Der Widerstand gegen die Corona-Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro trägt mitunter auch kreative Züge.

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"Wir müssen entscheiden, wen wir retten", berichtet eine Krankenschwester aus dem Universitätsspital in Manaus. "Bitte schickt uns Sauerstoff", lautet ihr verzweifelter Aufruf in sozialen Medien. Die Situation in Manaus, der Metropole im brasilianischen Amazonasgebiet, ist dramatisch. Das Gesundheitssystem ist angesichts der rapide gestiegenen Corona-Infektionen völlig zusammengebrochen. Es gibt keinen Sauerstoff für die Beatmungsgeräte – in keinem Spital. Das medizinische Personal versucht in seiner Verzweiflung, den Patienten Frischluft zuzufächern oder sie manuell zu beatmen. Mehrere Kliniken mussten Notaufnahmen schließen.

Seit dem Wochenende transportiert die Luftwaffe Sauerstoffzylinder in die Metropole. Doch die Zahl reicht nicht aus. Patienten werden auch in Nachbarstaaten ausgeflogen. Zuvor hatten sich Bürgermeister und Ärzte an die Justiz gewandt, um von der Regierung Hilfe einzufordern. Als Präsident Jair Bolsonaro auf die Situation in Manaus angesprochen wurde, schob er die Verantwortung weg. "Wir haben unseren Teil getan", lautete seine lapidare Antwort. Das oberste Gericht hat Bolsonaro daraufhin eine Frist von 48 Stunden gesetzt, um einen Plan vorzulegen, wie das Gesundheitswesen in Manaus mit Sauerstoff und anderem notwendigem Material ausgestattet werden kann.

Sauerstoff auf dem Schwarzmarkt

Im abgelegenen Manaus gibt es mit White Martins nur eine einzige Firma, die Sauerstoff herstellt – und diese kommt schon lange nicht mehr mit der Produktion nach. Angehörige berichten, dass auf dem Schwarzmarkt Zylinder mit Sauerstoff für mehrere tausend Euro verkauft wurden.

Nach den Festtagen zum neuen Jahr, einer Hauptreisezeit in Brasilien, sind die Infektionen im ganzen Land in die Höhe geschnellt. Allerdings grassiert in der Amazonasregion auch eine Virusmutation, die der in Großbritannien nachgewiesenen ähnelt und viel ansteckender ist.

Große Hoffnungen legen deshalb viele auf die Impfkampagne, die diese Woche beginnen soll. Doch die einzige Impfung, die derzeit in größeren Mengen zur Verfügung steht, ist die des chinesischen Herstellers Sinovac, die auch in Brasilien produziert wird. Ihre Wirkung liegt allerdings Studien zufolge mit knapp über 50 Prozent weit unter den Erwartungen.

Bolsonaro wettert ohnehin öffentlich gegen das Impfen. Immer wieder macht er auf angebliche Nebenwirkungen aufmerksam, etwa "Frauen, denen plötzlich ein Bart wächst". Das oberste Gericht hatte Bolsonaro widersprochen und die Impfungen für "obligatorisch" erklärt. Zwar könnten Menschen nicht gezwungen werden, die Behörden könnten aber Bußgelder für Impfverweigerer verhängen.

Antrag auf Amtsenthebung

Mit der Dramatik in Manaus wächst auch der Druck auf Bolsonaro, der das Virus weiter verharmlost. In São Paulo und Rio de Janeiro versammeln sich Menschen zu sogenannten Panelaços. Mit Holzlöffeln und Deckeln schlagen sie auf Kochtöpfe und fordern "Bolsonaro raus". Die Opposition präsentierte einen neuen Antrag auf Amtsenthebung und macht darin den Präsidenten wegen seiner Verharmlosung der Pandemie für die Tragödie in Manaus verantwortlich. Auf Twitter läuft eine Kampagne, die Parlamentspräsident Rodrigo Maia, der in Kürze sein Amt aufgibt, zwingen will, diesen Antrag im Kongress zu beraten. Allerdings sind die Hürden für ein Impeachment hoch, und rund zwei Drittel der Abgeordneten stehen trotz allem weiter hinter Bolsonaro. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 18.1.2021)