Natürlich bin ich befangen. Schließlich gehöre ich zu den wenigen, die das Dusika-Stadion tatsächlich kennen. Also auch von innen. Nicht als Besucher, sondern als "Athlet". (Wann und wieso "Sportler"/"Sportlerin" auf die Liste der irgendwie doch beleidigenden Begriffe gesetzt wurde, wäre auch mal eine spannende Betrachtung. Vielleicht ein anderes Mal.)

Ja eh: Ich bin Hobbyathlet, "Hobette", aber eben doch: Ich kenne "das Dusika". Hier habe ich etliche meiner schlimmsten, frustrierendsten und niederschmetterndsten Laufstunden verbracht. Auf der Bahn. Beim Winter- oder Schlechtwetter-Intervalltraining. "Sterben mit Anlauf" nannten wird das.

Foto: thomas rottenberg

Intervalltraining ist an sich schon grausam. Auf der Bahn ist es grausamer. Und "im Dusika" war es noch einmal so schlimm: Der Kreis, eigentlich das Oval, ist nicht 400, sondern 200 Meter lang. Der Boden federt. In der Kurve ist es ein bisserl schräg. Und es herrscht Hochbetrieb: Hier trainieren nicht nur "Hobetten" wie ich, sondern auch Spitzen- und Nachwuchssportler.

Auf engstem Raum. Nicht nur auf der vierspurigen Laufbahn, auch innerhalb davon: Weitsprung, Dreisprung, Hürdensprints, Stabhochsprung, Boden- und Geräteturnen. Außenrum "fliegen" Radfahrer durch die "Zentrifuge". So nennt man die 250 Meter lange Steilkurvenbahn.

Foto: thomas rottenberg

Wer zum ersten Mal aus den "Katakomben" (hier gibt es u. a. noch eine Kraftkammer) nach oben kommt, schnappt zunächst nach Luft. Nicht nur weil die viel zu trocken ist, sondern auch weil das Gewusel fast alle beim ersten Mal überfordert.

Es ist ein bisserl wie in alten Zirkusfilmen, in denen in mehreren aneinander andockenden Manegen gefühlt alles gleichzeitig stattfindet. Mit einem kleinen, aber wichtigen Unterschied: Wer hier nach oben steigt, ist selbst Darsteller. Oder Darstellerin. Denn dieser Zirkus hat kein Publikum. Meist nicht einmal dann, wenn "Vorstellung" ist.

Foto: ©Martin Granadia / https://www.169k.net

Aber dazu später. Bleiben wir zunächst noch beim Trainingsbetrieb hier: Menschen, die aus entwickelten Sportnationen nach Wien kommen, schütteln spätestens beim ersten Blick in die Runde den Kopf. Dabei haben sie da noch nicht einmal die Garderoben, die Duschen oder die Toiletten gesehen. Oder die aus Platzgründen unter den Tribünen, also eigentlich außerhalb der eigentlichen "Sportbereiche", auf- oder abwärmenden Gruppen. Die dort improvisierenden Geräteturner und -innen, Hochspringer und -innen oder Rollstuhlathletinnen und -athleten: So chronisch überbelegt wäre in Ländern, in denen Sport und Bewegung mehr als Lippenbekenntnisse von selbst übergewichtigen "Sportpolitikern" sind, nicht einmal ein Schulsport- oder -spielplatz. Dass Olympiastarterinnen (im Bild: Lemawork Ketema mit "Normalos") und -starter hier zwischen Kindern und Senioren Slalom laufen? "Are you kidding me?"

Foto: ©Markus Steinacher

Aber: Nein, auch wenn das Dusika-Stadion wie eine Parodie auf Spitzen- und Leistungssport wirkt, ist es kein Witz. Es ist der sportliche Offenbarungseid eines Landes, in dem Sport keine Wertigkeit besitzt – es sei denn, es handelt sich um Skifahren oder Fußball.

Und auch da geht es meist mehr ums Zusehen denn ums tatsächliche Aktivsein: Auch im "Dusika" wäre Platz für Zuschauer. 5500 könnten kommen – nur kommen sie nicht.

Ein Henne-Ei-Problem: Wenn Leichtathletik, Turnen oder Bahnradfahren medial und politisch zu Nischensportarten erklärt werden, die nicht einmal in den Kurzmeldungen auftauchen, wenn Österreicherinnen wie Sandrina Illes Weltmeistertitel (Duathlon) holen, ist es kein Wunder, wenn es dafür auch kein Publikum gibt.

