An die 25.000 Menschen wurden zu den Protesten erwartet, am Samstag waren es etwas mehr als 10.000.

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Die linke Gegendemo war zuerst in der Wiener Innenstadt, einige Aktivisten blockierten dann den Ring.

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Egal ob Rechtsextreme, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker oder Maßnahmenkritiker: Sie alle vereinten sich unter dem Banner "Kurz muss weg!".

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Auch zahlreiche Falschinformationen zu den Corona-Impfungen wurden verbreitet.

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Rund 10.000 Menschen haben am Samstag in Wien gegen die "Corona-Diktatur", für die sie Österreich halten, demonstriert. Auch die dortige Rede des bayerischen AfD-Abgeordneten Hansjörg Müller wirft Fragen auf. Unklar ist nämlich, ob der deutsche Politiker die Quarantäneauflagen erfüllt hat, die bei einer Einreise nach Österreich gelten – also ob er sich wie vorgeschrieben vorab elektronisch registriert und anschließend für zehn Tage in Quarantäne begeben hat.

Im Innenministerium wusste man das am Sonntag nicht. Ob Müller sich vorregistriert hat, werde derzeit ermittelt, sagte Ressortsprecher Harald Sörös dem Standard. Grundsätzlich jedoch seien die Gesundheitsbehörden für die Einhaltung des Covid-19-Maßnahmengesetzes zuständig, die Polizei wirke lediglich mit. Auch würden Beamte der Landespolizeidirektionen an den Grenzen zu Deutschland nur stichprobenartig kontrollieren – während die Überwachung in Richtung Ost- und Südosteuropa aufgrund der besonders hohen Infektionszahlen intensiviert worden sei.

Etwa 10.000 Menschen haben am Samstag in Wien gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. Eine Videoreportage.
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Keine Masken, kein Abstand

Für scharfe Kritik sorgt der Umstand, dass die Demos stattfinden konnten, obwohl die Teilnehmenden fast alle ohne Schutzmasken und Sicherheitsabstand unterwegs waren. Seien erst einmal mehrere tausend Menschen auf der Straße, wäre eine massive Eskalation Preis eines Einschreitens, sagte Sörös: "Dann müssten wir wohl Wasserwerfer und Tränengas einsetzen." Auf ein Einschreiten an den Treffpunkten vor dem Abmarsch, also beim Zustrom, hatte die Polizei allerdings verzichtet. Aus Kreisen im Innenministerium erfuhr DER STANDARD, dass der Minister damit nicht zufrieden war und den Einsatz evaluieren lässt.

Wegen Verstößen gegen die Corona-Regeln wurden 242 Identitäten festgestellt und 156 Anzeigen erstattet. Es gab auch drei Festnahmen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, 17 Festnahmen nach dem Verwaltungsstrafgesetz. Die Festnahmen betrafen laut Sörös größtenteils die Gegendemonstranten. Sie trugen Mund-Nasen-Schutz.

Neonazis, Strache und die FPÖ

Die rechtsextreme Szene betätigte sich nicht nur im Hintergrund bei der Organisation, wie sie das laut Verfassungsschutz seit den ersten Demos tat, sie trat auch auf. Das Innenministerium bestätigte dem STANDARD, dass der bekennende und mehrfach wegen NS-Wiederbetätigung verurteilte Neonazi Gottfried Küssel "mit zwei Bussen voll mit Gefolgsleuten aus Oberwart" angereist war. Mit dabei alte Kameraden "aus dem Kreis der Vapo" (Volkstreue außerparlamentarische Opposition). Küssel gründete die Vapo 1986, veranstaltete mit ihr Wehrsportübungen und Kundgebungen und trat für die Wiedereinführung er NSDAP als Wahlpartei ein.

Auch der Chef der österreichischen Identitären und ihrer rechtsextremen Nachfolgeorganistation Martin Sellner nahm mit einer Gruppe aus zirka 20 Gleichgesinnten an der Demonstration teil. Bei ihrer Ankunft spannten sie ein "Kurz muss weg"-Banner auf, woraufhin sie vom Publikum und dem Redner auf der Bühne mit Applaus begrüßt wurden. Daneben spannten sie – in Anspielung auf das unter Rechtsextremen gängige Narrativ eines vermeintlichen "Bevölkerungsaustausches" – ein zweites Banner mit der Aufschrift "Großer Austausch, great Reset" auf.

