Wer auf sozialen Medien unterwegs ist, kommt wohl nicht um Facebook herum. Die EU will die Marktmacht der IT-Konzerne aufbrechen.

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Ein Blick auf die Gewinne von Amazon, Google, Apple und Facebook im vergangenen Quartal könnte einen denken lassen, 2020 habe es keine Pandemie gegeben. Während weltweit Unternehmen vor einer Insolvenzwelle stehen, schreiben die IT-Konzerne Rekordgewinne. Ihre gigantische Marktmacht scheint unaufhaltsam zu steigen – und damit auch ihr Wunsch, sie zu behalten.

Die Vehemenz, mit der die Konzerne dabei agieren, ist etwa bei Amazon gut zu beobachten: Das Unternehmen nutzt seinen massiven Datenschatz, um die Konkurrenz zu verdrängen. In seiner Funktion als größter Online-Marktplatz sammelt Amazon Informationen darüber, welche Produkte Kunden interessieren, wie viel sie dafür ausgeben würden, wer die großen Player auf dem Markt sind – und auch, wie übersättigt dieser ist. So weiß Amazon, wann ein bestimmtes Segment einen neuen Teilnehmer vertragen könnte, der die Mitbewerber aussticht. Seine massiven finanziellen Möglichkeiten nutzt es, um diese Produkte günstiger als Neugründungen anzubieten, sodass diese keine Chance haben, sich zu etablieren. Zusätzlich priorisiert es auf seiner Webseite die eigenen Produkte und kann obendrauf auch noch als Logistikdienstleister einen unkomplizierten Vertriebsweg nutzen.

Konkurrenz auslöschen

Nicht anders sieht es bei Google, Apple, Facebook und Co aus. Erstere beide Firmen gerieten in der Vergangenheit vor allem aufgrund ihres Umgangs mit Software-Entwicklern für ihre Betriebssysteme Android und iOS in die Kritik. So wirft ihnen das hinter dem massiven Spieleerfolg Fortnite steckende Studio Epic Games in einer Klage vor, ihre Monopolstellung zu nutzen, um Entwickler dazu zu zwingen, 30 Prozent ihrer Einnahmen, die sie mit Programmen generieren, die in den App-Stores der Unternehmen angeboten werden, an die Unternehmen zu bezahlen. Facebook, das mit seinen Töchtern Instagram und Whatsapp sowie Facebook selbst den Markt für soziale Medien seit Jahren regiert, kopiert Features, die bei der Konkurrenz gut ankommen, um bei den Nutzerzahlen die Krone zu behalten – beispielsweise die "Story"-Funktion von Snapchat, bei der ein gepostetes Bild nach 24 Stunden verschwindet.

Strafen reichen nicht

Das Vorgehen der Konzerne blieb von den Wettbewerbshütern der EU nicht unbemerkt. Aktuell läuft etwa ein Verfahren gegen Amazon, der Vorwurf lautet, dass das Unternehmen seine Datenmacht missbrauche. Google wurde bereits mehrfach abgestraft: 2019 musste das Unternehmen 1,49 Milliarden Euro zahlen, 2018 4,34 Milliarden Euro, 2017 2,42 Milliarden. Angesichts der finanziellen Mittel des Unternehmens ist das aber im Vergleich zu anderen Firmen Kleinkram – allein im dritten Quartal 2020 erwirtschaftete es einen Gewinn in Höhe von rund neun Milliarden Euro.

Dass es mehr als die bestehende Rechtslage braucht, darüber ist man sich in Brüssel mittlerweile einig. Zu sehr beherrschen die Firmen die Internetwirtschaft, und wenn nicht eingegriffen wird, wird sich das in Zukunft auch nicht mehr ändern. Ein Instrument soll der Digital Markets Act (DMA) liefern, der aktuell in der Union verhandelt wird. Der sieht in erster Linie vor, dass die Plattformen der "Gatekeeper" – so werden Konzerne bezeichnet, deren Nutzerzahlen zehn Prozent der EU-Bevölkerung übersteigen – sich künftig mehr für die Konkurrenz öffnen. Außerdem verbietet er unfaire Geschäftspraktiken, mit denen Konzerne ihre Produkte bevorzugen, etwa in Suchergebnissen. Anders als zuvor will die EU-Kommission eine Ex-ante-Regelung einführen – demnach wird bereits vorab festgelegt, was verboten ist. Anstatt erst nachträglich zu sanktionieren, soll es gleich zu Strafen kommen können.

