Sehr gesprächig: Krähen.

Foto: Richard Bartz

Ein bisschen kennen wir uns schon. Da ist die Krähe, die fast blind ist, die oft die Nuss kaum findet, die ich ihr hinwerfe. Und da ist die zerzauste Krähe, die besonders laut kräht, um ihre Freunde zu holen, weil es Futter gibt. Und dann gibt es auch noch die tiefschwarze Krähe, die mir den Weg abschneidet, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin. Sie setzt sich an den Wegrand und schaut mich frech an: Her mit der Nuss!

Wer sich mit Krähen beschäftigt, merkt schnell: Sie sind Persönlichkeiten, sehr individuell vom Aussehen und Verhalten. Sie haben etwas Spielerisches und sind neugierig. Wir checken sie aus, sie checken uns aus. Bereits während des ersten Lockdowns war ich viel im Prater spazieren und hatte meine Freude daran, Krähen zu beobachten. Den zweiten Lockdown habe ich genutzt, sie besser kennenzulernen.

Und ich war nicht die Einzige, die ihre Liebe zu Krähen entdeckt hat. Die Radiojournalistin Alexandra Augustin hat auf Instagram ihren Alltag mit einem Krähenmännchen dokumentiert, das täglich zu ihr auf die Terrasse kommt, um sich Nüsse zu holen. Sie hat ihn Herbert genannt. Mit der Zeit kamen auch Herberts Partnerin und ihr gemeinsames Baby. Auch die Wiener Illustratorin und Keramikkünstlerin Onka Allmayer-Beck freute sich über schwarz gefiederten Besuch auf dem Fenstersims.

Seltene Besucher

Krähen gehören zu Wien wie die schlechte Laune und der Stephansdom. Sie sind da, aber man übersieht sie oft, weil sie so selbstverständlich geworden sind. Besonders im Winter prägen die Saatkrähen das Stadtbild – lange waren die Steinhofgründe und der Prater ihre bevorzugten Schlafplätze. Bis zu 200.000 haben früher die kalte Jahreszeit in Wien verbracht. Von alten Menschen werden die weitgereisten Wintergäste nach wie vor gern als Russen bezeichnet. Mittlerweile sind es nur mehr maximal 50.000, die bei uns überwintern. Schuld daran ist der Klimawandel, es wird immer wärmer, sie müssen nicht mehr so weit fliegen. Und es gibt riesige Mülldeponien in Russland, wo sie ausreichend Futter finden.

Tratsch unter Krähen

In Wien kann man drei Arten von Krähen sehen, die erwähnte Saatkrähe, die Rabenkrähe (schwarz) und die Nebelkrähe (grau), die beide als Aaskrähen gelten. Spannend ist, dass Raben- und Nebelkrähen in Wien aufeinandertreffen und sich hier auch verpaaren. Daraus entstehen Hybride mit unterschiedlichen Eltern.

Ich habe viel von den gigantischen Schlafplätzen der Saatkrähen gehört und möchte wissen, wo sie im Moment gerne übernachten. Deshalb treffe ich Martin Riesing, der die Online-Plattform bird.at betreibt, ein Forum für "Ornis", also Vogelbeobachter. Er kommt trotz Eiseskälte mit dem Fahrrad – Vogelkundler sind abgehärtet. Und hat, wie es sich für einen Birder gehört, Ferngläser für uns beide dabei. Aber die Vögel sind auch mit freiem Auge gut zu sehen und deutlich zu hören. Sie kreisen in riesigen Schwärmen am Himmel oder hängen wie Trauben an den Bäumen des leeren Arbeiterstrandbads.

Die Gegend um die U1-Station Alte Donau wird im Winter rund eine Stunde vor Sonnenuntergang zum Sammel- und Austauschplatz. "Jetzt wird gequatscht, gekotet und geputzt", erzählt Riesing. Jeden Nachmittag treffen sich unzählige Krähen hier, um dann zu ihren Schlafplätzen zu fliegen. Doch zuvor muss jeder noch erzählen, was er tagsüber erlebt hat. "Wir gehen davon aus, dass sie hier wichtige Informationen austauschen. Wo gibt es noch Nüsse zu erbeuten? Wie geht es euch? Krähen sind sehr soziale Wesen. Und sie sind sehr verspielt."

Über dem DC Tower versuchen gerade drei Krähen, punktgenau auf der Spitze zu landen, was bei starkem Wind gar nicht einfach ist. Es herrscht geschäftige Aufregung. Man hat das Gefühl, alle reden zur selben Zeit. Bis es kurz vor fünf wieder leiser wird. Erste Gruppen fliegen zu den niedrigeren Bäumen hinter der Uno-City, dort ist es ruhig und dunkel. Beides ist wichtig für die Tiere, um zur Ruhe zu kommen.

