Während die einen sich um den Impfstoff gegen Covid-19 reißen, verbreiten Impfgegner online Skepsis.

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"Ist die Corona-Impfung gefährlich im Zusammenhang mit einer möglichen Schwangerschaft?", fragt der freiheitliche Klubobmann Herbert Kickl in einem Facebook-Video – es wird 23.000-mal geteilt. Servus-TV-Kommentator Ferdinand Wegscheider spricht gar von "unzureichend getestetem Impfstoff" und "Menschen als Versuchskaninchen". Das gefällt 14.000 Usern.

Solche Behauptungen seien "absolut unverantwortlich", sagt Herwig Kollaritsch, Infektiologe der Uni Wien. Es gebe keine Hinweise darauf, dass ein deaktivierter Impfstoff, wie er gegen Covid-19 eingesetzt wird, in der Schwangerschaft schaden könnte. "Wir impfen solche Impfstoffe seit 100 Jahren."

Kickl und Wegscheider gehören zu Österreichs Superspreadern der Impfskepsis. Die meisten Klicks aber sahnt der Landschaftsökologe und Pflanzenwissenschafter Clemens Arvay mit seinen reißerischen Videos ab. Bis zu 1,5 Millionen Mal wurden seine Youtube-Beiträge mit Titeln wie "Ist der Corona-Impfstoff gefährlich und unwirksam?" angeklickt. Je wilder die Gerüchte, desto mehr Aufrufe.

Die virtuell gestreute Impfskepsis in ihren verschiedenen Ausprägungen bis hin zu wüsten Verschwörungstheorien hat aber reale Auswirkungen: Die Impfbereitschaft der Österreicher schwächelt – was die Eindämmung der Corona-Pandemie langfristig erschweren könnte.

Einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge wollen sich gerade einmal 54 Prozent der Österreicher gegen Covid-19 impfen lassen, 56 Prozent sind es laut einer Studie des Gallup-Instituts. Die Corona-Impfung hat ein Imageproblem.

Wie funktioniert die rasante Verbreitung von Skepsis und Falschmeldungen gegenüber Impfungen, und warum sind Impfgegner online so präsent?

Fake-News gehen viral

"Wir bekämpfen nicht nur eine Epidemie, wir bekämpfen eine Infodemie", sagte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, im Februar 2020. Was der äthiopische Biologe ansprach, begegnet uns täglich in den sozialen Medien. Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Impfkritikern schießen dort wie Pilze aus dem Boden. Sie heißen "Impfpflicht-Maskenpflicht – Nein danke!" oder "Ich sage Nein zur Impfpflicht!". Meldungen, die emotionalisieren, verbreiten sich in diesen Gruppen am besten – völlig unabhängig von ihrem tatsächlichen Wahrheitsgehalt.

Das Netzwerkverhalten der Impfgegner auf Facebook haben US-Wissenschafter bereits anlässlich der Masernepidemie in den USA 2019 erforscht. Ziel war es, herauszufinden, wie Impfgegner eine so große Strahlkraft entwickeln konnten. Die im Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlichte Studie zeigt: Die strikten Impfgegner waren zwar nicht viele, auf Facebook aber besonders aktiv und damit sichtbarer. Im Vergleich zu den Befürwortern betrieben sie viel mehr Infoseiten und Gruppen zum Thema. So erreichten sie mehr Interaktion mit Unentschlossenen. Die mittelgroßen Facebook-Gruppen konnten die größten Zuwächse verzeichnen.

Große Bandbreite

Während sich Impfbefürworter lediglich auf die Gesundheit und eine gesamtgesellschaftliche Solidarität beriefen, konnten Gegner mit Sicherheitsbedenken, Verschwörungstheorien oder einfach alternativmedizinischen Themen eine größere Bandbreite an anschlussfähigen Narrativen bieten. "Derzeit sind die Botschaften der etablierten Wissenschaft wie simples Vanilleeis. Die Gegner bieten eine Vielfalt an attraktiven und exotischen Geschmacksrichtungen", kommentierte der leitende Wissenschafter der Studie, Neil F. Johnson von der George Washington University, die Forschungsergebnisse auf Orf.at.

Eine Studie zum Ausmaß der Fehlinformationen im Zusammenhang mit Corona in den sozialen Medien hat im Oktober das "American Journal of Tropical Medicine and Hygiene" veröffentlicht. Dafür haben die Forscher tausende Postings auf verschiedenen Plattformen aus 87 Ländern untersucht. Das Ergebnis: 89 Prozent der Posts sind Gerüchte, fast acht Prozent handfeste Verschwörungstheorien, und mehr als drei Prozent beinhalten Diskriminierung und Abwertung von Personengruppen.

Impfungen kamen vor allem im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien zum Tragen. Zentral war die Falschbehauptung, dass ein Impfstoff schon existiere und die Corona-Epidemie erfunden worden sei, um damit Geld zu verdienen. Die Falschmeldungen wurden auf der ganzen Welt geteilt, die meisten kamen allerdings aus den USA, Indien, China sowie aus Spanien und Indonesien. Österreich erschien im internationalen Vergleich marginal.

Eindrucksvoll ist auch eine Untersuchung zu medizinischer Desinformation, welche die "New York Times" im Frühjahr letzten Jahres präsentierte. Die Verfasser kamen zum Schluss: "Wladimir Putin hat mehr als ein Jahrzehnt lang Fehlinformationen über Gesundheitsfragen verbreitet." So etwa, dass Ebola, Grippe und Corona von amerikanischen Wissenschaftern entworfen worden wären. Während Putin sich innerhalb Russlands als entschiedener Befürworter von Impfstoffen darstelle und dementsprechend handle, seien über Kreml-nahe Medien, Trollarmeen und dubiose Blogs Falschinformationen und Impfskepsis in die sozialen Medien gepumpt worden. Damit sollte das Vertrauen in öffentliche Institutionen der USA untergraben werden. Ziel sei die politische Schwächung des Westens insgesamt gewesen.

Gegenmaßnahmen im Netz

Facebook, Twitter und Co mussten sich mittlerweile dem öffentlichen Druck beugen und nutzen nun Warnhinweise und Löschmechanismen für eindeutige Falschmeldungen zur Corona-Epidemie. Die Weltgesundheitsorganisation hingegen versucht, durch eigene Inhalte soziale Medien zu füttern, ebenso Martin Moder von den Science Busters: In kurzen Erklärvideos werden Mythen rund um Corona und die Impfung aufgeklärt.

Von der österreichischen Bundesregierung ist bisher hingegen wenig zu hören, wie man mit Impfgegnern und Falschinformationen in den sozialen Medien umgehen will. Zuletzt wurde die Kampagne "Österreich impft" gestartet, die die Impfung populär machen soll.

Dem Infektiologen Kollaritsch zufolge würden die sozialen Medien bei der Corona-Impfung überbewertet. Hauptzielgruppe seien ältere Menschen, und die seien online weniger aktiv. Die "allerwichtigste Stelle für Laien" sei der Hausarzt. Dort müsse die Aufklärung passieren. (Christof Mackinger, 15.1.2021)