Großbritannien ist wieder im Lockdown – und trotzdem beginnen die Corona-Zahlen nur langsam zu sinken. Die Furcht vor einer Verbreitung der neuen, ansteckenderen Corona-Variante wächst auch in anderen Staaten.

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Erschreckende Wachstumsraten, verzweifelte Hilferufe und eilige Lockdowns: Die Ausbreitung der neuen, ansteckenderen Variante des Coronavirus setzt Staaten rund um die Welt erneut unter Handlungsdruck. In Großbritannien, wo B.1.1.7 vermutlich seinen Ausgang genommen hatte, sinken die Zahlen auch mehr als zwei Wochen nach der Ausrufung eines neuen, strengen Lockdowns in den meistbetroffenen Gebieten nur wenig. In der Hauptstadt London kämpfen einzelne Stadtteile mit Sieben-Tage-Inzidenzen jenseits der 1.500 Infizierten pro 100.000 Einwohner. Aus den Spitälern heißt es, man arbeite nahe an der Erschöpfung – und dass die Situation noch schwieriger sei als während der ersten Welle im April.

Die Briten versuchen, der neuen Virusvariante mit einer schnelleren Impfkampagne entgegenzutreten. So haben sie etwa die Entscheidung gefällt, möglichst vielen Menschen zunächst die erste Immunisierungsdosis zu spritzen und die Gabe der zweiten notfalls um mehrere Wochen zu verzögern. Außerdem hat die nationale Zulassungsbehörde vergangene Woche im Eilverfahren den Impfstoff der Firma Astra Zeneca in Großbritannien zugelassen.

B.1.1.7 greift um sich

Dass die steigenden Zahlen auf der Insel nicht allein auf mangelnde Einhaltung der Lockdown-Vorgaben zurückzuführen sind, ist mittlerweile klar. Studie um Studie zeigt auf Basis von Regressionsanalysen, dass die Ansteckungen vor allem dort massiv zunehmen, wo die neue Variante sich eingenistet hat. Und das sind mittlerweile große Teile Englands, nicht mehr nur, so wie zu Beginn der Verbreitung, der Süd osten des Landes und London.

Auch im Südwesten, im Norden und in den Midlands ist die neue Variante schon für gut die Hälfte der Infektionen verantwortlich – Mitte Dezember waren es noch 15 Prozent gewesen. In den anfangs besonders betroffenen Gebieten sind es mittlerweile gar jenseits der 80 Prozent.

Die Variante, so viel steht fest, verdrängt die anderen Sars-CoV-2-Ausprägungen auch anderswo. Etwa in Irland, wo die Regierung just in dem Moment die Lockdown-Maßnahmen gelockert hatte, als B.1.1.7 sich vorerst unbemerkt auszubreiten begann. Das Resultat: Innerhalb der vergangenen zwei Wochen hat sich die 14-Tage-Inzidenz auf 1291 verzehnfacht. Nach Angaben von Premier Micheál Martin geht dies vor allem auf die neue Variante zurück. Er zeigte am Montag an einem Beispiel, wie schnell sich diese verbreite: Lag der Anteil an den sequenzierten Proben am 3. Jänner noch bei nur neun Prozent, waren es eine Woche später schon 25 Prozent. Bei der jüngsten Messung stieg der Wert auf 45 Prozent.

Angesichts solcher Zahlen werden auch in vielen anderen Staaten massive Vorkehrungen getroffen, zumal davon auszugehen ist, dass die mutierte Version auf – vorerst – niedrigem Niveau bereits in den meisten europäischen Ländern heimisch ist. Die deutsche Regierung begründete die Verschärfung ihres Lockdowns teils mit der Furcht vor B.1.1.7, Dänemarks Regierung reagierte ähnlich. Der Staat gilt neben Großbritannien innerhalb Europas als jener, der bei der genetischen Sequenzierung von Viren führend ist.

Dort, so jedenfalls das Statens Serum Institut in Kopenhagen, könne man daher annehmen, dass die neue Variante noch nicht allzu weit verbreitet sei. Die Zahlen steigen zwar, vorerst aber auf niedrigem Niveau. Aber: Weil die Verbreitung von Viren ja exponentiell anwächst, kann es plötzlich sehr schnell gehen.

Genau das ist die Sorge in vielen europäischen Staaten, deren Möglichkeiten zur Virussequenzierung weniger ausgeprägt sind: Die neue Variante kann wochenlang auf sehr niedrigem Niveau stagnieren und dann, scheinbar plötzlich, explodieren. Wird erst dann die Variante entdeckt, ist es für Eindämmungsmaßnahmen meist zu spät – wie das Beispiel Irlands eindrücklich zeigt.

Daher überwiegt in manchen Staaten die Vorsicht. Australien etwa verhängte am Wochenende im ganzen Stadtgebiet der Millionenstadt Brisbane einen Lockdown, nachdem nur ein einziger Fall der neuen Variante entdeckt worden war. Erst nach Entwarnung am Montag wurde dieser wiederaufgehoben.

Ente zu "US-Variante"

Zur Sorge Anlass gegeben hatte jüngst auch die Entdeckung eines 30 Personen großen Clusters mit B.1.1.7 in den Niederlanden – ausgerechnet in einer Schule. Meldungen vom Dezember, wonach die neue Variante Kinder leichter anstecke als das bisherige Virus, sind aber umstritten. Berechnungen aus Großbritannien deuten an, dass Kontaktpersonen durch die Bank rund 50 Prozent häufiger angesteckt werden als bisher – unter Kindern wie Erwachsenen.

Immerhin zwei gute Nachrichten gibt es indes auch: Meldungen über eine neue "USA-Variante" vom Wochenende stellten sich als wahrscheinliche Ente heraus. Und der bisher verwendete Impfstoff wirkt laut Tests der Firma Biontech auch gegen B.1.1.7. (mesc, 11.1.2021)