Auch Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache sprach mit den Demo-Organisatoren.
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Wie bereits via Facebook angekündigt, war auch Heinz-Christian Strache auf der Demonstration und suchte die Nähe zu den Organisatoren. Ebenso sein Ex-Parteikollege FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. Auf die Frage, ob er auch als Redner auftreten würde, sagte Schnedlitz: "Heute nicht, wird aber bestimmt noch kommen!" Mehrere FPÖ-Politiker hatten im Vorfeld der Demonstration erklärt, dass sie die Proteste unterstützen.

Auch AfD-Abgeordneter sprach

Neben amtsbekannten Rechtsextremen war die Menge bunt gemischt: Impfgegner, Esoteriker und Verschwörungsgläubige tummelten sich mit jenen, die mit Nazis nichts zu tun haben wollen. So sagte eine Frau, die im Beruf Wirtin ist, dass sie nichts dafür könne "wenn ein oder zwei Nazis dabei sind". Sie demonstriere gegen das von der Bundesregierung verursachte Chaos.

Der AfD-Abgeordnete Müller sprach in seiner Rede vom notwendigen Umbau unseres "Systems" in eine Rätedemokratie. Der deutsche Verfassungsschutz sei die "Stasi 2.0". Überhaupt sahen sich alle Redner als Opfer einer angeblichen "Corona-Diktatur". Ein anderer Redner verbreitete Falschinformationen wie etwa, dass der Corona-Impfstoff die DNA verändern würde. Die Impfkampagnen seien "erpresserisches Verhalten der Großmächte". Diese angebliche Großmächte wollten schon immer eine bestimmte Substanz den Menschen verabreichen um sie "gleichzuschalten". Beifall der Menge.

Gegen 14.30 Uhr vereinigten sich die beiden Kundgebungen vom Maria-Theresien- und vom Heldenplatz zu einem etwa 10.000 Teilnehmer starken Zug, der den Ring gegen der Fahrtrichtung entlang zog. Rund eine Stunde später wurde die Demo wegen einer linken Blockade am Stubenring gestoppt. Mehrere Gegendemonstranten setzten sich auf die Fahrbahn.

Gegendemonstranten eingekesselt

Als sich der Demozug kurz nach 16 Uhr näherte, skandierten die linken Aktivisten: "Wir impfen euch alle!". Die Polizei trug die Sitzblockierer daraufhin weg, kesselte sie ein und stellte ihre Identitäten für Anzeigen fest. Fünf Personen wurden außerdem festgenommen, vier weil sie sich nicht ausweisen konnten, eine weitere wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt, sagt ein Polizeisprecher.

Es kam auch zu einem gewaltsamen Übergriff. Ein Journalist wurde von einem Demonstranten angegriffen und geschlagen, wie Augenzeugen berichten und ein Video, das dem STANDARD vorliegt, belegt. Da er mit Helm und Schutzweste ausgestattet war, konnten schlimmere Verletzungen vermieden werden – trotz Schlägen ins Gesicht. Laut dem Betroffenen ging die Polizeisondereinheit Wega dazwischen und der Journalist brachte zum Ausdruck, dass er Anzeige erstatten möchte. Seine Daten seien aufgenommen worden. Bei der Wiener Polizei will man auf Anfrage des STANDARD nichts von dem Vorfall wissen. Wegen bereits vermehrter Übergriffe auf Journalisten am Rande der "Querdenker"-Demos stellte die Polizei Wien extra zwei Kontaktbeamte für Medienschaffende zur Verfügung.

Gegen 18 Uhr wurde die Demonstration schließlich von der Veranstalterin beendet. Die Polizei beobachtet weiterhin wohin sich die nach wie vor tausenden Demonstranten verteilen. In den öffentlichen Verkehrsmitteln waren zahlreiche Personen ohne Maske unterwegs, auch kleinere gewaltbereite rechte Gruppen streunten am Samstagabend noch durch die Innenstadt. (Irene Brickner, Laurin Lorenz, Colette M. Schmidt, Johannes Pucher, 16.1.2020)