Sebastian Kurz hat, könnte man sagen, die Seepocken abgestreift, die sein Regierungsboot verlangsamen könnten.

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Viel Häme wurde über Christine Aschbacher und ihr Bemühen um akademische Würden ausgegossen und wird noch ausgegossen werden. Öffentliche Aufmerksamkeit dieser Art kann man niemandem wünschen, und die Nochdoktorin hätte sie sich erspart, wäre sie nicht der Versuchung erlegen, ihre wissenschaftliche Laufbahn mit dem unakademischen Titel einer Ministerin zu krönen. Erst die mit einem solchen Amt verbundene Erfordernis, sich öffentlich sprachlich zu äußern, weckte in einem akademischen Ausputzer einen Verdacht, der die nächsten dreißig Jahre weitergeschlummert hätte, hätte Frau Aschbacher die politische Talenteschmiede der steirischen ÖVP nie verlassen.

Sie muss nun die Schmach ertragen – der Versucher aber, der sie ans Licht einer breiten Öffentlichkeit in seine Regierung gezerrt hat, verdrückte sich rasch und messagekontrolliert unauffällig aus seiner Verantwortung, ja lässt sich auch noch feiern für die Fingerfertigkeit, mit der er sofort einen akademisch unbescholtenen Nachfolger aus dem Hut gezaubert hat. Er hat, könnte man sagen, die Seepocken abgestreift, die sein Regierungsboot verlangsamen könnten, und kann sich trösten, er werde rollen, hat er bei der Auswahl einer Mitarbeiterin auch versagt.

Weder die Beteuerung Aschbachers, sie habe bei Diplomarbeit und Dissertation nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet, machten genug Eindruck auf den Kanzler, ihr weiter zu vertrauen, noch die Schlussfolgerung aus ihrer Dissertation: Vertrauen in die Mitarbeiter ist ein zentraler Wert, den innovative Führungskräfte beherzigen müssen.

Wo Mitarbeiter nach türkiser Hörigkeit ausgewählt werden, bleibt die Innovation auf der Strecke, und dort, wo aus Gründen der Mehrheitsbeschaffung Hörigkeit nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, erst recht. Dabei ist Sebastian Kurz ausdrücklich als Kanzler mit dem Anspruch angetreten, anders als mit der SPÖ endlich einmal innovativ regieren zu wollen, den Beweis dafür, das auch zu können, bisher aber in peinlicher Weise schuldig geblieben.

Der führende Mitarbeiter im wunderbaren türkis-blauen Regierungsbündnis ist nicht über die Sucht nach akademischen Ehren gestolpert – wenigstens in dieser Richtung kannte sein Ehrgeiz Grenzen. Kurz hat ihn so wie vorgefunden akzeptiert, womit die politische Verantwortung für diesen Mitarbeiter an ihm kleben bleibt. Eine innovative Führungskraft, wie es ein österreichischer Bundeskanzler theoretisch sein könnte, aber seit langem nicht mehr ist, hätte allerdings aus früheren Erfahrungen seiner noch untürkisen Partei erkennen müssen, dass die Freiheitlichen nicht als Quelle für Spannung, Kreativität und den wachsenden Wunsch, sich weiterzuentwickeln, sprudeln, sondern im Mitregieren eine Quelle für Jobs sahen, die es eigenen Leuten zuzuschanzen galt.

Wer weiß, was noch geschieht, wenn der Plagiatsjäger ernst macht und, wie angedroht, die akademischen Leistungen anderer Mitarbeiter von Kurz näher betrachtet. Es ist das Privileg eines designierten Bundeskanzlers, sich die einzelnen Mitarbeiter in seiner Regierung ebenso wie den Koalitionspartner auszusuchen. Er trägt die Verantwortung für diese Auswahl. Die Neigung, sie abzuwälzen, sollte man gerade in gefährlichen Zeiten wie diesen nicht durchgehen lassen. (Günter Traxler, 14.1.2021)