Aschbacher bei ihrer Angelobung im Jänner 2020. Im Jänner 2021 trat sie zurück.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Gleich mit acht Führungskräften von innovativen Unternehmen habe sie gesprochen, schreibt die ehemalige Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) in ihrer Dissertation. Bekanntermaßen stehen wegen dieser und der Diplomarbeit Plagiatsvorwürfe im Raum. Aschbacher legte infolgedessen ihr Amt zurück, weist die Vorwürfe aber zurück: Sie habe ihre Arbeiten "stets nach bestem Wissen und Gewissen verfasst".

Wörtlich heißt es in der Arbeit, die im Mai 2020 abgegeben wurde: "Als Methode wurden qualitative persönliche Interviews gewählt, mit einer jeweiligen Dauer von mindestens 45 Minuten bis maximal 90 Minuten." Einer dieser Interviewpartner soll ein Vertreter des Unternehmens Urbas gewesen sein, eines Kärntner Betriebs.

"So ein Schmarrn"

Die Namen der Interviewpartner werden in der Dissertation nicht genannt, lediglich ihre Funktion. Bei Urbas will Aschbacher mit einer Führungskraft aus dem Bereich Technik gesprochen haben. Andreas Urbas, einer von drei Geschäftsführern des Unternehmens, schließt das aber aus. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei uns jemand so einen Schmarrn von sich gibt", sagt er zum STANDARD, nachdem er die Passage über das Interview mit einem vermeintlichen Vertreter seines Unternehmens gelesen hat.

Foto: Dissertation Aschbacher Seite 63

In der Arbeit ist der Fragenkatalog abgedruckt, um den sich die Interviews gedreht haben sollen. Eine Frage lautet: "Wir sind im Jahr 2015 – wo sehen Sie die Industrie?" Dass jemand aus der Geschäftsführung das Interview – wann auch immer – gegeben habe, schließt Urbas aus. "Es könnte maximal sein, dass jemand bei uns angerufen hat, weiterverbunden wurde zu jemandem, der meinte, gescheit sein zu müssen, aber das ist eher unwahrscheinlich", sagt Urbas. Und: Ein Techniker könnte Fragen zu den besprochenen Themenbereichen eher nicht beantworten. Auch das Vokabular, das in der Dissertation zur vermeintlichen Zusammenfassung des Gesprächs verwendet wird, gebe es bei ihnen nicht, sagt Urbas, Übersetzungsfehler könne er ausschließen: "Unsere Konzernsprache ist Deutsch."

Aus einem anderen Unternehmen heißt es über die Zusammenfassung des Interviews, wie sie in der Dissertation steht: "Der Inhalt hat offensichtlich gar keinen Bezug zu unserem Unternehmen und unserem Geschäft." Andere Firmen, mit denen Aschbacher laut ihrer Arbeit gesprochen hat, geben sich zurückhaltender. "Uns liegen dazu keine entsprechenden Details vor", heißt es aus einer Firma. Eine andere gibt an, das sei wegen der Zeit, die mutmaßlich seither verstrichen sei, nicht mehr nachzuvollziehen. Wieder andere reagierten bisher nicht auf eine Anfrage.

"Durchaus realistisch", dass es ein Gespräch gab

Ein Unternehmen, mit dem DER STANDARD gesprochen hat, hält es allerdings für "durchaus realistisch", dass das Interview geführt worden sei. Die Person, mit der wohl gesprochen wurde, sei jedoch schon in Pension, daher könne man keine Hintergründe mehr in Erfahrung bringen. Der Inhalt der Zusammenfassung in der Dissertation passe aber zum Unternehmen.

DER STANDARD hat versucht, eine Stellungnahme Aschbachers zu den neuerlichen Vorwürfen einzuholen. Anfragen an die ehemaligen Pressezuständigen der Ex-Ministerin blieben bisher unbeantwortet. Ein ÖVP-Sprecher gibt an, er könne sich dazu inhaltlich nicht äußern.

Agentur wartet auf Auftrag

Die Dissertation Aschbachers wurde in der Slowakei abgegeben, doch auch gegen ihre Diplomarbeit an der FH Wiener Neustadt stehen Vorwürfe im Raum. Die Arbeit wurde 2006 eingereicht und trotz augenfällig grober Mängel mit "Sehr Gut" bewertet. Das Kollegium der FH Wiener Neustadt trat am Montag zusammen, um ein Prüfverfahren zur Causa Aschbacher einzuleiten. Wie das Verfahren gestaltet wird, ist noch unklar und obliegt der FH selbst.

Eine renommierte Anlaufstelle für die unabhängige Kontrolle akademischer Arbeiten böte die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI). Sie wurde 2008 als Reaktion auf Plagiatsfälle gegründet, um vor allem in heiklen Causen Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu prüfen. So wurde die ÖAWI 2016 von der Uni Graz beauftragt, den Plagiatsverdacht gegen den damaligen steirischen Landesrat Christian Buchmann (ÖVP) zu untersuchen – der Verdacht bestätigte sich, woraufhin Buchmann der Doktortitel von der Uni aberkannt wurde.

Bisher kein Ansuchen der FH

"Wenn die FH Wiener Neustadt an uns herantritt, würde unsere Kommission die Diplomarbeit von Frau Aschbacher prüfen", sagte ÖAWI-Geschäftsführerin Nicole Föger am Montag zum STANDARD. Bisher sei man aber nicht kontaktiert worden, erklärte Föger – zudem ist die FH Wiener Neustadt kein Mitglied der ÖAWI, was sich aber schnell ändern ließe.

Gerade bei einem solch prominenten Fall wie Aschbacher könnte sich die FH durch eine Einschaltung der ÖAWI den Vorwurf ersparen, die vergangenen Geschehnisse nicht objektiv aufzuarbeiten: Die Kommission der Agentur besteht hauptsächlich aus deutschen und Schweizer Wissenschaftern und lässt Fachgutachten zu problematischen Arbeiten erstellen.

Sollte ein Prüfverfahren feststellen, dass Aschbacher ihr "Sehr Gut" auf die Diplomarbeit durch unerlaubte Mittel erschlichen hat, müsste ihr von der FH der Magistertitel aberkannt werden. Daraus würde folgen, dass sie zum Doktorratsstudium in Bratislava von vornherein nicht berechtigt war, wodurch auch der Doktortitel wackelt. Die slowakische Uni will die Dissertation ohnedies auch selbst prüfen.

Schon jetzt Vergangenheit ist neben ihrer Ministertätigkeit auch ihr Posten im Finanzministerium und das dazugehörige Gehalt: Aschbacher habe ihr aufrechtes Dienstverhältnis mit dem Finanzministerium mit Montag im Einvernehmen aufgelöst, gab das Ressort Montagabend bekannt. Damit verzichtet sie auf ihr Rückkehrrecht und ihren Arbeitsplatz im Finanzministerium und die damit verbundenen Gehaltsansprüche. Außerdem entsteht dadurch kein Anspruch auf eine Gehaltsfortzahlung aus ihrer Ministertätigkeit, teilte das Ministerium mit. (Theo Anders, Gabriele Scherndl, 11.1.2021)