Eine Palästinenserin bei der Impfung gegen das Coronavirus in Beit Hanina, einem Palästinenserviertel im von Israel besetzten Ostjerusalem. In der Stadt wird im Gegensatz zu anderen palästinensischen Gebieten mit hohem Tempo immunisiert.

Foto: APA / AFP / Ahmad Gharabli

Während das Gesundheitsministerium in Jerusalem täglich neue Rekordmeldungen über das Impftempo in Israel veröffentlicht, sieht es im 30 Kilometer entfernten Ramallah trist aus. Das Coronavirus hat im palästinensischen Westjordanland mehr als 1.300 Tote gefordert, die dritte Welle brachte einen besonders starken Anstieg der Infektionszahlen.

Die Palästinenserbehörde (PA) machte widersprüchliche Angaben darüber, wie viel Impfstoff sie erwartet. Erst hieß es, es gebe Deals mit vier Anbietern, darunter Astra Zeneca und die Hersteller des russischen Vakzins Sputnik V. Für Sputnik V hat die PA eine Notfallzulassung beschlossen. Nun wird allerdings nur noch der Vertrag mit Astra Zeneca über zwei Millionen Dosen bestätigt, die für eine der fünf Millionen Palästinenser reichen.

Vereinbarung für ärmere Länder

Wann der Rest der Bevölkerung Zugang haben wird, ist ungewiss. Das palästinensische Westjordanland und der Gazastreifen sind Teil einer Vereinbarung unter Vermittlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für 92 Länder, die sich eine umfassende Impfversorgung nicht leisten können. Verträge mit Pharmakonzernen sehen Quoten für diese Länder vor, gesponsert von internationalen Gebern.

In einer ersten Zuteilungsrunde werde man eine Versorgung von bis zu 20 Prozent der Bevölkerung anstreben, sagt Gerald Rockenschaub, Chef der WHO-Vertretung in den palästinensischen Gebieten, zum STANDARD. Die erste Lieferung dieser Tranche werde für "Februar oder März" erwartet, die Lieferung von Astra Zeneca ebenfalls für März – drei Monate nach dem Start der israelischen Impfkampagne.

Internationale Kritik

Mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International, kritisieren Israel dafür, dass es die Palästinensergebiete nicht an den eigenen Vorräten teilhaben lässt. In offiziellen Statements erklärt sich Israel für nicht zuständig. "Erst wenn wir alle Bürger unseres Landes geimpft haben, können wir uns über andere Anliegen Gedanken machen", stellte der stellvertretende Gesundheitsminister Yoav Kish in einem Interview klar. Hinter den Kulissen scheint die Bereitschaft größer zu sein. In einem Verfahren am Obersten Gerichtshof kam ans Licht, dass Israel eine symbolische Lieferung von 100 Dosen an Ramallah abgefertigt hat, eine Charge für die zweite Teilimpfung soll Ende Jänner eintreffen.

Ob Israel eine rechtliche Verantwortung für die Mitversorgung der Palästinensergebiete trägt, ist umstritten. Laut Oslo-Abkommen ist Israel nicht für die palästinensische Gesundheitsversorgung zuständig – die Genfer Konvention teilt einer Besatzungsmacht jedoch zumindest begrenzte Verantwortung zu.

Menschenrechts-NGOs sehen Israel unabhängig von rechtlichen Fragen in einer "moralischen Verantwortung", unterstützend einzugreifen, zumal die öffentlichen Finanzen der PA ausgedünnt sind. Die WHO bezieht hier keine Stellung, hält aber fest, dass "die Optik schief ist, weil es nirgends so offensichtlich ist wie hier, wie ungleich die Verteilung der Impfstoffe ist", so Rockenschaub.

Auch in Israel gibt es Stimmen, die eine Hilfslieferung fordern. Dies sei nicht nur "aus moralischer Sicht das Richtige", sondern auch aus Eigeninteresse, sagt etwa Nadav Davidovitch, Leiter der Fakultät für Öffentliche Gesundheit an der Ben-Gurion-Universität in Be’er Sheva: "Wir leben nebeneinander, wenn wir also Herdenimmunität wollen, ist es wichtig, dass sie auch geimpft werden."

Blockade am Flughafen?

Während Kritiker Israel in der Verantwortung sehen, hat die Palästinenserbehörde zumindest offiziell kein Ersuchen an Israel gerichtet, um an den Impfstoffreserven teilhaben zu können. Es gibt in Ramallah aber Befürchtungen, dass selbst jene Lieferungen, die von der PA ausverhandelt wurden, am Flughafen Ben Gurion blockiert werden könnten – etwa deshalb, weil es sich um Vakzine handelt, die in Israel nicht zugelassen sind. Aus Israels Koordinationsstelle für Regierungsaktivitäten in den palästinensischen Gebieten gibt es aber hinter den Kulissen die Zusicherung, man werde solche Lieferungen nicht behindern. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 15.1.2021)