Zu zaghaft

Aus Sicht von Viktoria Robertson, Leiterin der Abteilung für Kartellrecht und Digitalisierung an der Wirtschaftsuniversität Wien, könnte das Regelwerk allerdings zu zaghaft sein, wie sie zum STANDARD sagt. Die Liste der "Dos and Don’ts" der Kommission, die Gatekeepern Verhaltensregeln vorschreibt, sei ein "Sammelsurium an Verbotsvorschriften". "Das zu systematisieren wird ganz schwierig sein."

Im Vergleich zu den jüngsten Vorstößen der US-Politik wirken die Bemühungen der EU zurückhaltend: Inzwischen sind sich Republikaner und Demokraten in den USA einig, dass scharfe Regulierungen notwendig sind – sogar über eine Zerschlagung "bestimmter dominierender Plattformen" wird diskutiert. "Eigentlich diskutieren wir diese Themen in der EU schon viel länger, inzwischen könnten uns die US-Amerikaner hier aber wieder überholen", sagt Robertson.

Klage mit 48 Bundesstaaten

Insbesondere im vergangenen Herbst kamen die Regulatoren in Bewegung. Während ein im Oktober veröffentlichter Bericht zur kartellrechtlichen Untersuchung der "Big Tech"-Konzerne die Wichtigkeit hervorhebt, die größten Firmen streng unter die Lupe zu nehmen, zeigen Klagen gegen die Google-Mutter Alphabet und Facebook die Einigkeit der meisten Behörden darüber, dass Handlungsbedarf besteht. Alphabet wurde im Oktober vorgeworfen, seine Konkurrenten im Werbegeschäft und bei Suchergebnissen zu benachteiligen. Facebook traf es Mitte Dezember: Gemeinsam mit 48 Bundesstaaten klagte die US-Regierung wegen des Vorwurfs des unlauteren Wettbewerbs. Angeprangert werden insbesondere die Übernahmen von Instagram und Whatsapp. Mit diesen wollte Facebook, so die Klagsschrift, mögliche Konkurrenten unschädlich machen. Gleichzeitig wird aufgeworfen, dass womöglich eine Zerschlagung notwendig sei. Die sei in der Klagsschrift allerdings nur als Anregung für die Justiz formuliert, gibt Robertson zu bedenken. "Der Richter muss entscheiden, was passiert. Aber bis es so weit ist, wird es noch Jahre dauern. Und je länger es dauert, desto stärker etablieren sich diese Unternehmen am Markt."

Katz-und-Maus-Spiel

Reichen dann aber Maßnahmen wie der DMA und das Vorgehen der US-Regierung, oder kann letztlich nur eine rasche Zerschlagung die Marktverhältnisse korrigieren? "Unter den geltenden kartellrechtlichen Bestimmungen ist sie ja grundsätzlich schon möglich. Dafür müsste man nicht auf den DMA warten", sagt Robertson. Allerdings sei eine Zerschlagung das letzte Mittel. "Wenn es eine annähernd effektive Möglichkeit gibt, den Wettbewerb wiederherzustellen, wird das zuerst passieren."

Das könnte sich zu einem Katz-und-Maus-Spiel entwickeln, denn die Firmen wehren sich mit allen Mitteln gegen Regulierung. "Sie versuchen konglomerate Strukturen aufzubauen. So zu sehen bei Google, dessen Mutterkonzern nicht umsonst Alphabet heißt. Sie bieten alles, von A bis Z", sagt Robertson. Für Nutzer von Whatsapp war dieses Vorgehen zuletzt bei der Aktualisierung der Datenschutzbedingungen zu beobachten. Diese erlauben Facebook nun, die Daten von Whatsapp außerhalb der EU zu verarbeiten. Damit will die Firma Facebook und Whatsapp weiter miteinander verzahnen – und so eine Zerschlagung technisch unmöglich machen. (Muzayen Al-Youssef, Mickey Manakas, 17.1.2021)