Verstörende Bilder von Passionsspielen in Mexiko. Dass diese Gefühle von Atheist*innen verletzen könnten, würde allerdings kaum jemand behaupten. Warum eigentlich?

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Der Ausruf war in jeder Hinsicht passend. "Um Himmels willen! Ich werde mich nicht schuldig bekennen, religiöse Gefühle verletzt zu haben!", rief Elżbieta P., als sie mit ihrer Joanna G. in Polen vor Gericht saß – weil die beiden Frauen einem Bild der Jungfrau Maria einen regenbogenfarbenen Heiligenschein verpasst und damit auf einer Demo protestiert hatten. Die Regenbogenfarben symbolisieren bekanntlich den Kampf von Menschen unterschiedlichster sexueller Orientierung für Gleichberechtigung. Wenn dieser Kampf mit der Muttergottes in Verbindung gebracht wird, ist also Feuer auf dem Dachstuhl der "religiösen Gefühle" – zumindest im strengkatholischen Polen.

Doch man könnte getrost fragen, wer sich durch so eine Anzeige eigentlich beleidigt fühlen könnte: Katholik*innen, die ihre Jungfrau Maria durch einen Kampf gegen Diskriminierung geschändet fühlen? Oder nichtheterosexuelle Menschen, deren Einsatz für ihre Rechte ein katholisch geprägtes Land inklusive Justiz als Beleidigung auffasst? Ist es nicht vielmehr beleidigend, das als Beleidigung aufzufassen?

Nun, in einem Land, das sich eigentlich zur Trennung von Kirche und Staat bekennt, offenbar nicht. Dieses noch junge Beispiel aus Polen ist nur eines unter vielen dafür, wie schlecht wir bei der Trennung von Kirche und Staat sind. In den EU, in den USA und generell in der sogenannten westlichen Welt.

Schwachstellen unseres Laizismus

Im Herbst 2020 entschied das Oberste Gericht – wieder in Polen –, dass eine weitere Verschärfung des dortigen Abtreibungsgesetzes zulässig ist. Es ist schon ohne Verschärfung eines der strengsten in Europa. Immerhin konnten massive Proteste der Bevölkerung erwirken, dass die rechtskonservative Regierung die Umsetzung des Verbots fürs Erste verschoben hat. "Polen hat eine starke katholische Tradition", so oder so ähnlich werden Berichte über derlei gern begründet. Aber warum eigentlich? Ist es nun ein von Religion unabhängiger Staat, oder ist es doch eine Regierung, deren Mitglieder Politik und Katholizismus nicht trennen können? Ein Staat, der die Verletzungen nur aufseiten religiöser Gefühle sieht, aber die Menschenrechte aller – auch die der Atheist*innen – nicht wahrnehmt?

Abtreibung und Politik: Darin zeigen sich die Schwachstellen unseres Laizismus wohl am deutlichen. Erst am Dienstag wurde etwa in Deutschland das Urteil gegen die Ärztin Kristina Hänel bestätigt, die auf ihrer Website darüber informiert hatte, dass sie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführt. In Deutschland herrscht ein "Werbeverbot" für Schwangerschaftsabbrüche, das auch impliziert, dass Ärzt*innen nicht – etwa auf ihrer Website – darüber informieren dürfen, ob sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Dieses Verbot mutet gerade so an, als ob Frauen eher abtreiben würden, wenn sie nur wüssten, wo. Auch so kann man einer Gesellschaft vermitteln, Frauen würden über keinerlei Urteilsvermögen verfügen, und Mutterschaft sei ihre ihnen angeborene Rolle. Hätte sich ein Staat von den tiefen Furchen katholischer Ideen über die Rolle von Frauen befreit, wäre wohl ein solches Gesetz längst nicht mehr zu halten.

Zum Mamasein beraten

Und damit sind wir in Österreich und etwa bei Politiker*innen der ÖVP, die sich ganz bewusst in die Tradition katholischer Moralvorstellungen stellen. Weniger wenn es um das Leben von geflüchtete Menschen geht, aber umso mehr, wenn es um Vorstellungen von Frauen- und Familienleben geht. Vertreter*innen der katholischen Kirche, aber auch kirchennahe Vereine meinen, Frauen müssten nur intensiv genug beraten werden oder irgendwelche Hilfe in Aussicht gestellt bekommen, dann würden sie sich schon für die Mutterschaft entscheiden, die sie weder planten noch wollten. Diese permanente Verhinderung eines legalen und niederschwelligen Zugangs zum Schwangerschaftsabbruch mit sanft daherkommenden Mitteln müssen sich Atheist*innen seit den 1970er-Jahren ansehen. Unsere Gesetzgebung hinsichtlich Schwangerschaftsabbruch hat sich seither kein bisschen in eine progressivere Richtung verändert. Stattdessen müssen wir froh sein, dass die Fristenregelung gerade einmal so hält, wie sie ist.

Die USA hingegen könnten den Status quo sogar verlieren. Und wieder ist eine unselige Allianz zwischen Kirche und Staat dafür verantwortlich. Auch wenn Donald Trump seit Mittwoch nur mehr Ex-Präsident ist: Ihm haben vor vier Jahren strenggläubige Katholik*innen, Evangelikale und andere Freikirchler*innen maßgeblich zum Sieg verholfen. Zum Dank hat er die erzkonservative Katholikin Amy Coney Barrett in den Obersten Gerichtshof gehievt, wo sie nun mit konservativer Mehrheit viele Jahre Zeit hat, am Grundsatzurteil Roe v. Wade zu sägen, das das Verbot von Abtreibung in den USA verbietet.

Knietief in katholischer Politik verhaftet

Doch kehren mit der lange Liste von Beispielen zur Verquickung von Staat und religiösen Grundsätzen noch einmal nach Österreich zurück: Zu Weihnachten durften sich trotz sehr hoher Infektionszahlen zehn Personen aus zehn Haushalten treffen. Warum? "Weil Weihnachten ist", musste als Argument reichen. Zudem wurde im Advent im Parlament eine Art vorweihnachtlicher Gebetsabend veranstaltet, der laut der Beantwortung einer Neos-Anfrage 10.000 Euro gekostet haben soll. Noch ein symbolischer Tritt in den Magen von Nichtkatholik*innen.

Und zu guter Letzt müssen wir nochmals nach Österreich: Im vergangenen Dezember entschied der Verfassungsgerichtshof, dass das seit 2019 in Volksschulen geltende Kopftuchverbot den Gleichheitsgrundsatz verletzt und daher verfassungswidrig ist. Die Regelung greife eine bestimmte Religion, den Islam, ohne nähere Begründung heraus, was dem Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates widerspreche, begründeten die Richter*innen ihre Entscheidung.

Es gibt wirklich um Längen schwerer verständliche Urteile das Verfassungsgerichtshofs. Obwohl sie es sicher verstanden haben, betonten ÖVP-Minister*innen und -Politiker*innen, wie sehr sie das Urteil "bedauern", während sie gleichzeitig das Kreuz in Klassenzimmern hängen sehen wollen. Hier stecken offenbar viele Politiker*innen knietief in einem unhinterfragten katholisch-religiösen Selbstverständnis fest. Es fehlt der Sinn für eine Politik ohne Religion, obwohl man gleichzeitig äußerst sensibel für – fraglos auch inakzeptable – Verzahnungen von Politik und Islam ist. An der Trennung von Kirche und Staat sowie an der Bereitschaft zur Kritik an der überall sicht- und spürbaren Verzahnung von beidem müssen wir offenbar noch hart arbeiten. (Beate Hausbichler, 21.1.2021)