Die Unbeliebten

"Jeder kennt sie, kaum einer mag sie." So beginnt das Krähenporträt der Naturkunden-Reihe von Matthes & Seitz des deutschen Biologen und Journalisten Cord Riechelmann. Krähen sind beinahe überall auf der Welt zu finden, vor allem dort, wo Menschen leben. "Man könnte auch sagen: Die Kulturgeschichte der Menschen vollzieht sich unter der Beobachtung der Krähen", schreibt Riechelmann.

Aber warum sind sie dermaßen unbeliebt? Viele Mythen reihen sich um diese schwarzen, unheimlichen Vögel, die oft mit dem Tod assoziiert werden. Raben (das sind größere Vertreter der Corvidae) folgten bereits den Wikingern, sie verzehrten das Aas auf den Schlachtfeldern. Für viele Menschen waren sie deshalb Unglücks- und Todesboten. Rabenvögel wurden lange gehasst und gejagt, 1979 beschloss das Europäische Parlament in der Europäischen Vogelschutzrichtlinie, dass alle Singvögel ausnahmslos unter Schutz zu stellen sind. Damit waren auch die Krähenvögel in Sicherheit.

Bereits Konrad Lorenz, der mit seinen Graugänsen berühmt wurde, war in seinen Anfangsjahren von Krähen fasziniert. In den 1920er-Jahren war es ihm gelungen, in einer Dohlenkolonie als einer von ihnen akzeptiert zu werden. Riechelmann beschreibt in seinem Buch ausführlich, wie intelligent Krähen sind. Das berühmteste Beispiel sind die Krähen von Tokio, die als Erste entdeckt haben, wie man Autos nutzen kann, um Nüsse zu knacken: Sie legten ihre Nüsse vor rote Ampeln und warteten, bis die Autos wieder grün hatten und über die Nüsse fuhren. Mittlerweile hat man ein ähnliches Verhalten auch in Kanada und München beobachten können.

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Nicht nur Sprache, auch Zahlen sind dem schönen Tier nicht unfremd.
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Krähen können zählen

Gerade passiert viel in der Krähenforschung, man weiß schon länger, dass sie in der Lage sind, Werkzeuge einzusetzen, um an Futter zu gelangen. Jüngst hat eine Studie vom Institut für Neurobiologie an der Universität Tübingen bewiesen, dass Aaskrähen über eine Art von Bewusstsein verfügen, das auf subjektive Wahrnehmung schließen lässt. Sie nehmen Reize ähnlich wahr wie Menschen. Obwohl ihr Gehirn völlig anders aufgebaut ist als unseres, zählen Krähen genauso wie wir. Natürlich können sie sich auch Gesichter merken. Und sie können ziemlich wütend und nachtragend sein, wie der Biologe John Marzluff 2011 erleben musste: Er hat Krähen eingefangen, um sie zu markieren. Zwei Wochen danach beschimpften ihn rund 26 Prozent der Krähen, drei Jahre später 66 Prozent. Das heißt, die Krähen hatten sich untereinander ausgetauscht und ihre Artgenossen vor dem Forscher gewarnt. Krähen können sich aber auch an Menschen erinnern, die nett zu ihnen waren.

Der empfehlenswerte Podcast Superscience Me beschäftigt sich in seiner 23. Folge mit Krähen und bringt zahlreiche Beispiele dafür, wie sich Krähen verhalten. In der universitären Forschungsstation im Haidlhof in Niederösterreich werden die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten von Raben und Krähen untersucht. Thomas Bugnyar, der Leiter der Forschungsstation, erzählt im Podcast, dass Krähen und Raben bei der Begrüßung unterscheiden, ob es sich um einen Freund oder nur einen Bekannten handelt, den man nicht sonderlich mag. Die Raben, die per Hand aufgezogen wurden, gehen bei ihm in die Schule.

Smarter als Vierjährige

Und, wie bei den Menschen, manchmal kommt es zu Betrügereien. Wenn zwei Krähen zusammenarbeiten, um zwei Stück Käse zu erbeuten, dann erwarten sie sich, dass gerecht geteilt wird. Ist dies nicht der Fall, weigert sich die benachteiligte Krähe, weiterhin mit dem egoistischen Partner zu kooperieren. Interessant ist auch, dass Krähen erstaunlich geduldig sind. Wenn sie ein Leckerli gegen ein besseres austauschen können, haben sie so viel Selbstdisziplin, dass sie freiwillig mehrere Minuten warten. Ein Verfahren, das übrigens zuerst für Kinder entwickelt wurde und als Marshmallow-Test in die Geschichte einging. Raben und Krähen schneiden dabei so gut ab wie Menschenaffen und sogar besser als vierjährige Kinder.

Vielleicht sollten wir die Rollen öfter mal umkehren und bei den Krähen in die Schule gehen. Ich freue mich jedenfalls auf mein nächstes Nachsitzen im Prater. (Karin Cerny, 14.1.2021)