Sie schlängelt sich nicht wie die Große Mauer durch China, sondern durchquert den ganzen afrikanischen Kontinent im Süden der Sahara. Sie besteht auch nicht aus Steinen, sondern aus Bäumen, Büschen und Kulturpflanzen. "La Grande Muraille verte" (die große grüne Mauer), wie sie der französische Präsident Emmanuel Macron diese Woche bei einem Umweltgipfel in Paris genannt hat, ist aber ebenfalls ein Monsterprojekt: Das fast 8.000 Kilometer lange Bollwerk soll verhindern, dass sich die Wüste und mit ihr Trockenheit und Hitze über Afrika ausbreiten.

Neu ist das Projekt mitnichten: Die erste Idee ist zwanzig Jahre alt, und vor einem Jahrzehnt gründeten elf Anrainerstaaten zwischen Dakar und Dschibuti die "panafrikanische Agentur für die große grüne Mauer". Ein wenig überall sprossen lokale Initiativen. Eritrea fördert Terrassenkulturen, Tschad pflanzt Akazien, Burkina Faso entwickelt ein einfach zu handhabendes Bewässerungssystem. Senegal pflanzt Zehntausende von Bäumen. Äthiopien bildet 60.000 Agronomen aus.

Vier Milliarden Hektar Grünflächen

2015 zog die Weltgemeinschaft auf Betreiben Frankreichs mit: Der Pariser Klimagipfel COP21 versprach vier Milliarden Dollar an Hilfsgeldern. Im letztem Herbst zog ein Uno-Bericht allerdings eine ernüchternde Bilanz. Umgesetzt sind erst vier Prozent des Plansolls: Statt 100 Millionen Hektaren sind vier Millionen Hektar an Grünfläche entstanden. Als Gründe für den Rückstand nannte Amina Mohammed, die Vize-Generalsekretärin der Uno, Mangel an Geld und an Arbeitskräften, aber auch unklare Zuständigkeiten, Rivalitäten sowie die grassierende Unsicherheit im Sahelgebiet durch Terrormilizen.

2020 ist das Projekt wegen Corona zusätzlich ins Stocken geraten. Am Montag haben die Teilnehmer des "One Planet Summit" in Paris unter anderem versucht, der grünen Mauer neue Impulse zu vermitteln. Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel – sie durch Video zugeschaltet – gaben bekannt, dass 50 Länder sich der Initiative angeschlossen hätten und bis 2025 insgesamt 14,4 Milliarden Dollar (11,8 Milliarden Euro) aufbringen wollten. Das wären fast drei Milliarden pro Jahr.

Kritik an dem Großprojekt

Die eindrückliche Zahl ist allerdings zu relativieren. Von den vier Milliarden, die der COP21-Gipfel für das Projekt eines grünen Gürtels versprochen hat, sind laut Weltbank nur 870 Millionen wirklich in die grüne Mauer geflossen. Die Agentur der großen Mauer hat sogar nach eigener Darstellung nur 200 Millionen erhalten. Das wirft die unangenehme Frage auf, wohin die übrigen Gelder versickert sind.

Das ist aber nicht die einzige Kritik an dem Großprojekt. Ortskenner haben grundsätzliche Einwände. Patrice Burger von Cari, einem Netzwerk für den Kampf gegen die Wüstenbildung, berichtete in der Zeitung "Le Monde", die meist sehr arme Landbevölkerung sei "nicht überzeugt, dass ihnen das Projekt eine bessere Zukunft verspricht". Sie bevorzugten ihre bisherigen Anpflanzungen, auch wenn diese nur spärliche, aber immerhin sichere Früchte abwärfen. Den Instruktionen von oben über die Anbauweisen trauten sie nicht.

Übernutzung der Böden

Dagegen könnte man einwenden, dass es immer noch besser sei, neue Biokulturen zu pflanzen, als im Wüstensand unterzugehen. Der Agronom Pierre Hiernaux glaubt aber, dass die Wüste im Bereich der grünen Mauer gar nicht mehr vordringe. Seit den Trockenperioden der Achtzigerjahre nähmen die Regenmengen und damit die Begrünung des Sahelgebietes wieder eher zu. Auch der Weltklimarat IPCC habe festgehalten, dass sich das Sahelgebiet wieder leicht begrüne. Problematisch sei, so Hiernaux, das ungebremste Bevölkerungswachstum in diesen Ländern. Es fördere durch die Übernutzung der Böden, die Bodenerosion und Wüstenbildung.

Die Befürworter der grünen Mauer streichen heute auch eher die demografischen als klimatischen Vorteile heraus. Zehn Millionen Arbeitsplätze könnten dadurch geschaffen werden, sagen sie; das wäre ein wertvoller Beitrag gegen Armut und Migrationsströme.

In einem Punkt sind sich die Wissenschafter einig: Auch die künstliche Begrünung durch die "grüne Mauer" hat einen positiven Effekt auf die weltweite CO2-Bilanz. Insofern kann sie auch mithelfen, den Klimawandel zu bremsen. (Stefan Brändle aus Paris, 14.1.2021)