Glück der Doppelbegabung: Geiger und Dirigent Emmanuel Tjeknavorian.

Foto: Konzerthaus

Wie politisch interessiert Geiger und Dirigent Emmanuel Tjeknavorian ist, lässt sich ein bisschen an seinem TV-Konsum ablesen: "Was vielleicht noch so bekannt ist: Ich verfolge mit großem Interesse Parlamentsdebatten!", sagt der 1995 in Wien geborene Musiker mit armenischen Wurzeln. Wahrscheinlich haben Corona-bedingte Konzertabsagen sein Interesse in den letzten Monaten zusätzlich befeuert. Neue Gesetze, seltsamste Verordnungen – da wird man im Homeoffice noch etwas mehr politisiert; da will man wissen, wie es weitergeht.

Im Jänner hätte Tjeknavorian als Dirigent unterwegs sein sollen. Und mit dem Orchester der Mailänder Scala wäre er demnächst als Geiger in Erscheinung getreten. Blöde Sache? "Es ist, wie es ist", bekundet Tjeknavorian nüchtern und betont, dass er durchzuhalten gedenke.

"Corona-Profiteur"

Wenn er zugespitzt von sich sogar "als Corona-Profiteur" spricht, meint er das nicht im ökonomischen Sinne. Er betont den Zeitgewinn – auch nicht nur bezüglich des Parlaments-TV. Vom Betrieb "abgeschnitten", konnte er tief in Werke wie Beethovens Große Fuge op. 133 (Fassung für Streichorchester) eintauchen. Am Sonntag wird sie – knapp 16 Minuten lang – als Konzerthaus-Stream mit Dirigent Tjeknavorian zu hören sein.

Er habe "drei Wochen lang rund um die Uhr obsessiv recherchiert und studiert", so Tjeknavorian. Eine prägnante Antwort auf die Frage, wie das anspruchsvolle Stück eigentlich einzuordnen sei, könne er dennoch nicht geben.

"Ich halte es ganz mit dem Zeitgenossen Beethovens, Abbé Vogler: ,Die Fuge ist eine Konversation zwischen einem Haufen von Sängern. Sie ist also ein musikalisches Kunstwerk, wo niemand akkompagniert, niemand nachgibt, wo keiner eine Nebenrolle, sondern jeder eine Hauptrolle spielt.‘" Wehren möchte sich Tjeknavorian aber gegen andere Zuschreibungen: Weder sei der kontrapunktische Monolith "ein geeignetes Werk zum Abbau von Aggressionen" noch das "vertonte Chaos eines tauben Komponisten".

Maßvoll im sozialen Netzwerk

Auch bewertet er die These, wonach die Fuge weder gespielt noch gehört würde, "wäre sie nicht von Beethoven", als höchst unangebracht. Und weil er schon dabei ist: Vergleiche mit "neuester Musik oder gar anderen Musikgenres wie Hardrock" wären fehl am Platz.

Tjeknavorian bei der Fugen-Arbeit zu beobachten bietet also die Möglichkeit, ein paar Vorurteile abzulegen. Momentan gibt es dazu ja kaum Gelegenheit. Im Gegensatz etwa zu Pianist Igor Levit legt Tjeknavorian ja Wert "auf maßvolle Benutzung der sozialen Netzwerke." An Streams aus dem Wohnzimmer habe er "aufgrund meines Bewusstseins für Privatsphäre nie gedacht".

Kein Geigenurlaub

Viel wichtiger: 2021 sei das Jahr, in dem sich für ihn das Verhältnis zwischen Dirigieren und Spielen entscheiden könnte – vorstellbar, dass er Chefdirigent eines Orchesters wird. Folglich kann er mit der Hypothese, Dirigieren sei eine Art "Urlaub" vom Geigendrill, "nichts anfangen. Ich bin ein Musiker, der das Handwerk des Dirigierens und des Geigenspiels erlernt hat und beides zurzeit leben kann! Wenn ich es aber blumig-poetisch beschreiben müsste, dann würde ich sagen: Dirigieren ist meine Bestimmung, die Geige mein Medium!"(Ljubisa Tošic, 16.1.2021)