu alter Kraft zu führen".

Kocher beim Bundespräsidenten

Unmittelbar nach Bekanntgabe des Personalvorschlags hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen ein erstes Arbeitsgespräch von Wirtschaftsprofessor zu Wirtschaftsprofessor mit Kocher vereinbart. Und dieser sieht sich schon vor der für Montag angesetzten Angelobung gefordert, sein Ressort zu übernehmen. Dass die Arbeiterkammer schon Sonntagfrüh angekündigt hat, dem neuen Arbeitsminister angesichts der hohen Arbeitslosigkeit keine Schonfrist zu gönnen, nahm Kocher gelassen: "Es gibt keine Einarbeitungszeit. Wir werden voll mit heute Nachmittag losstarten und die Herausforderungen angehen." (Andreas Schnauder, Conrad Seidl, 10.1.2021)