Wer (auch und gerade als "Hobette") je im Dusika-Stadion trainiert hat, versteht das nicht nur, er oder sie spürt es.

Foto: Thomas Rottenberg

Wenn "die Politik" dann also beschließt, alles besser zu machen, klingt das zunächst einmal super. Etwa wenn schon im Herbst des Vorjahres Konzepte von "Sportstättenplänen" gewälzt und präsentiert werden: Dreistellige Millionenbeträge sollen also in den nächsten fünf Jahren in Wien investiert werden. Um Trainings- und Wettbewerbsbedingungen zu verbessern. Nein, nicht nur die der Fußballer. Auch die anderer Ballsportarten. Und letzte Woche wurde definitiv, was eh schon lange kein Gerücht mehr war: Das Dusika soll weg. Ersetzt werden. Damit hier Leichtathleten, Turner (natürlich immer mit -innen dazu) und irgendwie eh alle es in Zukunft besser haben.

Falls doch wer zuschauen kommen will, soll auch das möglich sein: Auf adaptiven, flexiblen und je nach Event- oder Bewerbsgröße schnell und unkompliziert größer oder kleiner aufbau- oder verschiebbaren Tribünen.

Gut so. Applaus.

Weil: Wirklich innig lieb hat "das Dusika" vermutlich niemand. Wenn man es abreißt und etwas Neues, Besseres, Funktionaleres an seiner Stelle hinstellt: 1000 Rosen.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Tücke liegt dann aber halt im Detail. Genauer in drei: Das erste ist die Frage, was in der Zeit zwischen Abriss und Neueröffnung passiert. Wo die Elite trainieren soll: Hobbysportler können, auch wenn es ungemütlich, nass und kalt ist und weniger Impact hat, im Winter schon auch im Freien ihre Intervalle laufen. Turnerinnen und Turner brauchen aber Infrastruktur, etwa ihre "Schnitzelgrube". Aber so etwas lässt sich lösen.

Das zweite Detail ist die Frage, wie oft, intensiv und lang Ballbewerbe und andere (eventuell sogar lukrative) Events mit Publikum auf den Tribünen dann den Trainingsbetrieb stören oder gar verhindern werden: Trotz anderslautender Lippenbekenntnisse gibt es da auch aus woanders in Österreich Worst-Practice-Beispiele. Aber auch das lässt sich lösen.

Foto: thomas rottenberg

Bleibt das dritte "Detail": die Radbahn. Die kommt in den "Dusika neu"-Plänen nämlich einfach nicht vor. Tatsächlich wenig überraschend: Gerüchte, dass Österreichs einzige Radhallenbahn gekillt werden könnte, gibt es schon lange. Bezeichnenderweise war es in den letzten Monaten aber nicht möglich, dazu aus dem Rathaus irgendein eindeutiges Statement zu bekommen.

Freilich: Wer politisches Nichtkommunizieren versteht, weiß, dass es selten Zufall ist, wenn (wie etwa auf meine einschlägigen Anfragen für einen Artikel im "Falter") die tatsächlich Zuständigen "auf Urlaub" oder nicht erreichbar sind: Die mit der Materie nicht vertrauten, aber vorgeschobenen Kollegen müssen nicht einmal bewusst lügen, wenn sie vage bleiben. Und zu Zeitpunkten, an denen Entscheidungen längst getroffen sein müssen, sagen, dass "noch nichts spruchreif" sei.

Foto: ©Martin Granadia / https://www.169k.net

Und wenn es dann wie vergangene Woche so weit ist, heißt es, dass man doch ohnehin mit allen Stakeholdern immer wieder Kontakt gehalten habe. Auch wenn die sich nur daran erinnern, höchstens abgeschasselt, hingehalten und nie tatsächlich involviert oder informiert worden zu sein (was zum Teil aber auch an Intrigen und Ignoranz in und zwischen Verbänden liegt).

Wobei das nach außen hin dann ohnehin nicht so wichtig ist. Schließlich lautet das offizielle Narrativ, dass im Dusika ohnehin kaum jemand auf der Bahn Rad fahre: Im November erklärte mir die Wiener Sportstätten Betriebsgesellschaft (WSB), dass insgesamt nicht einmal 250 Sportlerinnen und Sportler vor dem Lockdown regelmäßig das Stadion genutzt hätten – ausdrücklich inklusive Radfahrer.

