Die Braune Nachtbaumnatter hat sich als Bioinvasorin äußerst unbeliebt gemacht, insbesondere auf Guam und Hawaii.
Foto: Bjorn Lardner, United States Geological Survey

Vier verschiedene Fortbewegungsweisen von Schlangen hat man bisher gekannt. Und nein, den Schwanz ins Maul zu nehmen und wie ein Reifen einen Abhang hinunterzurollen gehört nicht dazu: Die Hoop snake oder "Reifenschlange" ist nur ein nordamerikanisches Märchen, das sich im Umweg über "Donald Duck" auch in den Köpfen deutschsprachiger Comic-Leser eingenistet hat.

Erweiterte Palette

Es bleiben Schlängeln, Seitenwinden, gerades Kriechen und die sogenannte Ziehharmonika-Bewegung – für jede dieser Bewegungsformen setzen die gliedmaßenlosen Tiere ihre Muskeln auf unterschiedliche Weise ein, im Grunde eine erstaunliche Vielfalt. Doch dazu kommt nun auch noch die sogenannte Lasso-Bewegung, die US-amerikanische Forscher im Fachjournal "Current Biology" vorgestellt haben und die allein zum Klettern dient.

Dafür zieht die Schlange die hintere Körperhälfte um einen Stamm zusammen und schiebt diese Schlinge dann durch kleine Muskelbewegungen langsam, aber stetig nach oben. Tom Seibert von der Colorado State University berichtet, er und seine Kollegen wären fast von den Stühlen gefallen, als sie dieses noch nie zuvor beobachtete Verhalten in einer Videoaufnahme sahen.

Bruce Jayne

Normalerweise würden bei Biologen die Sektkorken knallen, wenn sie den fast ein Jahrhundert lang gleich gebliebenen Wissensstand über das Verhaltensrepertoire einer Tiergruppe plötzlich erweitern können. Doch hier ist die Freude gedämpft. Der Grund: Die Schlange mit dem Lasso-Trick ist ausgerechnet eine Spezies, die auf den weltweiten Listen gefährlicher Bioinvasoren ganz weit oben steht.

Die über zwei Meter lange Braune Nachtbaumnatter (Boiga irregularis) ist eigentlich in Nordaustralien und der vorgelagerten Inselwelt beheimatet. Doch wurde sie vom Menschen unabsichtlich auf verschiedenen Pazifikinseln eingeschleppt, wo sie sich mangels natürlicher Feinde ungehemmt vermehren konnte. Erwachsenen Menschen können die nachtaktiven Giftschlangen nicht gefährlich werden, arglose Vögel hingegen fallen ihnen in katastrophalem Ausmaß zum Opfer.

Katastrophenschauplatz Guam

Besonders schlimm hat es die Insel Guam erwischt, die die Braune Nachtbaumnatter in den 1940er oder 1950er Jahren erreicht hat, aller Wahrscheinlichkeit nach als blinder Passagier US-amerikanischer Truppentransporte. Die Populationen der dortigen Waldvögel hat sie fast zur Gänze ausgerottet – nur von zwei Spezies gibt es noch Restbestände, die Artenschützer mit allen Mitteln zu erhalten versuchen.

Einmal mehr kann man nur zitieren: Das Leben findet einen Weg ...
Foto: Tom Seibert, Colorado State University

Auf Guam war es auch, wo man die Lasso-Bewegung nun festgestellt hat. Ein Team um Julie Savidge von der Colorado State University montierte Kameras mit Blick auf – vermeintlich – geschützte Nistplätze für Karolinenstare, eine der verbliebenen Vogelspezies. Um die Pfosten, auf denen man die Nistgelegenheiten angebracht hatte, waren einen Meter breiten Bleche montiert worden. Deren glatte Oberfläche macht kleinen Tieren das Klettern normalerweise unmöglich, die Maßnahme funktioniert bei Schlangen so gut wie bei Waschbären. Trotzdem hatte man auf Guam immer wieder geplünderte Starennester gefunden, also musste der Videobeweis her.

Bisher war nur bekannt, dass Schlangen in der Regel mit der Ziehharmonika-Bewegung auf Bäume klettern. Dafür legt sich das Tier in enge Schleifen, streckt den vorderen Körperteil nach vorne und zieht den hinteren nach. Ist der Stamm zu glatt, findet sie damit aber nicht genug Grip. Mit einer Lassoschlinge hingegen hat sie auf einer wesentlich größeren Oberfläche Kontakt und findet damit genug Halt, dass sie nicht abrutscht.

Beharrlich!

Einziger Nachteil der Methode: Sie ist extrem mühsam. Die Muskelbewegungen innerhalb der Lassoschlinge schieben die Schlange immer nur ein winziges Stücken weiter, kosten aber trotzdem viel Kraft. Die Forscher konnten beobachten, dass die Schlangen immer wieder Pausen einlegen mussten und schwer atmeten. Doch darf man die Zielstrebigkeit eines Jägers, der seine Beute im Visier hat, offenbar nicht unterschätzen.

Immerhin weiß man jetzt, wie die Nattern vermeintlich schlangensichere Pfosten erklimmen – oder auch Strommasten. Die schuppigen Kletterer haben auf Guam in der Vergangenheit nämlich immer wieder für Stromausfälle gesorgt. Mittelbare Folge der Studie werden neue Schutzkonstruktionen sein, die die Schlangen so frustrieren, dass die Infrastruktur sowohl für Vögel als auch für Menschen sicher bleibt. (jdo, 18. 1. 2021)