2020 starben über 90.000 Leute in Österreich.

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Wien – Die Corona-Pandemie hat den stärksten Rückgang der Lebenserwartung seit Beginn der Aufzeichnungen 1951 ausgelöst. Während wir es in den letzten Jahren gewohnt waren, immer älter und älter zu werden, gibt es nun erstmals einen massiven Knick in der Lebenserwartungsstatistik.

Grund dafür ist eine sehr hohe Übersterblichkeit in den letzten Wochen des Jahres 2020. Neue Daten der Statistik Austria zeigen, dass im gesamten Vorjahr etwa zehn Prozent mehr Menschen starben als im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Insgesamt waren es rund 90.000. Der Anstieg der Zahl der Sterbefälle betraf Männer (plus 13,7 Prozent) in deutlich stärkerem Umfang als Frauen (plus 8,2 Prozent).

Stärkste Auswirkung seit 70 Jahren

Konkret heißt das, dass ein Mann, der heute in Österreich geboren wird, im Durchschnitt 78,9 Jahre lang leben wird. Bei einer Frau sind es durchschnittlich 83,7 Jahre. Noch 2010 lag die Lebenserwartung bei 77,7 beziehungsweise 83,1 Jahren. Seit 70 Jahren werden Daten wie diese durchgehend aufgezeichnet. "Und das ist der stärkste Rückgang, den wir jemals erlebt haben", sagt Statistiker und Demograf Alexander Hanika.

Anders formuliert: In den letzten 70 Jahren ist in Österreich nichts passiert, was derartige Auswirkungen auf die Todeszahlen hatte. "Immer wieder wurde die Gefahr diskutiert, die von Aids ausgeht", sagt Hanika, "auch da hatte man Angst, dass sich das zu einer Pandemie ausweitet. Aber das hat sich nicht auf die Lebenserwartung der Leute ausgewirkt." Dazu, ob die spanische Grippe ähnliche Effekte hatte wie das Coronavirus, könne man leider keine Einschätzungen treffen, sagt Hanika, damals habe es einerseits keine Volkszählungen gegeben, andererseits wurden die Daten von Kriegsereignissen überlagert.

"Was wir schon erlebt haben, ist, dass etwa in Grippejahren die Lebenserwartung um 0,2 oder 0,3 Jahre zurückgeht, aber das wurde immer sehr schnell kompensiert", sagt Hanika. Das heißt: War die Grippewelle vorbei, normalisierte sich auch die Lebenserwartung wieder. Ob dem auch in der aktuellen Phase so ist, hängt laut Hanika davon ab, wie man die Corona-Krise medizinisch in den Griff bekommt. Offen sind außerdem noch "die möglichen Langfristfolgen überstandener Corona-Erkrankungen", wird Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas in einer Aussendung zitiert.

Übersterblichkeit im Dezember extrem hoch

Während der ersten Welle der Coronavirus-Pandemie wurde kaum eine Übersterblichkeit verzeichnet. Das änderte sich spätestens im Dezember jedoch schlagartig. In der 49. Kalenderwoche starben fast 60 Prozent mehr Menschen als im Vergleichszeitraum der letzten fünf Jahre. In der Woche nach dem 30. November starben laut Statistik Austria 2.543 Personen. "Der Anstieg hat uns überrascht, eigentlich überrollt", sagt Hanika. Die vielen Toten dürften eine Auswirkung jener Infektionen sein, zu denen es vor dem zweiten Lockdown kam – in jener Zeit, als Österreich über 8.000 Neuinfektionen täglich verzeichnete.

In den letzten drei Wochen des Jahres 2020 lagen die Werte zwar weiterhin auf verhältnismäßig hohem Niveau, waren aber bereits leicht niedriger als zu den Spitzen der starken Grippewelle im Jänner 2017, heißt es von der Statistik Austria. Die Todeszahlen, mit denen die Lebenserwartung errechnet wird, sind übrigens Schätzungen. Ausständig sind noch Einmeldungen von Standesämtern und Sterbefälle von Österreicherinnen und Österreicherinnen im Ausland. Hanika glaubt aber nicht, dass es noch zu groben Verschiebungen kommen werde.

Deutlicher Unterschied von Herbst und Frühling

Auch das europäische Mortalitätsmonitoring Euromomo weist für Österreich seit Anfang November eine hohe bzw. sehr hohe Übersterblichkeit aus. Damit unterscheidet sich die zweite Infektionswelle im Herbst deutlich von der ersten im Frühjahr. Damals hatte Euromomo für Österreich nur eine leichte Übersterblichkeit festgestellt.

Laut Daten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) sind seit dem Ausbruch der Pandemie 6.826 Menschen in Österreich entweder direkt an den Folgen einer Covid-Erkrankung oder nach einer Covid-Infektion gestorben, davon 6.312 im Jahr 2020. Gemessen an der Einwohnerzahl am stärksten betroffen ist die Steiermark mit 118 Corona-Toten pro 100.000 Einwohner, danach kommen Kärnten (97) und Oberösterreich (83). Am geringsten ist der Anteil in Niederösterreich und Vorarlberg mit je 59 Corona-Toten pro 100.000 Einwohner. (elas, APA, 14.1.2021)