Und diese Woche sagte Sportstadtrat Peter Hacker (SPÖ) da, dass trotz Anregungen durch den Verband kaum jemand auf der Bahn unterwegs sei. Hackers Sportamtschef legte eine Zahl nach: Gerade 16 Radfahrer pro Woche seien zuletzt im Kreis gefahren. Auf Deutsch: Keine Sau interessiert sich fürs Bahnradfahren.

(Dieses Bild ist aus dem November 2019 – also vor Corona.)

Foto: ©Martin Granadia / https://www.169k.net

Ob diese offiziellen Zahlen stimmen, kann ich nicht beurteilen. Vermutlich tun sie es sogar. Ich weiß allerdings, dass Radfunktionäre von "weit über 300 regelmäßigen Nutzerinnen und Nutzern" der "Zentrifuge" im Vorjahr sprechen. Dass sie sagen, die Radabstellräume seien bis zu einer Änderung der Einlagerungsbedingungen "proppenvoll" gewesen. Dass Schnupper-Bahnrad-Lehrer Florian Posch sagt, dass er an seinen 14 Absolute-Beginners-Kurs-Samstagen pro Jahr nie weniger als zwischen zwölf und 15 Teilnehmer und Teilnehmerinnen zählte. Dass nicht nur tschechische und slowakische Gruppen regelmäßig, sondern auch Rennradvereine aus ganz Österreich oft und gern Kurse und Sessions auf der Bahn buchten. Dass Radaktivisten wie der Radblogger Martin Granadia von "169k – Ein Radblog" von einer Renaissance und einem kleinen Boom des Bahnradfahrens sprachen.

Foto: ©Roland Grand

Freilich nur, solange das möglich war: Im Lockdown durften Nicht-Elitesportler Sporttrainingsstätten ja nicht betreten. Ich die Laufbahn ebenso wenig wie Amateurrennradler die Radbahn.

Doch schon vor dem Lockdown waren die Trainingszeiten auf der Radbahn "amateurunfreundlich" geändert worden: An Wochenenden, frühmorgens oder abends war das Radeln, heißt es seitens der verzweifelten Radcommunity, schon seit längerem so gut wie unmöglich.

Wer aber nur auf die aktuellen Zahlen schaut, wird ziemlich sicher wirklich klipp und klar sehen: Auf der Bahn war zuletzt wohl wirklich "tote Hose".

Foto: ©Martin Granadia / https://www.169k.net

Der Zug dürfte abgefahren sein. Das tut weh. Nicht weil Bahnradfahren noch auf meiner privaten Sport-to-do-Liste stand. Sondern weil hier eine Sportart, die keine große oder mächtige Lobby hinter sich hat, einfach ausradiert wird: Käme irgendjemand auf die Idee, die Existenzberechtigung von Skisprungschanzen an der Zahl der tatsächlich Aktiven festzumachen, wäre der Aufschrei ungleich lauter.

Aber wen interessiert schon Bahnradfahren?

Darum ist meine Freude darüber, dass mit dem Abriss des Dusika-Stadions die Chance besteht, dass Leichtathletik, Turnen und andere (in Österreich) Nischensportarten bessere Trainingsbedingungen bekommen, eher gedämpft.

Um es höflich zu sagen.

©Martin Granadia / https://www.169k.net

Und falls Sie sich oder mich jetzt fragen, was das alles mit Jedermann- und -frausport, mit unbeschwertem und fröhlichem Einfach-nur-Laufen zu tun hat:

Auf den ersten Blick gar nichts. Etliche Läuferinnen und Läufer wissen ja nicht einmal, was im Dusika alles los ist. Oder war.

Und genau das ist das Problem. Denn vielleicht hätte es einige ja sogar gereizt, einmal auszuprobieren, wie sich dieser eine, dieser nächste Schritt anfühlt.

Ich habe das Laufen "im Dusika" immer gehasst – aber ich möchte keine Runde, die ich dort gelitten habe, missen.

(Tom Rottenberg, 12.1.2021)

Radblogger Martin Granadia hat auf "169.net" soeben die Geschichte des Dusika-Stadions aus Radsicht noch einmal zusammengefasst – und auch die Rolle der Verbände kritisch durchleuchtet.

Foto: thomas rottenberg