Acht Bezirke könnten auf der Corona-Ampel inzwischen von Rot auf Orange geschaltet werden – darunter Wien und Innsbruck.

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Wien – Donnerstagabend macht sich unter den Experten der Corona-Kommission Aufregung breit. Die Lage in Österreich ist weit davon entfernt, sich zu beruhigen. Da sind sich alle einig. Hinzu kommen Unsicherheiten durch die in Europa wütende Virusmutation. Aber in dem heimischen Corona-Gremium werden jene Daten bewertet, die aktuell vorliegen. Und die zeigen: Das Infektionsgeschehen in einzelnen Bezirken Österreichs hat sich auf hohem Niveau stabilisiert. Oder anders gesagt: Nach den eigenen Maßgaben des flapsig als "Ampelkommission" titulierten Expertenrats wären einige Schaltungen von Rot auf Orange vorzunehmen.

Konkret geht es diese Woche um acht Bezirke, die im Arbeitspapier des Gremiums mit dem Wort "Diskussionsbedarf" versehen wurden: Wien, Oberwart im Burgenland, Krems, Hollabrunn, Horn und Korneuburg in Niederösterreich sowie Innsbruck Stadt und die Vorarlberger Region Klostertal-Arlberg. Manche Kommissionsmitglieder plädieren für Orangeschaltungen. Aber: Geht das? Mitten im Lockdown, der gerade verlängert wird? Was würde das bedeuten? Müssten regionale Lockerungen erfolgen? Die Experten diskutieren.

Herwig Ostermann, Gesundheitsökonom und enger Berater des Gesundheitsministers, bringt schließlich einen Antrag ein, der das Problem vom Tisch wischen würde: Österreich soll an diesem Donnerstag nur gesamt bewertet werden, und es soll demnach keine Einstufung auf Bezirksebene erfolgen – anders als in den Wochen davor. Der Antrag wird trotz zweier Gegenstimmen und vier Enthaltungen angenommen. Österreich bleibt rot, die genauere Betrachtung bleibt aus.

Auf Experten hören

Die Ampel-Kommission hat längst den Ruf, ein nutzloses Gremium zu sein. Von Beginn an waren Ampelschaltungen an keine Konsequenzen geknüpft. Ob ein Bezirk grün oder orange war, war einerlei. Dass Regionen selbst entscheiden, welche Maßnahmen notwendig sind, funktionierte nicht – die Bundesregierung traf und trifft die Entscheidungen, österreichweit.

Die Corona-Expertengruppe hat dennoch eine nicht unwesentliche Funktion: Die Lagebewertung, die durch sie jede Woche aufs Neue vorgenommen wird, ist eine entscheidende Grundlage, um rechtlich den Lockdown zu legitimieren. Ausgangssperren, die ja massive Grundrechtseingriffe sind, müssen durch Daten gerechtfertigt sein. Beruhigt sich die Lage – zumindest mancherorts –, stellt sich die Frage: Ist der Lockdown dort juristisch noch argumentierbar?

Tatsächlich ist die Ampelkommission sogar explizit im Covid-19-Maßnahmengesetz erwähnt. Was sie sagt, muss vom Gesundheitsminister in seinen Verordnungen berücksichtigt werden.

Außerdem verlangt der Verfassungsgerichtshof, dass sich die Regierung bei ihren Entscheidungen auf Expertenmeinungen stützt. Tut sie das nicht, kann das Höchstgericht die Regelungen aufheben. Das war bereits mehrmals der Fall – etwa als es entschied, dass das erste allgemeine Betretungsverbot für öffentliche Orte nicht zulässig war.

"Wenn sich nun zeigt, dass es bei einzelnen Regionen Unterschiede gibt, müsste das berücksichtigt werden", sagt der Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk. Andernfalls werde der Verfassungsgerichtshof die Entscheidungen wohl für rechtswidrig erachten.

Widerspruch ist möglich

Funk und weitere vom STANDARD konsultierte Juristen sagen aber auch: Die Ampelkommission ist nicht die alleinige Expertenquelle, auf die sich die Regierung stützen kann oder muss. Ihr zu widersprechen ist möglich, braucht aber gute Gründe. Und vor allem: gut dokumentierte Gründe. Das könnten, so meint der Verfassungsjurist Heinz Mayer, etwa Verkehrsfachleute sein, die feststellen, dass der Pendlerverkehr regionale Lockdowns ad absurdum führen würde. Auch die Ausbreitung von Mutationen könne – sofern Experten das so sehen – gegen regionale Lockerungen sprechen, meint der Verfassungsjurist Peter Bußjäger. Dass Länder oder gar Bezirke auf eigene Faust die dortigen Regeln lockern, ist nicht möglich. Zwar haben die Landeshauptleute gesetzlichen Spielraum, sie können aber nur verschärfen.

Rein rechtlich wären regionale Lockdowns dennoch machbar, etwa, indem der Gesundheitsminister zwar den bundesweiten Lockdown aufhebt, einzelnen Ländern aber die Weisung zu schärferen Regeln erteilt, sagt der Medizinjurist Karl Stöger. Zuletzt gab es etwa in Salzburg sogar regional strengere Bestimmungen auf Bezirksebene.

In Wien will man nun wieder über ein regional differenziertes Vorgehen sprechen: "Wir müssen diskutieren, ob es im Westen mit viel höheren Inzidenzen die gleichen Lockerungen geben kann wie in Ostösterreich", sagt Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). "Wenn wir unterschiedliche epidemiologische Entwicklungen gleich bewerten, werden die Menschen bei den Maßnahmen nicht mehr mitgehen." (Katharina Mittelstaedt, Gabriele Scherndl, 15.1.2021)