In den USA geht die Sorge um, dass sich nach dem Sturm auf das Kapitol neue Gewalt zusammenbraut.

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Nach und nach kommen jetzt Details der bangen Momente in den Hallen und Gängen des US-Kapitols ans Tageslicht, das am vergangenen Mittwoch von Anhänger des US-Präsidenten Donald Trump gestürmt wurde. Und sie nähren auch im Verteidigungsministerium die Angst vor weiteren Gewalttaten vor oder am 20. Jänner, dem Tag, an dem Joe Biden als 46. US-Präsident angelobt werden soll.

Das FBI warnt laut US-Medien in einem internen Memo vor weiteren bewaffneten Protesten in allen 50 US-Bundesstaaten in den Tagen rund um Bidens Angelobung, die bei radikalen Trump-Anhängern wohl erneut für Wut sorgen wird. Eine bewaffnete Gruppierung, die identifiziert werden konnte, hat angekündigt am 16. Jänner in die Hauptstadt Washington zu reisen, um einen Aufstand zu organisieren. Das berichtete "ABC News" unter Berufung auf das FBI-Memo.

Aufrufe auf Twitter und Parler

Auf dem rechten Nachrichtendienst Parler diskutierten noch vor dessen Sperre rund 400 Menschen in einer privaten Gruppe über den an diesem Tag geplanten Million Militia March, unter anderem darüber, was mitzubringen sei: "Erwähnt wurde alles von Baseballschlägern über Panzerwesten bis zu Sturmgewehren", schreibt die "New York Times". "Wir haben das Gebäude einmal eingenommen, wir können es noch mal einnehmen", hieß es weiter. Auch auf Twitter machten Aufrufe zu einem erneuten Sturm auf das Kapitol und Parlamentsgebäude in anderen Bundesstaaten die Runde.

Am Montag wurde bekannt, dass die Sicherheitsmaßnahmen für die feierliche Amtseinführung Bidens jedenfalls verschärft werden. Die Nationalgarde werde bis zu 15.000 Soldaten in der Hauptstadt zusammenziehen, um rund um das Ereignis am 20. Jänner die örtlichen Sicherheitskräfte zu unterstützen, sagte der Chef der Truppe, General Daniel Hokanson.

Das Heimatschutzministerium erklärte, angesichts der jüngsten Ereignisse werde der unter anderem für den Schutz des Präsidenten zuständige Sicherheitsdienst, der Secret Service, bereits ab Mittwoch eine verstärkte Einsatzphase beginnen. Ursprünglich sollte der Großeinsatz, verbunden mit der Sperrung von Teilen der Innenstadt Washingtons, erst am 19. Jänner beginnen. Damit kam das Ministerium einer Forderung der Bürgermeisterin von Washington D. C., Muriel Bowser, nach. Die Demokratin rief am Montag bei einer Pressekonferenz alle Auswärtigen dazu auf, wegen der komplizierten Sicherheitslage für die Amtseinführung Bidens nicht nach Washington zu reisen. Inmitten der Turbulenzen legte der interimistische US-Heimatschutzminister Chad Wolf am Montag sein Amt nieder.

Mit Handfesseln ausgerüstet

Mehr als 17.000 Hinweise zu den Vorkommnissen im Kapitol, bei denen am vergangenen Mittwoch fünf Menschen ums Leben kamen, gingen bisher bei der Polizei in der US-Hauptstadt ein. Gegen 25 Personen wurde dem US-Justizministerium zufolge nun Anklage wegen "inländischen Terrorismus" erhoben. Die Untersuchung der Unruhen dürfte aber Monate dauern, sagte ein Sprecher am Sonntag.

Besondere Sorge bereitet etwa der Umstand, dass mehrere der Eindringlinge mit Plastikhandfesseln ausgerüstet waren – Spekulationen, dass sie Abgeordnete oder gar Vizepräsident Mike Pence als Geiseln nehmen wollten, erhalten so neue Nahrung. Eine Theorie, die von den Ermittlern laut "Washington Post" untersucht wird, ist, ob es sich dabei womöglich um (ehemalige) Polizeikräfte oder Armeeangehörige handeln könnte. "Langwaffen, Molotowcocktails, Sprengsätze und Handfesseln wurden gefunden, was darauf hinweist, dass eine noch größere Katastrophe nur knapp verhindert wurde", sagte der demokratische Abgeordnete Jason Crow am Sonntag. Das Pentagon solle nun dringend sicherstellen, dass involvierte Angehörige der Streitkräfte, die an dem Sturm auf das Kapitol beteiligt waren, vor Militärgerichte gestellt werden – und dass am 20. Jänner keine Soldaten Bidens Amtseinführung sichern, die mit den Gewalttätern vom vergangenen Mittwoch sympathisieren.

Die zwei Männer, die sich in Kampfanzügen samt Handfesseln im Sitzungssaal hatten ablichten lassen, wurden am Wochenende verhaftet – tausende Kilometer von Washington entfernt in Texas beziehungsweise Tennessee. Auf dem Grundstück des einen wurden einem Bericht des Senders CBS zufolge "haufenweise Waffen" gefunden. Nun wird ermittelt, ob der Mann diese legal besitzt. Der andere, ein pensionierter Luftwaffen-Leutnant, erklärte dem Magazin "New Yorker", er habe die Handfesseln lediglich auf dem Fußboden gefunden. Seine Ex-Frau meldete ihn als Verdächtigen, nachdem sie die Bilder aus der Hauptstadt im Fernsehen gesehen hatte. Neben der von der Polizei erschossenen Ashli Babbitt ist der Mann schon der zweite ehemalige Luftwaffen-Mitarbeiter, der bei den Unruhen im Kapitol eine Rolle spielte.

Auch andere Angehörige der Sicherheitskräfte spielten als Beteiligte eine unrühmliche Rolle, etwa ein Sheriff aus Oklahoma, der sich auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz bemüßigt fühlte zu dementieren, ins Kapitol eingedrungen zu sein. Auf der Protestkundgebung sei er aber sehr wohl gewesen, sagte er.

Szenen vom vergangenen Mittwoch.
DER STANDARD

"Schamane" verhaftet

Und auch der berüchtigte "Schamane" Jake Angeli aus Arizona wurde am Wochenende verhaftet. Der Mann war samt Fell und Hörnern beim Sturm auf das Kapitol abgelichtet worden und gilt als notorischer Verfechter der Verschwörungstheorien von QAnon. So wie die beiden anderen Männer muss auch er sich nun vorerst wegen des unerlaubten Eindringens in das Kapitol verantworten.

Nach dem Rücktrittsreigen von vergangener Woche, als ein halbes Dutzend Minister und Berater Donald Trump den Rücken kehrten, wurde am Wochenende bekannt, dass die Ehefrau des ultrakonservativen Höchstrichters Clarence Thomas, Ginni Thomas, dem sich vor dem Sturm des Kapitols versammelnden Mob per Tweet ihre Unterstützung bekundete. (flon, maa, fmo, 11.1.2021)