Der Regierungssitz im Palazzo Chigi war am Dienstag in den Landesfarben beleuchtet.

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Matteo Renzi mit Agrarministerin Teresa Bellanova (rechts) und Familienministerin Elena Bonetti.

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"Die Demokratie hat ihre Spielregeln, und wenn diese verletzt werden, dann muss jemand den Mut haben zu sagen, dass der König ist nackt ist", erklärte der ehemalige Regierungschef Matteo Renzi am Mittwochabend. In der Folge gab er den Abzug seiner beiden Ministerinnen Elena Bonetti (Familie und Gleichstellung) und Teresa Bellanova (Landwirtschaft) aus dem Kabinett von Giuseppe Conte bekannt. Er warf Conte vor, permanent mit Notrecht zu regieren und damit das Parlament zu umgehen. Außerdem bezichtigte er Conte des Populismus, weil dieser "sich statt auf die Arbeitslosenzahlen auf seine Umfragewerte" konzentriere.

Ohne Renzis Partei Italia Viva haben die Regierungsparteien – die Fünf-Sterne-Bewegung, der sozialdemokratische PD und die linke Partei Liberi e Uguali (LEU) – im Senat keine Mehrheit mehr. Italien befindet sich damit formell in einer Regierungskrise – und das mitten in der zweiten Welle der Covid-Pandemie mit täglich hunderten von Toten und einem Teil-Lockdown. Am Mittwoch ist die Zahl der Covid-Toten auf 80.000 gestiegen.

Der Konflikt zwischen Renzi und Conte schwelte schon seit Wochen. Die größten Meinungsverschiedenheiten bestanden bezüglich der Verwendung der von der EU in Aussicht gestellten Finanzhilfen des Recovery Funds in Höhe von 209 Milliarden Euro für Italien und um einen Kredit aus dem europäischen Rettungsfonds ESM.

Conte tritt nicht zurück

Wie es in Rom nun weitergehen wird, war zunächst unklar. Regierungschef Conte hat vorerst keine Anstalten gemacht, zurückzutreten. Dies wäre eigentlich üblich, wenn die Exekutive im Parlament keine Mehrheit mehr hat. Einen möglichen Ausweg aus der Krise ohne Rücktritt Contes könnte die Ausarbeitung eines "Pakts bis zum Ende der Legislatur 2023" darstellen, auf den sich die bisherigen Regierungsparteien, Italia Viva eingeschlossen, in den nächsten Tagen einigen. Dies würde es Conte erlauben, in der bisherigen Zusammensetzung der Koalition weiterzuregieren, eventuell auch mit der Neubesetzung einiger Ministerposten. Sowohl Conte als auch Renzi hatten gestern signalisiert, dass sie für entsprechende Gespräche bereit wären.

Ob diese zum Erfolg führen, ist aber mehr als ungewiss: Conte und Renzi trennen nicht nur politische Meinungsverschiedenheiten, sondern – und das scheint letztlich das Hauptproblem zu sein – auch eine innige gegenseitige Abneigung. So oder so ist nun, wie immer bei Regierungskrisen, Präsident Sergio Mattarella am Zug. Und das Staatsoberhaupt wird alles unternehmen, um die lähmende Ungewissheit so rasch wie möglich zu beenden.

Zahlreiche Möglichkeiten

Sollten die Gespräche über den Legislaturpakt scheitern, lägen diverse andere Möglichkeiten auf dem Tisch: Mattarella könnte Conte auffordern, mit anderen Parteien die Möglichkeit einer neuen Koalition auszuloten und sich anschließend mit der neuen Regierungsmannschaft im Parlament einer Vertrauensabstimmung zu stellen.

Möglich wäre aber auch die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit mit einem anderen Premier an der Spitze. Das würde genau dem Szenario entsprechen, das Renzi mit seinem Manöver letztlich bezwecken will. Als Kandidatin für die Führung einer neuen Regierung gehandelt wird die Rechtsprofessorin und ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichts Marta Cartabia – sie wäre die erste Frau an der Spitze einer italienischen Regierung. Als weiterer Kandidat gilt der frühere EZB-Chef Mario Draghi. Sollten sich diese "parlamentarischen" Lösungen als nicht praktikabel erweisen, müsste Mattarella das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen.

Angesichts der Pandemie und der riesigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme Italiens werden Neuwahlen für ihn aber nur als Ultima Ratio in Betracht kommen. Auch die allermeisten Parlamentarier wollen keinen neuen Urnengang: Seit den letzten Wahlen im März 2018 ist die Zahl der Sitze in den beiden Parlamentskammern von über 900 auf 600 verkleinert worden. Viele Volksvertreter müssten um die Wiederwahl und damit um ihre üppigen Gehälter und Privilegien bangen.

Am meisten zittern die Fünf Sterne: Sie waren 2018 stärkste Partei mit über 300 Abgeordneten und Senatoren geworden und sind in den Umfragen abgestürzt. Bei Neuwahlen würden wohl zwei von drei "Grillini" abgewählt – im für sie besten Fall. Auch der inzwischen äußerst unpopuläre Renzi – in Umfragen kommt seine Partei auf zwei bis drei Prozent – hätte bei Neuwahlen viel zu verlieren. (Dominik Straub aus Rom, 13.1.2021)