Wien – Die Regierungsspitze berät seit Freitag mit Ländern und Sozialpartnern darüber, wie sich das öffentliche Leben nach dem Lockdown am 24. Jänner gestalten soll: Als wahrscheinlich gilt, dass dieser wegen der hochansteckenden Virusmutation B.1.1.7 verlängert wird, zuletzt schrumpften die Aussichten sogar auf leichte Lockerungen dahin. Gewissheit über die Details herrscht erst am Wochenende, an dem Kanzler Kurz & Co die Bevölkerung über die Ergebnisse ihrer Beratungen informieren wollen, wie es heißt. Aus Regierungskreisen war zuletzt zu erfahren, dass man sich erst am Sonntag an die Öffentlichkeit wenden möchte. Der Kanzler will sich am Samstagvormittag noch mit Experten beraten.

Zwischen Verlängerung des Lockdowns und Lockerungen: Erst am Wochenende herrscht endgültige Gewissheit zu den Details.
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Ein Überblick über das, was aus Koalitionskreisen bisher sonst noch durchgesickert ist:

  • Vorsichtige Lockerung für den Handel: Wie und ob überhaupt neben den stets geöffneten Lebensmittelgeschäften, Drogeriemärkten, Apotheken und Trafiken eine vorsichtige Lockerung für den Handel ermöglicht werden könnte, ist derzeit noch Gegenstand intensiver Beratungen.
  • FFP2-Masken: Überlegt wird daher auch, ob die Bevölkerung zu einem verstärkten Tragen von FFP2-Masken angehalten wird, die einen besseren Schutz als Stoffmasken oder normaler NMS-Schutz bieten. Angesichts der aktuellen B.1.1.7-Verdachtsfälle bestätigte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bereits, dies sei "eine Denkvariante". Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer (ÖVP) drängte jedenfalls schon auf eine Öffnung des Handels – und sei es "um den Preis von FFP2-Masken". Blick nach Bayern: Dort führt man aufgrund der neuen Mutation eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Schutzmasken im öffentlichen Nahverkehr sowie in Supermärkten ein. In Österreich ebenfalls Thema: ob es Nachschärfungen bei den gebotenen Abstandsregeln braucht.
  • Düster sieht es derzeit für die Wiedereröffnung der Gastronomie aus, schwerst gerungen wurde dem Vernehmen nach bis zuletzt auch wegen der Hotellerie. "Wir haben den Lockdown, wir haben die Weihnachtsfeiertage gehabt – es hat sich nichts abgespielt", klagte der Branchensprecher für Tourismus in der Wirtschaftskammer, Robert Seeber, der auf eine zügige Öffnung der Betriebe hoffte. Die Hoteliervereinigung forderte am Freitag jedenfalls schon weiteren Umsatzersatz von der Regierung, sollte es nicht zu Öffnungen ab 25. Jänner kommen – zugesagt war dieser nur für die Monate November (bis zu 80 Prozent) und Dezember (50 Prozent). Ab Jänner gibt es Verlustersatz (bis zu 70 Prozent).
  • Einmal mehr warten auf Öffnungen müssen so gut wie fix der Sport- und der Kulturbereich – und das wohl mindestens bis zum endgültigen Ende der Semesterferien in allen Bundesländern: also bis zum 22. Februar.
  • Ebenfalls für Kopfzerbrechen sorgt, wie es mit den Schulen weitergehen soll. Bekanntlich hat hier Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) bereits erklärt, dass es ab 25. Jänner wieder Präsenzunterricht geben solle, allerdings in geteilten Schichten – sofern es die Infektionslage zulässt. Im Osten beginnen eine Woche darauf ohnehin die Energieferien – doch wie immer gilt auch hier: Fest steht alles erst, wenn im Kanzleramt die Regierungsvertreter an die Öffentlichkeit treten. Die bisherige Bilanz an den Schulen im Wintersemester 2020/21 sieht laut APA wegen der Pandemie so aus: Ein Drittel der Schultage seit September haben die Kinder an Volks- und Mittelschulen bzw. AHS-Unterstufen im Fernunterricht statt in der Klasse gelernt, bei den Älteren (AHS-Oberstufe, Berufsschule, BMHS) war es mehr als die Hälfte.
  • Die Universitäten werden auch im Sommersemester weitgehend im Distance-Learning bleiben. Große Veranstaltungen vor Ort wird es daher nicht geben, die Ausgestaltung der Unterrichtsformen liegt aber letztlich bei den einzelnen Hochschulen selbst. So finden auch aktuell einige technische, künstlerische oder medizinische Lehrveranstaltungen mit Präsenz statt, zumal diese sich durch Online-Formate nicht ersetzen lassen. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärte Wissenschaftsminister Faßmann zudem, dass er sich eine groß angelegte Beschaffung von Corona-Selbsttests für die Hochschulen vorstellen könne, um mehr Präsenzunterricht zu ermöglichen. Konkrete Pläne für Eintrittstests gebe es aber nicht.

