In den mehr als herausfordernden Zeiten auf sozialer, ökonomischer und gesundheitlicher Ebene und den dazugehörigen Maßnahmen wie Massentests, ob freiwillig oder doch durch die Hintertür, intendierten Impfungen und gefühlt unzähligen harten und weniger harten Lockdowns mag sich so mancher nach wahren politischen Alternativen sehnen. Vielleicht kommt einem da die habilitierte Medizinerin und Expertin auf dem Gebiet der Infektiologie und Epidemiologie in den Sinn. Würde die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner etwas anders machen und differenziertere sowie wirkungsvollere Interventionen für unser Gesundheits-, Sozial- und Wirtschaftssystem setzen? Fakt ist, dass die Vorsitzende der stärksten Oppositionspartei über ein anderes Entwicklungsprofil als der aktuelle Kanzler verfügt. Während Sebastian Kurz ohne große Umschweife, einige Semester Jus ausgenommen, direkt seine Karriere in der Spitzenpolitik anstrebte, absolvierte Rendi-Wagner ein Studium der Medizin, war wissenschaftlich tätig sowie hohe Beamtin im Gesundheitsministerium, bevor sie als Quereinsteigerin in die Politschaubahn wechselte. Welches Anforderungsprofil ist nun idealer, um die aktuellen Probleme zu lösen? Die Pragmatik der Macht oder die Expertise einer Ärztin?

Rendi-Wagner als Kanzlerin?
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Kann Kurz Kanzler?

Der Bundeskanzler konnte bis dato auf höchste Imagewerte und eine hohe Zustimmung seiner Handlungen von breiten Teilen der Bevölkerung blicken. Nun aber wird er zusehends mit Widerständen aus der Wirtschaft und anderen Interessensgruppen jenseits der Querdenker und Corona-Leugner-Szene konfrontiert. Dem Erfolgsverwöhnten bläst der raue Wind der sozialen Realität entgegen. Vorbei ist die Ära, in der eine geschlossene Flüchtlingsroute ausreichte, um eine breite Akzeptanz der Wählerschaft zu erringen. Die Corona-Krise wird zum unbarmherzigen Realitätstest für den Medienkanzler. Hier reichen mit großem Pathos vorgetragene Pressekonferenzen und ein Muskelspiel des ÖVP-Chefs mit Muckis, die dieser in der Dimension möglicherweise gar nicht hat, nicht mehr aus. Eines steht außer Zweifel: Leadership in potemkinscher Manier zu zeigen, geht in schweren Epochen eine Phase lang gut, aber irgendwann sind sogar die schönsten medialen Berichte nicht genug und die Stimmung kippt. Jeder Politiker hat sein Ablaufdatum. Ob der aktuelle Regierungschef bei den nächsten Wahlen erneut gewählt wird, hängt entscheidend davon ab, was der Opposition zugetraut und attribuiert wird.

Rendi-Wagner zwischen Wissenschaft und Menschlichkeit

Als stärkste Oppositionskraft wird die zentrale Herausforderung für Rendi-Wagner aus dem Wählerpool der Frustrierten und Zurückgelassenen zu fischen. Sie muss den Spagat zwischen wissenschaftlich-fundierten und konstruktiven Lösungen in Bezug auf die Corona-Pandemie und knallharter, messerscharfer, sozialdemokratischer Politik schaffen. Hier darf sie nicht die Ärztin raushängen lassen, die Bescheid weiß und die als Expertin die Menschen belehrt. Der Schuss des Expertentums kann schnell nach hinten losgehen. Empathisches Potenzial und das Ernstnehmen der Sorgen der Fortschrittsverlierer, zu denen ebenso Impfgegner wie Corona-Leugner zählen, ist gefragt.

Was die SPÖ unter ihrer Führung und bedingt durch die Fixierung auf die Krise am Gesundheitssektor sträflich vernachlässigt hat, ist die Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Wer ist Krisengewinner und wer Verlierer? Das Virus hat als Thema sicher seine Bedeutung, aber Fragen wie leistbares Wohnen, Zukunftsperspektiven für die kommenden Generationen, Altersarmut und das Wegbrechen der Mittelschicht und die daraus resultierende immer stärker werdende Kluft zwischen Arm und Reich werden in diesem Kontext außer Acht gelassen. Hier können der Kanzler und sein latentes “Aufstieg durch Leistung“-Versprechen auf die Probe gestellt werden. Wie sang schon der Soul-Sänger und aktuelle Anti-Corona Demonstrant, Xavier Kurt Naidoo, welcher ein gutes Fallbeispiel für die schwierigen Zeiten darstellt, “Dieser Weg wird kein leichter sein“. (Daniel Witzeling, 20.1.2021)

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