Mastermind des schwedischen Pandemie-Managements: Anders Tegnell

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Anders Tegnell ist eine Reizfigur im öffentlichen Diskurs. Der Chefepidemiologe der schwedischen Behörde für öffentliche Gesundheit wird für die Corona-Strategie des skandinavischen Landes heftig kritisiert, die zu einem großen Teil auf Freiwilligkeit basiert und auf Lockdowns weitgehend verzichten will. Sogar König Carl Gustav meldete sich zu Wort und sah sein Land als gescheitert. Aber auch unter Wissenschaftern ist der schwedische Weg höchst umstritten. Im Frühjahr 2020 schienen wirklich alle Fakten gegen Tegnell zu sprechen. Die Infektionszahlen und die Sterberate waren höher als in vergleichbaren Ländern.

Seit Herbst sind die Zahlen immer noch viel zu hoch – mittlerweile sind es 10.300 Todesfälle bei mehr als 500.000 bestätigten Infektionen. Österreich steht bei 6987 Toten undfast 400.000 Infektionen. Die Kurve ist aber deutlich flacher als im Frühjahr. Man habe nun den Schutz der Alters- und Pflegeheime in den Vordergrund gestellt, sagt Tegnell, der auf Einladung der Ages, der österreichischen Gesundheitsagentur, am Donnerstag über das schwedische Corona-Management sprechen durfte.

Anfangs zu wenig getestet

Zu Beginn der Pandemie habe man wirklich ein großes Problem gehabt. 50 Prozent der Todesfälle kamen aus Alten- und Pflegeheimen. Damals hatte man auch zu wenig Testkapazitäten, etwa 20.000 pro Woche, mittlerweile konnte man sich auf 300.000 Corona-Tests pro Woche steigern. Jeder Verdachtsfall werde schnell getestet. Mittlerweile habe man auch die Kapazitäten im Bereich Intensivmedizin deutlich hochgefahren.

Tegnell sprach bei der Veranstaltung von einem Weg, der seiner Ansicht nach zu vielen Missverständnissen führte. Zunächst beschrieb er das historisch gewachsene, dezentrale Gesundheitssystem des Landes. Die Agentur habe bei den Entscheidungen große Freiheiten. Und setze diesen schwedischen Umgang mit Regeln auch im Alltag um.

Es gibt daher im Großen und Ganzen nur "starke Empfehlungen" und keine Strafen beim Nicht-Einhalten derselben. Tegnell nannte es einen "virtuellen Lockdown", der sehr wohl auch verpflichtende Elemente enthalte: Veranstaltungen seien drastisch reduziert worden, in der Gastronomie werde darauf geachtet, den Mindestabstand einhalten zu können, sie sei ausgedünnt. Er verwies auch auf Reisebeschränkungen. Mobilfunkdaten zeigen, dass die Schweden deutlich weniger reisten als in Vor-Corona-Zeiten.

Großes Vertrauen

Tegnell erzählte, es gebe rasch Entschädigungen für Menschen, die zu Hause bleiben, Kinder und Jugendliche unter 15 gehen weiterhin in die Schule. Unter Lehrern habe es weniger Ansteckungen gegeben als unter anderen Berufsgruppen (etwa Taxifahrern). Der Epidemiologe erwähnt, dass das Konzept der Freiwilligkeit durch eine intensive Kommunikation mit der Bevölkerung unterstützt werde. Man habe großes Vertrauen in die Aktivitäten der Gesundheitsagentur.

Tegnell setzt auf Public Health, das heißt, er betont die Bedeutung des Gesundheitszustands der Bevölkerung auch abseits von Covid-19-Erkrankungen. Man mache sich Sorgen um die physische und mentale Verfassung der Bevölkerung, weshalb alle Maßnahmen mit Umfragen begleitet werden. Ein Ergebnis davon zeigt: 60 Prozent hätten ihre sportlichen Aktivitäten reduziert, 30 Prozent der Befragten machen mehr Sport als vor der Pandemie. (Peter Illetschko, 16.1.2021i)