John Dickie, "Die Freimaurer. Der mächtigste Geheimbund der Welt". Übersetzt von Irmengard Gabler. 26,80 Euro / 544 Seiten. S. Fischer, 2020

Cover: S. Fischer

Das sind schon wahrlich schöne Vereinsnamen. Wenn auch crossmedial etwas schräg. "Empor zu Mozarts Licht", "Lessing zum flammenden Stern". Und dann gibt es jene mit althumanistischem Anstrich: "In labore virtus", "Modestia cum libertate", "Sapere aude", "Ad lucem et pacem". Auf Deutsch: "Tugend mittels Arbeit", "Bescheidenheit mit Freiheit", "Wage es, weise zu sein", "Zum Licht und zum Frieden". Allesamt sind das die Namen von Freimaurerlogen im deutschen Sprachraum.

Empor, empor

Freimaurer, sind das nicht jene in weltverschwörerischen Geheimvereinigungen Organisierten, die alles steuern, beeinflussen und aufs Übelste dirigieren? So lautet, in endloser Variationsbreite famoser Unwissenheit, das gängige und geläufige Vorurteil. Die Literatur zur Freimaurerei ist schier uferlos und kaum mehr überschaubar. Schon immer war sie streng geschieden: in ein starkes Pro und in ein gehässiges Contra.

Worum ging und geht es den Freimaurern? Um etwas Humanistisches und um ein Prinzip der Aufklärung: "gute Menschen besser zu machen". Wozu dienten bizarr anmutende Aufnahmerituale, ein synkretistisch wild zusammengeflicktes Dekorum, das sich auf Architektur, also Entwerfen – gemeint: der Entwurf der Welt durch ein höheres Wesen –, und auf den ersten Tempel Salomos in Jerusalem bezog?

Der Engländer John Dickie, Spezialist für Mafia und Camorra, nennt es in aller Deutlichkeit: All dies dient zu gar nichts. Hinter all den vielen eingezogenen und aufgehängten geheimnisvollen Schleiern verbirgt sich – kein Geheimnis.

Machtgier

Es ist keine geringe Leistung, die der Londoner Historiker nach fünf Jahren Recherche vorlegt. Er schreitet durch mehrere Jahrhunderte der Weltgeschichte und schildert lebendig, pointiert und aufklärerisch viele teils pittoreske Figuren wie die beiden Amerikaner Albert Pike und Albert Mackey oder die Chevalière d’Éon, ein zu Lebzeiten irrlichterndes Zwitterwesen der Freimaurerei im 18. Jahrhundert.

Dickie zeigt aber auch von Machtgier Getriebene wie den Italiener Lucio Gelli, der ab 1960 in Italien die Loge Propaganda Due (P 2) zu einem den Staat aushöhlenden Beziehungsnetzwerk ausbaute, das unverhohlen großkriminell war.

Hochinteressant ist auch Dickies Demontage der kolportierten Eigenmythen und -mythologien. So wurde das Freimaurerwesen im Deutschland der Zwischenkriegsjahre immer nationalistischer und antisemitischer. Schon vor 1933 dienten sich viele Logen antisemitisch und "judenfrei" den Nationalsozialisten an.

Dass sie trotzdem verfolgt wurden, gehörte zum Terrorprogramm Hitlers. Auch zu dem Mussolinis im faschistischen Italien. Noch viel härter allerdings war die Verfolgung im Spanien General Francos.

Hier spielte die katholische Kirche eine viel zentralere, hetzerische, massiv tödliche Rolle. Ihr und ihrer Propaganda ab etwa 1860 sind auch alle frei fabrizierten antimasonischen Vorwürfe, haltlosen Anschuldigungen und pathologischen Reputationsdiskreditierungen zu verdanken. Das wird hier in aller Lügenhaftigkeit überdeutlich.

Ideal und Wirklichkeit

Der geohistorische Bogen reicht von Rom, London, Lissabon, Hamburg und Indien bis nach Übersee, nach Washington, D.C. Der Namensgeber, General und Präsident, war auch ein "Bruder", wie auch Benjamin Franklin und spätere Präsidenten wie James Monroe, die beiden Roosevelts, Harry Truman, Lyndon B. Johnson und Gerald Ford.

Auch der Vater Jawaharlal Nehrus und Großvater Indira Gandhis war ein überzeugter aktiver Freimaurer. John Dickie gibt gleich zu: Australien kommt kaum vor, in Arabien ist Freimaurerei, da "zionistisch", verboten, in Afrika kaum existent.

Deutlich wird: Die Freimaurerei war niemals mächtig, vielmehr ein sozialer Männerklub – die Gleichberechtigung Nichtweißer wie von Frauen ist ein Produkt jüngerer Zeit und, entgegen der hehren Proklamation der Ideen von Harmonie und Egalität, teils immer noch nicht durchgesetzt –, ein Freundschaftstreffpunkt, auch ein Ort exzessiver Besäufnisse und in den USA zwischen 1910 und 1960 für weiße Mittelschichtsmänner so normal wie die Mitgliedschaft in einem Golfklub.

Überalterung

Heutzutage ist die Freimaurerei auf dem Rückzug, auch sie plagt ein geriatrisches Problem: Überalterung und ein überschaubarer Zustrom jüngerer Novizen. Auch das schildert Dickie. Im finalen Kapitel erscheint die Zukunft nicht übermäßig hell.

Dass der S.-Fischer-Verlag den englischen Untertitel "How the Freemasons Made the Modern World" haarsträubend falsch als "Der mächtigste Geheimbund der Welt" eindeutschte, zeigt allerdings auch, dass das Spekulieren auf Spekulatives und Obskurantistisches auf Dan-Brown-Niveau selbst bei jenen, die das Buch problemlos hätten lesen können, noch immer handgreiflich ist. Und das hat dieses erhellende Buch nicht verdient. (Alexander Kluy, 16.1.2021)