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Sah sich wegen des Mobs im Kapitol zur Erinnerung an die "Reichspogromnacht" veranlasst: Arnold Schwarzenegger, die stählernen Qualitäten der US-Demokratie betonend.

Foto: AP/Fastner

Die Züge des emeritierten Hollywood-Cyborgs verrieten tiefste Besorgnis. Als Arnold Schwarzenegger in einem Twitter-Auftritt den Sturm auf das US-Kapitol mit der "Reichskristallnacht" verglich, sprach er vom "Tag des zerbrochenen Glases". Am 10. November 1938, in der so genannten "Reichspogromnacht", entfesselte das Nazi-Regime eine beispiellose Terrorkampagne gegen jüdische Einrichtungen.

Schwarzeneggers Vergleich ließ auf Seiten des Ex-Gouverneurs auf eine Verstörung schließen, deren Ausmaß jeden Superlativ rechtfertigt. Wer in diesen Monaten und Jahren im Ton echter oder angemaßter Empörung auf Missstände hinweist, der landet offenbar auf dem schnellsten Wege beim NS-Vergleich. Mediokre TV-Juroren wie Michael Wendler kommentieren Ausgangsbeschränkungen im Nachbarland, indem sie tippen: "KZ Deutschland???" Klimawandelleugner wurden wiederholt mit "Holocaust-Leugnern" gleichgesetzt.

Es scheint, als wäre Thomas Manns nachdenkliches Wort vom "Bruder Hitler" an die Generation der Ur-Enkel weitergereicht worden: als nicht sehr treffsicheres Synonym – für die schlimmstmögliche Wendung in öffentlichen Angelegenheiten.

Tatsächlich richtete der von Trump aufgewiegelte Mob seine Zerstörungswut gegen das Symbol amerikanischer Demokratie. Nicht nur Unmengen von Glas gingen in Washington zu Bruch. Das Vordringen der kostümierten Barbaren in die Herzkammern der US-Demokratie sollte den ultimativen Vergleich rechtfertigen.

Radikale Warnung

Hinweise auf die Praktiken faschistischer oder nationalsozialistischer Politik sind als radikale Warnung gemeint. Somit gehört der Gebrauch von NS-Vergleichen zu den drastischen Mitteln einer ursprünglich schwarzpädagogisch gemeinten Erziehung. Gemünzt sein soll er insbesondere auf Sturschädel, die sich ihre braunen Gesinnungsreste partout nicht aus dem Kopf schlagen wollen. Die, je nach lokaler Verankerung, strikt heteronormativ denken. Die sich als "white suprematists" gebärden und ihren ostentativen Maskulinismus in der Blase ihrer Online-Sphäre mit frustrierten Gleichgesinnten teilen.

Das sind Menschen, die sich als Angehörige des "pauperisierten" Mittelstandes abgestempelt fühlen. Die von nachdrängenden Eliten abgehängt werden. Die das Wirken von Feministinnen, von queeren Personen und Menschen migrantischen Ursprungs als "Verschwörung" erleben, die gegen ihren "ursprungsnahen" Lebensstil gerichtet sein soll.

Somit zielt der NS-Vergleich häufig auf überkommene Gemütsreste. Er soll sie beschreiben helfen, als Proben einer offenbar unausrottbaren Gesinnung. Er gleicht einer Klingel, die durchdringend schrillt. Doch in wessen Ohren sollte der Ton gellen?

Vereinzelte Angehörige des Mobs, der das Kapitol stürmte, stellten ihre Nazi-Tattoos offen zur Schau. Die mehr bis minder radikalen Rechten verstecken ihre Gesinnung nicht. Sie zelebrieren Augenblicke des "Ruhms", indem sie diese auf "social media" vervielfältigen.

Entzug von Wirklichkeit

Nachdenkliche Gelehrte wie der Yale-Historiker Timothy Snyder ersetzen ihre Betroffenheit über den amerikanischen Beinahe-Putsch durch eine Reihe trennscharfer Beobachtungen. Im "New York Times Magazine" beschrieb er Trump als eine Art Konverter. Durch die unausgesetzte Produktion von Lügen hätte der Präsident jenen Boden der "Post-Faktizität" bereitet, auf dem die aktuelle Form des "Prä-Faschismus" fußt. Der permanente Entzug von Wirklichkeit unterminiere demokratische Einrichtungen. Am Ende steht die Zweideutigkeit eines Wahlsystems, das republikanische Kandidaten mit "Hinweisen auf Wahlbetrug" torpedieren.

Trump sei kein Faschist, schreibt Snyder, seine Vision reiche "nicht weiter als bis zu seinem Spiegelbild". Aber das Unbehagen an der Zersetzung des Institutionengefüges ist bei ihm mit Händen greifbar.

Der Hinweis auf NS-Zeiten scheint somit als Chiffre wirksam, als Hinweis auf einen unerhörten Verdacht: Die liberalen Demokratien könnten in sich zusammenklappen. Der unermessliche Schaden würde leider (zu) spät bemerkt. Daher auch Marlene Streeruwitz‘ in dieser Zeitung unlängst erfolgter Hinweis auf die Terminologie der Pandemie-Abwehr. In dieser sei – vielleicht im Keim – bereits jener Grundrechte-Verlust enthalten, der, bei anderer, furchtbarer Gelegenheit, zu Rassegesetzen und letztlich zur Shoa führte.

NS-Vergleiche sind Menetekel. Sie sind dumm und unsinnig, wenn sie Belanglosigkeiten mit der Vernichtungsmaschinerie der Nazis vergleichen. Aber die Pöbellust am "freien Leben", mit dreckigen Schuhen auf Nancy Pelosis Screibtisch, lässt Träume alter SA-Schläger wahr werden. (Ronald Pohl, 16.1.2021)