Einwohner Pekings stehen Schlange, um sich testen zu lassen. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt in China.

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115 Neuinfektionen – was für die meisten Länder der Welt ein Traumwert ist, bringt die Behörden in China zum Schwitzen. Am Tag davor waren 55 Fälle gemeldet worden. Dies war der stärkste Anstieg innerhalb eines von zwei Tagen seit Juli. Hinzu kommt: Die Infektionsherde befinden sich gefährlich nahe an der Hauptstadt Peking.

In Shijiazhuang, der Hauptstadt der an Peking grenzenden Provinz Hebei, gilt bereits eine Ausgangssperre. Die elf Millionen Einwohner sollen sich ein zweites Mal zum Testen einfinden. Auch einige Vororte Pekings selbst sind abgeriegelt. Die Stadt Langfang, wenige Kilometer südlich von Peking, mit fünf Millionen Einwohnern gilt als gefährdet. Die nationale Gesundheitsbehörde bezeichnete die Situation als "komplex".

Wie das passieren konnte, ist eine gute Frage. Die Regierung hat seit Ende März die Grenzen geschlossen. Reisende kommen nur unter hohem bürokratischem Aufwand und nach strikter 14-tägiger Quarantäne noch ins Land. So will man verhindern, dass das Virus aus dem Ausland importiert wird. Dass es überhaupt in den vergangenen Monaten zu Infektionen innerhalb Chinas gekommen war, schob die Regierung gerne auf importierte Lebensmittel: Mal war ein gefrorener Lachs aus Norwegen, mal eine Schweinshaxe aus Deutschland an einer Neuinfektion in China schuld.

Mehr Menschen mit Antikörpern

Tatsächlich aber dürften die Corona-Zahlen in China weitaus höher sein, als die Regierung dies angibt. Das lässt auch eine Studie vermuten, die kürzlich in der chinesischen Zeitung "Global Times" zitiert worden war: Demnach wiesen im Dezember 4,43 Prozent der elf Millionen Einwohner Wuhans Antikörper auf. Das wären weitaus mehr als die offiziellen 50.000 Infizierten.

Bevor die Behörden Wuhan vor einem Jahr für zwei Monate von der Außenwelt abriegelten, hatten mehr als fünf Millionen Menschen die Stadt verlassen. Die meisten von ihnen waren arme Wanderarbeiter, die während des chinesischen Neujahrsfests ihre Heimatdörfer besuchten. Kaum vorstellbar, dass unter ihnen niemand mit einer Corona-Infektion war.

Asymptomatische Träger im Verdacht

Wahrscheinlich trugen viele von ihnen das Virus in ländliche Gebiete. Mittlerweile vermuten auch die Behörden, dass dies der Grund für das Cluster rund um Peking ist: Asymptomatische Träger könnten das Virus in Dörfern verbreitet haben.

Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig: Bald beginnt das chinesische Neujahrsfest. Eine Woche steht das Land dann komplett still. Vorher aber kommt es zu "Chunyun", zur "größten Migrationsbewegung auf dem Planeten". In normalen Jahren sind bis zu 800 Millionen Menschen gleichzeitig unterwegs. Die Regierung warnt in diesem Jahr vor Reisen und bittet darum, möglichst daheim zu bleiben. In Schanghai warnte die Stadtregierung die Einwohner sogar vor Reisen bis Ende März – es könne sein, dass man nicht mehr zurückkommt. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 14.1.2020)