In diesen Tagen wird quer durch das Land darüber diskutiert, ob die Regierung die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie lockern oder verschärfen soll. In Internetforen, zwischen Parteien, Sozialpartnern, in Familien, auch in Zeitungsredaktionen, überall ein ähnliches Bild. Wie beim Fußball, wenn die Österreicher ein Volk von fast neun Millionen "Teamchefs" sind, ist es auch beim Virus: "Alle" wissen es besser, was zu tun wäre, die meisten überzeugt, gutwillig, nur wenige bösartig oder ignorant. Es geht drunter und drüber.

Beim Spiel ist das egal. Es ist Unterhaltung. Aber die Nationalmannschaft sollte Warnung sein. Sie scheitert oft schon an der Qualifikation, weil Professionalität fehlt. Österreich wurde nie Weltmeister. Womit wir politisch, was die komplexe Materie der Corona- und Wirtschaftskrise betrifft, beim "Teamchef" dieses Landes, bei Kanzler Sebastian Kurz, wären. Es ist nun bald ein Jahr her, dass in Innsbruck offiziell die ersten Fälle von Corona-Infektionen bekannt wurden. Schaut man auf die bedrohliche aktuelle Lage, die Gefahren, die vom mutierten Virus ausgehen, und spannt man den Bogen zu dem, was seit den Anfängen der türkis-grünen Koalition geschehen ist, ergibt sich kein gutes Bild.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) muss nun den Ernst der Lage klarmachen und Orientierung geben.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Österreich war zwar gut beim Brechen der ersten Infektionswelle, Angst und Unwissenheit zwangen Regierung und Opposition, Sozialpartner und die Bevölkerung auf einen gemeinsamen Weg – seit dem Sommer aber ist ohne Zweifel der Wurm drin. Seit Oktober wankt das Land hin und her auf einem zu hohen Infektionsniveau. Letztverantwortlich: der Regierungschef.

Schwachstellen in der Regierung

Kurz hat mehrmals zu lange gezaudert, gab sich der Illusion hin, er könne mit Marketingsprech seiner Berater über Schwächen seiner Regierung hinwegtäuschen. Dass die Arbeitsministerin über sich selbst stolperte, war noch ein Glück für den ÖVP-Chef. Die Krise auf dem Arbeitsmarkt braucht einen Profi wie Martin Kocher.

Bildungsminister Heinz Faßmann zeichnet sich als nächste Schwachstelle ab. Er bringt mit seinem Schwanken in Schulfragen Schüler, Lehrer und Eltern zur Verzweiflung. Und der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober sorgt mit viel Geschwurbel oft für mehr Verwirrung als für Orientierung.

Zum ersten Mal seit dem Antreten der türkis-grünen Regierung steht Kurz offenbar vor einer ernsten Bewährungsprobe. Er wird beweisen müssen, dass er nicht nur rhetorisch überzeugt, sondern als Dirigent, als einer, der klug zusammenführt, der ausgleichen und das Land und seine Bürger von einem im Großen und Ganzen unumstrittenen gemeinsamen Vorgehen überzeugen kann.

Dazu muss er mehrere entscheidende Schritte setzen. Der Kanzler soll, so wie seine Amtskollegin Angela Merkel, den Ernst der Lage klarmachen, ohne Wenn und Aber Orientierung geben. Er muss das "ewige parteipolitische Hickhack" beenden, auf die Opposition zugehen, sie ehrlich zur Kooperation einladen. Es ist unübersehbar, dass SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner bereit ist, die "alten Geschichten" seit dem Bruch bei den Wahlen 2017 zu vergessen. Ein kluger Kanzler würde das nützen, öffentlich dokumentieren. Ein Kanzler muss einladen, verbinden, muss ermöglichen.

Und Härte zeigen, die Quertreiber in den eigenen Reihen in Schranken weisen, wenn nötig – von den Liftkaisern bis zum Wirtschaftskammerchef. Der Großteil der Bevölkerung würde mitziehen. (Thomas Mayer, 15.1.2021)