Für ein Forschungsprojekt wurde ein eigenes "Forschungsfahrrad" von Hersteller Boréal mit umfangreicher Sensor- und Computertechnologie ausgestattet.

Foto: Boréal Bikes / Stuart Berman

Die Zukunft der Mobilität soll zu einem guten Teil dem Fahrrad gehören. Es zählt zum Lösungsportfolio im Kampf gegen die Klimakatastrophe und hat im vergangenen Jahr gezeigt, dass es auch und gerade in Pandemiezeiten zu den gesündesten Fortbewegungsmitteln gehört.

Das Potenzial steht allerdings im krassen Gegensatz zu der Rolle, die dem Fahrrad in vielen Verkehrssystemen zugestanden wird. Gegen mehrspurigen motorisierten Individualverkehr zieht der Drahtesel regelmäßig den Kürzeren – auch in Form von tatsächlichen Unfällen. EU-weit sinkt die Zahl der im Straßenverkehr getöteten und schwerverletzten Radfahrer nur leicht. Die für 2020 gesetzten Zielvorgaben zur Unfallreduzierung wurden nicht erreicht.

Während viele Bemühungen in die Richtung gehen, Rad- und Autoverkehr räumlich zu trennen, verfolgen die Forschenden im Projekt "Bike2CAV", das von der Salzburg Research Forschungsgesellschaft koordiniert wird, eine andere Strategie. Die Mittel der Digitalisierung, also fortgeschrittene Sensor- und Computertechnologien, wie sie bereits in autonomen Autos zum Einsatz kommen, sollen auch für mehr Sicherheit für Radfahrer sorgen.

Kooperationspartner von Salzburg Research beim Projekt sind das Austrian Institute of Technologie (AIT), die Universität Salzburg, das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) sowie die Unternehmen Kapsch Trafficcom, Boréal Bikes und die Online-Plattform Bike Citizens. Gefördert wird das Projekt durch das Klimaschutzministerium im Rahmen des Programms Mobilität der Zukunft der Förderagentur FFG.

Automatische Erkennung

"Wir berücksichtigen in unserer Forschungsarbeit drei Komponenten, die zum Schutz der Radfahrer beitragen sollen: die Infrastruktur, die die Verkehrsteilnehmer umgibt, Autos mit entsprechenden Assistenzsystemen und natürlich die Fahrräder selbst", erklärt Projektleiterin Cornelia Zankl von Salzburg Research. "Diese Bereiche sollen lernen, miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten, um beispielsweise ein Warnsystem für Radfahrer mit Daten zu versorgen."

Im Bereich der Assistenzsysteme für mehrspurige Fahrzeuge wird im Rahmen des Projekts etwa daran gearbeitet, Fahrräder besser automatisch erkennen zu können. "Viele der bisherigen Forschungsbemühungen zielten auf die automatisierte Erkennung von Fußgängern ab", erklärt Karl Rehrl von Salzburg Research, der wissenschaftliche Koordinator des Projekts.

"Gemeinsam mit Projektpartner AIT soll hier aufgeholt werden: Die Sensorsysteme an Bord der Autos müssen lernen, auch Radfahrer in allen ihren Erscheinungsformen, aus jedem Winkel, bei jedem Wetter und bei allen Lichtverhältnissen zu erkennen." Auch die Ankündigung von Richtungsänderungen durch die Radfahrer ist hier ein Thema. Dabei könnten sowohl Handzeichen für die Fahrzeugsysteme interpretierbar als auch eigene Blinksignale an den Rädern erprobt werden.

Kreuzung mit Kamera

Aufseiten der Straßeninfrastruktur sollen eigene Übersichtskameras getestet werden, die den Kreuzungsbereich im Fokus haben. Die dahinterliegenden Systeme sollen etwa analysieren, wenn sich zwei "Trajektorien", zwei Richtungsverläufe von Fahrzeugen, kreuzen, um Warnungen generieren zu können.

Die Kameraauflösungen sollen dabei so gewählt werden, dass auch Datenschutzanforderungen erfüllt sind, betont Rehrl: Verkehrsbewegungen sollen gut ableitbar, Gesichter oder Kennzeichen aber nicht identifizierbar sein.

Ein zentrales Element des Projekts ist die Frage, wie Fahrräder und E-Bikes mit smarter Sicherheitstechnik ausgerüstet werden können. Zu diesem Zweck wurde von Hersteller Boréal ein eigenes Forschungsfahrrad mit einer Reihe von Sensor-, Kommunikations- und Computersystemen ausgestattet.

"In dieser Form wird das Rad schon aus Kostengründen kaum auf den Markt kommen", schickt Zankl voraus. "Im Kontext des Forschungsprojekts macht die verbaute Systemvielfalt aber Sinn. Es soll klarwerden, welche der Sensortechnologien tatsächlich für Fahrräder geeignet sind."

Am Forschungsrad erfassen Stereokameras 3D-Bilder der Umgebung, die mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen ausgewertet werden, um Objekte identifizieren zu können. Dazu kommen Lidar-Sensoren, eine laserbasierte Abtastmethode, die Entfernungen zu Objekten in hoher zeitlicher Auflösung eruiert.

Ein besonders wichtiges System dient der Selbstlokalisierung im Verkehrsraum – es soll jederzeit klar sein, auf welchem Straßen- oder Kreuzungsteil das Rad genau unterwegs ist. Um die nötige Genauigkeit zu erreichen, werden hier Daten von Satellitennavigationssystemen und internen Bewegungssensoren kombiniert.

Neuer Funkstandard

Zur Kommunikation mit der Straßeninfrastruktur und anderen Fahrzeugen dient der neue FunkStandard ITS-G5, der speziell für den Mobilitätsbereich entwickelt wurde und bereits auch in ersten Serienautos verbaut wird, erklärt Rehrl. Bei dieser WLAN-ähnlichen Technik übermitteln die verschiedenen Verkehrsteilnehmer mehrmals pro Sekunde vordefinierte Daten, die etwa über Geschwindigkeit und Fahrtrichtung Auskunft geben. Die geteilten Daten sollen letztendlich in einer gemeinsamen Wahrnehmung verschmelzen, bei der Informationen zu Positionen, Geschwindigkeiten und Bewegungsrichtungen in Übereinstimmung gebracht werden.

Der Ansatz soll in dem bis 2023 laufenden Projekt auch im Feld unter Realbedingungen untersucht werden, erklärt Zankl. "Die Tests werden an zwei Kreuzungen durchgeführt, die mit den erwähnten Technologien ausgestattet werden – eine davon ist im urbanen, eine im ländlichen Raum. Dann werden wir uns relevante Verkehrsszenarien überlegen und diese immer wieder durchspielen, um das Zusammenspiel zu erproben." (Alois Pumhösel, 15.1.2021)