Die Situation sei "höchst volatil", erklärte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schon am Donnerstag. Derzeit habe man in Österreich rund 2.000 Neuansteckungen pro Tag, und die Sieben-Tage-Inzidenz betrage rund 150. Das bedeute zwar, dass "der Lockdown, der Verzicht, die Maßnahmen natürlich ihre Wirkung gezeigt haben", aber: Der Kanzler verwies auf zahlreiche Mutationen des Virus als "massive Herausforderung. Wir müssen daher weiterhin extrem behutsam vorgehen, um das, was wir uns erarbeitet haben, nicht zu zerstören."

Ludwig rechnet mit Verschärfungen

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) rechnet jedenfalls mit Verschärfungen – deswegen sei er "gespannt" auf das von Kurz angekündigte Gespräch, sagte er am Freitag. Ludwig begründete seine Annahme, dass der derzeitige Lockdown noch angezogen wird, mit der "Dramaturgie der letzten Tage".

Dabei verwies er etwa auf den gestreuten Verdacht, dass es im Wiener Abwasser bereits Spuren der wohl deutlich ansteckenderen Virusvariante B.1.1.7 gebe. Wenn derlei seinen Weg in die Medien finde, deute dies wohl auf Verschärfungen hin. Kritischer Nachsatz dazu: "Die Politik sollte wissensbasiert agieren und nicht aufgrund von Verdachtsfällen."

Zu den aktuellen Gesprächen der Regierungsspitze kursierten im Vorfeld übrigens verschiedene Erzählungen: Einerseits, dass es sich dabei vor allem um bilaterale Telefonate handle, Boulevardmedien hingegen fanden dann heraus, dass der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP), derzeit Vorsitzender der Länderchefs, auf eine Konferenz samt Aussprache gedrängt habe – zu Lockdown, Impfen & Co. Auf STANDARD-Anfrage hielt man sich in mehreren Bundesländern zu Ablauf und Form des Gesprächs zunächst bedeckt.

Lockdown bis in den Februar erwartet

Am Freitagabend kamen die Landeshauptleute letztlich im Palais Niederösterreich in Wien zusammen. Der Kanzler stoße später dazu, hieß es. Nach der Zusammenkunft, also zu nächtlicher Stunde, rechnete Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) dann mit einer Verlängerung des Lockdowns "bis weit in den Februar hinein". Der Kanzler habe in dem Gespräch unter anderem mit Verweis auf Südtirol deutlich gemacht, dass die Infektionszahlen gegen eine Lockerung der Maßnahmen sprechen: Dort habe es Öffnungen für Gastronomie, Bars und Geschäfte gegeben, mit dem Ergebnis, dass man nun die schlechtesten Werte in ganz Italien aufweise.

Die APA berichtet zudem, dass auch am Samstag noch Gespräche der Regierung mit den Sozialpartnern geplant sind, davor werden die Landeshauptleute zu den anstehenden Expertengesprächen zugeschaltet, ehe die finalen Entscheidungen fallen. (Nina Weißensteiner, Theo Anders, 15./16.1.2021)