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Fordert mehr Geld für das Gesundheitssystem: Der ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi (Mitte).

Foto: Reuters / Remo Casilli

Rom – Für den italienischen Regierungschef Giuseppe Conte schlägt die Stunde der Wahrheit. Am Dienstagabend soll der Ministerrat den milliardenschweren Wiederaufbauplan mit Finanzierungen aus verschiedenen EU-Fonds billigen. Die kleine Regierungspartei Italia Viva um den früheren Ministerpräsidenten Matteo Renzi hat bereits angekündigt, diese Pläne nicht zu unterstützen. Damit hat Conte nur noch wenige Stunden Zeit, seinen möglichen Sturz durch Zugeständnisse an Renzi abzuwenden.

Kleinpartei als Zünglein an der Waage

Sollte Renzi auf seinem Veto gegen den jetzigen Entwurf des "Recovery Plan" beharren, könnte es zu einem Rückzug der Partei des Ex-Regierungschefs aus der Koalition und zum Sturz der Regierung kommen.

Conte ist Gerüchten zufolge bereit, Konzessionen zu machen und mehr Geld zum Ausbau des Gesundheitswesens zu gewähren, wie es Italia Viva verlangt. Ob sich Renzi damit begnügt, ist fraglich. Das Konjunkturprogramm ist schon seit Wochen ein Zankapfel zwischen Conte und Renzi. Italia Viva, die 2019 aus Renzis Austritt aus der Demokratischen Partei (Partito Democratico/PD) entstanden ist, kommt laut jüngsten Umfragen auf nicht mehr als drei Prozent der Stimmen, ist jedoch für die Regierungsmehrheit im italienischen Senat nötig.

Rücktritte angedroht

Die beiden Ministerinnen aus den Reihen von Italia Viva – Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova und Familienministerin Elena Bonetti – haben wiederholt mit ihrem Rücktritt gedroht, sollte Conte ihre Forderungen nicht annehmen, darunter eine klare Aufstockung der Finanzierungen für das Gesundheitswesen. "Italien investiert in das Gesundheitswesen nur halb so viel wie Deutschland", kritisierte Renzi.

Der Ex-Premier forderte auch höhere Stützungsgelder für die von der Pandemie am härtesten betroffenen Wirtschaftssektoren. Um diese kostspieligen Maßnahmen zu finanzieren, sollte Italien laut Renzi auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zugreifen. Dagegen wehrt sich der Koalitionspartner Fünf Sterne vehement. Die populistische Gruppierung behauptet, Italien würde damit riskieren, sich wie einst Griechenland von der "Troika" aus Währungsfonds, EU und Zentralbank bevormunden zu lassen.

Regierungsumbildung wahrscheinlich

In die Debatte schaltete sich auch Präsident Sergio Mattarella ein, der die negativen Auswirkungen einer Regierungskrise in dieser heiklen Phase der Pandemie befürchtet. Eine solche Regierungskrise würde die Hilfen zur Bewältigung der Pandemie-Folgen verzögern. Conte und Renzi sollten den nationalen Interessen Vorrang einräumen und persönliche Differenzen und Parteipolitik hinten anstellen, sagte Mattarella laut Insidern.

Experten halten inzwischen eine Regierungsumbildung für den wahrscheinlicheren Ausgang des Konflikts, denn Italien könne sich in dieser Phase keine Regierungskrise erlauben. Mit einer Regierungsumbildung könnte Renzis Partei auf Kosten der Fünf Sterne-Bewegung mehr Gewicht im neuen Kabinett erlangen, die laut Umfragen seit den Parlamentswahlen 2018, bei denen sie als stärkste Einzelpartei hervorgegangen war, stark an Stimmen eingebüßt hat.

Mit am stärksten von der Pandemie betroffen

Die Oppositionsparteien beobachten den Streit in der Regierungskoalition argwöhnisch. "Wenn Conte nicht regieren kann, sind wir gern bereit, seinen Platz zu übernehmen", erklärte Lega-Chef Matteo Salvini. Auch die oppositionellen Mitte-Rechts-Parteien wollen dem Regierungschef ein Dokument mit ihren Vorschlägen für den "Recovery Plan" unterbreiten.

Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri kündigte indes ein neues Paket mit Maßnahmen in der Größenordnung von 24 Milliarden Euro zur Stützung der Wirtschaftssektoren an, die am stärksten von der Krise betroffen sind. Italien zählt mit über 78.000 Todesopfern zu den von der Pandemie am stärksten betroffenen Länder. Über 2,5 Millionen Menschen haben sich mit SARS-CoV-2 infiziert. (APA, 12.01.2021)