Auch ohne Krise sind Personen mit Behinderung deutlich öfter von Arbeitslosigkeit betroffen und brauchen länger, um einen Job zu finden.

Foto: imago images/Ikon Images

Die Pandemie hat Menschen mit Behinderung stark getroffen. Viele von ihnen gehören zur Risikogruppe und mussten große Einschränkungen hinnehmen, lebensnotwendige Medikamente oder persönliche Assistenz waren nicht mehr im gleichen Ausmaß verfügbar. Auch am Arbeitsmarkt gab es Corona-bedingt negative Entwicklungen. "Menschen mit Behinderung haben es sowieso nicht einfach. Jeder Job, der in der Krise verloren geht, ist viel schwerer wieder zurückzubekommen", sagt Gregor Demblin, Gründer der inklusiven Jobplattform und Unternehmensberatung myAbility.

Gregor Demblin ist Co-Gründer der inklusiven Unternehmensberatung und Jobplattform myAbility.
Foto: kainz-pictures.at

Zwar lag die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe mit einem Anstieg von 24,6 Prozent zum Vorjahr im April 2020 deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt von 76,4 Prozent. Im Zeitraum von 2007 bis 2017 ist die Arbeitslosenquote von Personen mit Behinderung jedoch um fast 140 Prozent gestiegen und befand sich bereits 2019 auf dem höchsten Stand seit ihrer statistischen Erfassung. Darüber hinaus sind nur 55,9 Prozent der Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter auch erwerbstätig – oder auf Jobsuche. Bei Menschen ohne Behinderungen sind es hingegen 77,1 Prozent.

Folgen der Pandemie

Auf myAbility.jobs können Arbeitgeber gezielt Stellen für Menschen mit Behinderung ausschreiben, laut Demblin hat das Portal zwischen März und August auf Arbeitgeberseite eine sehr zurückhaltende Phase erlebt. Im September kam dann die Wende, und die Anzahl der publizierten Stellen hat bis Dezember wieder deutlich zugenommen. "Der Arbeitsmarkt war nach dem Sommer wieder viel belebter. Der zweite Lockdown hat wesentlich weniger Auswirkung gezeigt als der erste. Wie es in diesem Jahr weitergeht, bleibt abzuwarten", sagt Demblin.

Jasna Puskaric, Geschäftsführerin der WAG Assistenzgenossenschaft, hat ebenfalls analoge Entwicklungen zur Situation am gesamten Arbeitsmarkt beobachtet. Während manche in Kurzarbeit waren, haben andere im Homeoffice weitergearbeitet, und wieder anderen haben ihren Job verloren oder sogar einen neuen gefunden. Unabhängig von der Lebenssituation würde sich jedoch der Bedarf an persönlicher Assistenz zur Unterstützung im Alltag meist nicht verändern. "Ob jemand im Büro oder zu Hause auf die Toilette muss, macht doch keinen Unterschied", erklärt sie.

Jasna Puskaric ist in der Geschäftsführung der WAG Assistenzgenossenschaft.
Foto: WAG Assistenzgenossenschaft/Martin Datzinger

Bislang gab es eine strikte Trennung zwischen Assistenz im beruflichen und privaten Kontext. Während der Krise wurde diese zwar aufgehoben, das jedoch nur vorläufig. Das große Problem dahinter ist, laut Puskaric, dass es aktuell keine einheitliche und bedarfsdeckende Regelung für persönliche Assistenz gibt. Welcher Anspruch auf Förderungen für welchen Lebensbereich besteht, unterscheidet sich nach Bundesland, Behinderung und Pflegegeldstufe.

Eine weitere Folge der Pandemie: Mehrfachbelastung durch Homeoffice und Homeschooling treffen ebenso verstärkt Frauen mit Behinderung. Betroffene würden noch mehr als sonst ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, um die zusätzliche Belastung auszugleichen. Puskaric beurteilt diese Entwicklung als besonders kritisch.

Digitalisierung als Chance

Corona hat aber auch die Digitalisierung vorangetrieben. Und gerade die sieht Demblin als eine große Chance: "Die Digitalisierung wird den Begriff Behinderung komplett verändern. Aktuell ist dieser noch stark durch körperliche Arbeit geprägt, die zukünftig in den Hintergrund rückt." Eine weitere wichtige Entwicklung sieht er darin, dass sich unsere Arbeitswelt verstärkt ins Virtuelle verlagert. "Homeoffice, Onlinemeetings und virtuelle Konferenzen klären für viele die Mobilitätsfrage. Den Trend dazu gab es schon länger, durch die Krise wurde diese Entwicklung beschleunigt."

Die neue Arbeitswelt bietet laut Demblin aber nur dann Vorteile, wenn Barrierefreiheit auch mitgedacht wird. Sonst kann es sogar dazu kommen, dass neue Technologien exkludieren statt inkludieren – zum Beispiel, wenn Videotools nicht barrierefrei bedient werden können. Bei richtiger Umsetzung ergeben sich nicht nur für Personen mit Behinderung positive Effekte. "Arbeitgeber, die Barrierefreiheit in ihrem Arbeitsalltag und ihrer Kommunikation integriert haben, hatten während Corona einen riesigen Vorteil. Bei Inklusion geht es nämlich darum, alle mitzunehmen", sagt er. Der Umstieg auf Heimarbeit gelang diesen Unternehmen leichter, und Arbeitnehmer fühlten sich dadurch auch in der Krise sicherer.

Barrieren in den Köpfen

Die größte Hürde für mehr Inklusion ist laut Demblin die Barriere in den Köpfen. Falsche Vorurteile, Menschen mit Behinderung wären weniger leistungsfähig und durch ihren Kündigungsschutz eine Last für Arbeitgeber, seien immer noch viel zu präsent. "Wir haben insgesamt schon in rund 200 Unternehmen im deutschsprachigen Raum Strategien und Projekte ausgerollt. Ein paar Tausend fehlen also noch", sagt Demblin. Die wirkliche Entscheidungsmacht für mehr gesellschaftliche Teilhabe läge jedoch in der Bereitschaft der einzelnen Unternehmen.

Auch Puskaric hat sich ein großes Ziel für das neue Jahr gesetzt: eine bedarfsgerechte Regelung für persönliche Assistenz in ganz Österreich. Dieser Schritt würde nicht nur zu mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung führen, sondern hätte auch Vorteile für Beschäftigte und deren Arbeitsbedingungen. "Ich höre oft, dass Assistenzkräfte außerhalb der WAG nur stundenweise als freie Dienstnehmer beschäftigt sind, und das bringt Unsicherheiten. Es ist, als würden Menschenrechte gegen Arbeitsrechte ausgespielt", sagt sie. (Anika Dang, 18.1.2021)