Ghostwriting ist ein breites Phänomen an Hochschulen, erzählt ein Mann, der in seiner Studienzeit Geld mit dem Verfassen fremder wissenschaftlicher Arbeiten verdient hat. Er möchte anonym bleiben, sein Name ist der Redaktion bekannt.

Künftig soll sogenanntes "Ghostwriting" mit bis zu 60.000 Euro bestraft werden.
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"Warum Studierende schummeln, weiß ich nicht. Ich glaube, es ist der Stress an der Uni, aber auch die mangelnde Lust an den Aufgaben, besonders im Kontext von Massenstudien, in denen Studierende oft nicht erreicht werden. Zum Teil ist das Phänomen sicherlich auch ein Nebeneffekt der Bildungsexpansion der vergangenen 50 Jahre, durch die nichtakademische Bildung und Abschlüsse, die vor einigen Jahrzehnten noch hoch angesehen waren, relativ an Prestige verloren haben. Dann ist der Druck einen akademischen Grad zu bekommen höher, auch wenn das persönliche bzw. thematische Interesse vielleicht nicht immer gegeben ist. Zudem wird Bildung von einigen scheinbar als Ware verstanden, die man kaufen kann, um am Arbeitsmarkt einen Vorteil zu haben.

Meine Erfahrung hat gezeigt, dass Ghostwriting in bestimmten Studienrichtungen beliebter ist als in anderen. Ich habe zum Beispiel keine Aufträge aus dem Bereich Philosophie, Soziologie oder Politikwissenschaft bekommen. Die Arbeiten, die ich gemacht habe, waren eher für Studien, mit denen man danach viel Geld verdienen kann, besonders Management-, Marketing-, Organisationsstudien und Ähnliches.

Mit dem Ghostwriting habe ich begonnen, weil ich damals dringend einen Job gebraucht habe und damit für vier Monate gut über die Runden gekommen bin, bis ich eben wieder ein Einkommen hatte. Ein Freund hat mir erzählt, dass man mit wissenschaftlichem Schreiben gut Geld verdienen kann. Ich habe ein bisschen recherchiert und die Homepage einer sogenannten Schreibwerkstätte gefunden. Ich wusste nicht genau, was mich erwartet. Ich habe zuerst gedacht, dass ich nur Studierende unterstützen soll. Die Werkstatt hat mich zu einem längeren telefonischen Gespräch eingeladen, in dem ich erzählt habe, wo ich im Studium stehe und was ich bisher so gemacht habe. Dann ging es schnell. Die Firma hat alles koordiniert, die ersten Aufträge sind sofort reingekommen.

Namenlose Kunden

Mit den Kunden hatte ich selbst nie Kontakt. Bei Aufträgen hat mich die Schreibwerkstatt direkt angerufen. Es ist extrem viel reingekommen, ich konnte mir dabei aussuchen, was ich machen will und was nicht. Ich bekam immer nur die Aufträge für Arbeiten, die Namen der Kunden kannte ich aber nie. Ich habe den Text geschrieben und wurde über die Agentur bezahlt. Was diese verdient, habe ich nie erfahren. Sie geben auf ihrer Homepage jedenfalls an, studentenfreundliche Preise zu verrechnen. Was auch immer das bedeuten mag. Bei der Agentur war ich aber nicht lange. Nach einem Monat habe ich die Arbeit direkt gemacht – damit fiel der Mittelsmann weg.

Meine neuen Kunden habe ich über einen Freund gefunden. Die meisten kamen nicht von der Hauptuni, sondern von der Wirtschaftsuni ebenso wie von Privatunis. Dort gibt es vermehrt Interesse für Ghostwriting. Das war zumindest meine Erfahrung. Über die Agentur kamen viele Aufträge für Seminararbeiten rein. Dissertationen habe ich nicht geschrieben, dafür aber Bachelor- und Masterarbeiten. Das war schon komisch, weil ich damals selbst erst einen Bachelorabschluss hatte.

Das Thema für die Arbeiten wurde immer vorgegeben. Oft haben Studenten aber auch mit einer Arbeit begonnen und nicht mehr weitergewusst. Dann haben sie mich gebeten, sie fertig zu machen. Umschreiben ist aber schwieriger, als einen neuen Text selbst zu schreiben. Generell habe ich nur Arbeiten angenommen, die mich fachlich nicht interessieren. Die interessanten Dinge wollte ich immer selbst schreiben.

Zweier oder Dreier reicht auch

Am Anfang habe ich noch länger für das Schreiben gebraucht. Dann habe ich gemerkt, dass es den Leuten reicht, wenn sie einen Zweier oder Dreier bekommen. Ab dann habe ich die Arbeiten schnell runtergetippt. Für eine Seminararbeit habe ich vier bis fünf Stunden gebraucht, für eine Bachelorarbeit vier bis fünf Tage. Ich habe aber auch Aufträge abgelehnt, weil einfach zu viele reingekommen sind.

Vier bis fünf Stunden hat der Ghostwriter für eine Seminararbeit benötigt.
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Einmal hätte ich eine Arbeit für eine Musikuni schreiben sollen, das war mir aber zu viel Neues. Ich habe gemerkt, dass Ghostwriting ein wirklich breites Phänomen ist. Ich habe zum Beispiel ein Angebot bekommen, eine vorwissenschaftliche Maturaarbeit zu schreiben. Das habe ich aber nicht angenommen, das ging mir dann doch zu weit. An diesem Punkt habe ich die Absurdität hinter dem ganzen System nochmals klarer gesehen.

Für Studierende wie mich damals ist der Job lukrativ, die Bezahlung ist aber sehr unterschiedlich. Für eine Seminararbeit habe ich rund 200 Euro bekommen, für eine Bachelorarbeit rund 600 und für eine Masterarbeit ungefähr 1000 bis 1500 Euro. Bei der Schreibwerkstatt habe ich mir mein Honorar nicht aussuchen können. Später habe ich mir durch die Seitenzahl errechnet, wie viel ich ungefähr bekommen möchte.

Dekadentes System

Das Ganze ist sehr dekadent. Manchmal sind Studenten zu mir gekommen und haben mir gesagt, die Arbeit sei zu gut. Ihr Professor würde erkennen, dass sie das nicht geschrieben haben. Die haben mir dann noch einmal 150 Euro gegeben, damit ich sie umschreibe und sie wieder schlechter klingt. In die Arbeit selbst haben sich die Studierenden nicht eingemischt. Denen war meistens alles egal. Das waren großteils junge Studierende mit reichen Eltern, die schnell das Studium abschließen wollten.

Ich bin da jedenfalls komplett naiv reingegangen. Ich habe mir gedacht, ich kann gut schreiben, tue das gerne und kann damit Geld verdienen. Ich glaube nicht, dass mich eine Strafe, wie sie jetzt eingeführt wird, von dem Job abgehalten hätte. Das Ganze läuft doch sehr anonym ab. Ich habe das auch nicht als Straftatbestand gesehen – obwohl ich das heute tue und auch damals schon wusste, dass es grundsätzlich nicht in Ordnung ist.

Es hat mich damals schon geärgert, dass sich jene Studierenden, die finanziell sowieso bestens abgesichert sind, auch noch einen Abschluss erkaufen können. Da nimmt das Problem der ungleichen Startchancen nochmals eine andere Dimension an. Aus heutiger Sicht würde ich das nicht noch einmal machen. Es war eine schnelle Einkommensquelle. Ich dachte zu Beginn auch, dass es ein Nischenphänomen ist. Ich bin erst später draufgekommen, dass es ein breites System dahinter gibt." (Protokoll: Nora Laufer, 16.1.2021)