Zu viele Pannen, zu wenig Strategie: Eine Woche nachdem Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) einen zügigeren Impfplan "angeordnet" hat, zitierte die SPÖ Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) für eine Dringliche Anfrage ins Parlament.

Rendi-Wagner erklärte Gesundheitsminister Anschober im Parlament, dass vor dem Impfen auch die Bedenken der Menschen ausgeräumt werden müssen – er hielt daraufhin eine 50-minütige Rede.
Foto: Matthias Cremer

Doch bevor er die 21 Fragen zum "Impfchaos" beantworten konnte, erklärte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner Anschober am Mittwochvormittag im Nationalrat: "Wenn es um das Leben von Menschen geht, dann zählt jede Stunde." Dieses Virus kenne keinen Dienstschluss, dieses Virus kenne auch keine Feier- und Sonntage. Daher dürfe keine Zeit verloren und vorhandener Impfstoff gebunkert werden, anstatt ihn ehestmöglich zu verwenden.

Impfung als neue Chance

6.819 Menschen seien in Österreich bereits am oder in Verbindung mit dem Coronavirus verstorben, fast die Hälfte davon in Alters- und Pflegeheimen, rechnete die SPÖ-Chefin dem Gesundheitsminister vor. Die Folgeschäden für die Wirtschaft und die Arbeitslosigkeit seien obendrein immens und würden mit jedem Lockdown gravierender. "Die Impfung ist die Chance, den Spieß endlich umzudrehen."

Dafür müssten sich innerhalb kürzester Zeit möglichst viele Menschen impfen lassen. Um das zu erreichen, bräuchten sie aber Klarheit, was den Impfplan der Regierung betreffe. "Nur wenn das geschieht, kann Vertrauen geschaffen werden", mahnte Rendi-Wagner, früher für die öffentliche Gesundheit zuständig. Das Hin und Her der Regierung und ihr Zögern seien da hinderlich.

Eine schlechte Nachricht in ruhigen Worten

Gesundheitsminister Anschober überbrachte dann dem Parlament mit ruhigen Worten schlechte Nachrichten. Die britische Virusmutation gestalte die Lage sehr schwierig. Sie verbreite sich massiv in Europa, man rechne damit, dass die Infektionszahlen aufgrund des erhöhten Ansteckungsrisikos ansteigen werden. Etwa 70 Verdachtsfälle gebe es in Österreich. Das Tempo bei der Impfung hänge zudem von der Genehmigung weiterer Impfstoffe und den Liefermengen ab, die Österreich im Rahmen der EU-Beschaffung erhalte.

Deshalb hält Anschober den Vergleich mit Impfrekordhalter Israel für unangebracht. Die EU habe sich gemeinsam um den Impfstoff bemüht, um nationale Alleingänge zu unterbinden. Das hätte kleinere Länder wie Österreich bei der Beschaffung vielleicht schlechter aussteigen lassen.

Fast 53.000 Menschen seien hierzulande bisher geimpft worden, erklärte Anschober. Die geplanten Impfstraßen sollen für schnellere Impfungen sorgen. In den derzeit priorisierten Pflegeheimen sei etwa die Besachwaltung von Bewohnerinnen und Bewohnern eine Herausforderung. Eine durchaus interessante Erkenntnis brachte Anschober bei der Beantwortung der 21 Fragen, die die Sozialdemokraten an ihn richteten: Für unter 16-Jährige sei die Impfung noch nicht freigegeben, da es noch zu wenig Studien darüber gebe, wie verträglich diese für Kinder ist.

"Spürts ihr euch noch?"

In Rage redete sich anschließend der rote Gesundheitssprecher Philip Kucher, nachdem Anschober seiner Ansicht nach die Performance der Regierung zu gut dargestellt habe. ÖVP und Grüne hätten sich in den vergangenen Wochen mehr um PR-Auftritte bemüht, etwa wie man mit Black-Hawk-Hubschraubern die Dosen in die Bundesländer bringe, als Vorbereitungen für die Impfaktion zu treffen. "Spürts ihr euch noch?", polterte Kucher in Richtung Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), die ebenfalls auf der Regierungsbank saß. "Da geht es um Menschenleben!"

Die türkise Gesundheitssprecherin Gabriele Schwarz hielt ihrem Kontrahenten entgegen, dass dieser doch nur glücklich sei, wenn er möglichst oft Sebastian Kurz in einer Rede erwähnen könne. Die Freiheitlichen taten wenig später mit "Kurz muss weg"-Taferln ihre Meinung kund, die auf Druck von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nach etwas mehr als 30 Sekunden wieder verschwinden mussten.

Blaue Provokationen und pinke Spitzen

Für den blauen Klubobmann Herbert Kickl sind die Impfungen ein "Massenexperiment". Bisher sei nicht klar, wie sehr der Impfstoff wirke, das begründe auch die Skepsis der Bevölkerung. In Israel werde zwar im Eiltempo geimpft, die Infektionszahlen würden sich aber weiterhin in bedrohlichen Höhen bewegen. Und er reimte in Richtung Anschober: "Rudi, Rudi, gib acht, Rendi-Wagner will an die Macht!" – und Kurz habe ihr womöglich schon ein Angebot gemacht.

Eine andere Spitze konnte sich Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger wegen Anschobers 50-minütiger Rede nicht verkneifen. Je länger der Gesundheitsminister schwadroniere, meint sie, desto mehr dürfte in seinem Ressort schieflaufen. Anschober hätte aus ihrer Sicht im Nationalrat über das Impfen und die damit verbundene Strategie reden sollen – die sei für Meinl-Reisinger allerdings bis heute nicht erkennbar, es fehle ihm an Leadership. (Jan Michael Marchart, Nina Weißensteiner, 13.1.2021)