Jones möchte andere Menschen inspirieren und zu Höchstleistungen anspornen, nicht nur im Sport.

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Francesca Jones vergleicht ihre Karriere gerne mit einem Kartenspiel. "Nur weil ich andere Karten habe als meine Gegnerinnen, heißt das nicht, dass ich nicht gewinnen kann."

In der vergangenen Woche hat sie gleich drei Stiche gemacht. Jones ist keine Zockerin, sondern Tennisspielerin. Mit drei Siegen in Serie qualifizierte sie sich für die Australian Open. Nach 14-tägiger Quarantäne schlägt sie Anfang Februar in Melbourne erstmals bei einem Grand-Slam-Turnier auf.

Die 20-Jährige gilt nicht gerade als Tennis-Ass. In der Weltrangliste liegt sie auf Platz 241. Nur weil mehrere Spielerinnen für die Qualifikation zurückgezogen hatten, durfte sie antreten. Umso bemerkenswerter ist ihr Erfolg: Jones leidet unter dem EEC-Syndrom, einer besonders seltenen Form der ektodermalen Dysplasie. Der Selbsthilfegruppe für Patienten im deutschsprachigen Raum ist in Österreich nur ein einziger Fall bekannt. Die Symptome sind bei Jones vermeintlich schwerwiegend. Ihr fehlt an beiden Händen jeweils ein Finger. An ihrem rechten Fuß hat sie drei Zehen, am linken vier. Dennoch ist sie Tennisprofi. Nein, in ihrem Fall muss es heißen: deshalb.

Trotz ist Trumpf

Eigentlich war Jones als Kind nie sportbegeistert. Ihr Vater musste sie und ihre Geschwister eines Sommers "loswerden", wie Jones sagt, weil die Eltern während der Ferien arbeiten mussten. Er fuhr mit den Kindern an einem Tennisklub vorbei, ehe ein riesiges Plakat das Leben der kleinen Francesca ändern sollte, mit der Aufschrift: "Sommercamps. 9 bis 17 Uhr. 5 Tage die Woche." Der Vater riss das Steuer herum, parkte vor dem Klubhaus und schrieb seine Kinder ein.

Francesca fand am Sport Gefallen. Die Begeisterung wuchs, doch damit auch die Anzahl an Verletzungen. Bisher musste sie zehnmal operiert werden, häufig am Handgelenk, immer im Zusammenhang mit ihrer chronischen Erkrankung. Die Ärzte rieten ihr, das Tennisspielen zu lassen. Doch eine alte Weisheit bestätigte sich: Der Trotz ist die größte Motivation des Kindes. "Genau weil ihr das gesagt habt, werd ich euch jetzt zeigen, dass ihr falsch liegt", sagte sich Jones.

Mit neun Jahren zog sie ins Internat einer Tennisakademie in Barcelona, die einst auch Andy Murray zum Tennisprofi schliff. Dort lernte Jones früh, selbstständig und unabhängig zu leben. Heute investiert sie viel Zeit in Muskeltraining, um Verletzungen vorzubeugen. "Ich habe es nie als Nachteil, sondern Bestandteil von mir gesehen. Jeder hat körperliche Schwächen", sagt Jones. "Außer du heißt vielleicht Cristiano Ronaldo."

Jones spielt mit einem besonders leichten Schläger, der Griff ist relativ schmal, damit sie ihn besser fassen kann. Francesca Jones ist eine gute Grundlinienspielerin. Sie bewegt sich erstaunlich gut, so kratzt sie viele Bälle aus den Ecken des Platzes und bringt sie über das Netz. Mit der Vorhand versucht sie, Ballwechsel zu diktieren.

Alles im Griff

Anfang der Woche hatte Jones einen Nervenzusammenbruch. Durch die Kälte in Großbritannien waren ihre Finger beleidigt, sie fühlten sich steifer an als sonst. Im Training gelangen ihre Vorhände und Aufschläge nicht wie gewohnt. Jones ist eine Perfektionistin, und wenn sie die Kontrolle verliert, wird sie ungeduldig.

In Wahrheit verlor sie die Kontrolle über ihre Matches aber nie. Sie schlug eine ehemalige Top-30-Spielerin, ihr letztes Match gewann sie gar 6:0, 6:1. Damit ist sie eine von 128 Einzel-Spielerinnen bei den Australian Open. Österreicherin ist keine dabei, Barbara Haas und Julia Grabher scheiterten schon in der ersten Qualifikationsrunde.

Jones wünscht sich, dass Menschen aufhören, sich zu sehr mit anderen zu vergleichen. Stattdessen sollen sie ihre eigenen Geschichten schreiben. Ihre Karten für Melbourne stehen schlecht. Egal, wen sie als Erstrundengegnerin zugelost bekommt, Jones wird Außenseiterin sein. Aber das heißt nicht, dass sie nicht gewinnen kann. (Lukas Zahrer, 16.1.2021)