ÖVP-Ministerin Karoline Edtstadler fordert im Gastkommentar eine einheitliche europäische Lösung um einen rechtlichen Rahmen für digitale Plattformen zu schaffen.

Der Dorfplatz des 21. Jahrhunderts heißt Twitter, Facebook oder Instagram. Große Teile unseres Lebens – unseres gesellschaftlichen Austauschs in der Pandemiezeit – spielen sich mittlerweile im digitalen Raum ab. Doch auch wenn diese Platt formen vorgeben, neutrale Dienstanbieter im Internet zu sein, kann von Neutralität keine Rede sein. Denn ein Geschäftsmodell, das anhand eigener Richtlinien über Inhalte und Nutzer verfügt und Algorithmen zur Steuerung von Feeds nützt, ist alles andere als neutral. In der Realität sind diese Plattformen längst die fünfte Gewalt im Staat.

Wer so viel Macht hat, muss Verantwortung übernehmen. Kommunikationsplatt formen müssen gegen illegale und strafbare Inhalte vorgehen. Es braucht klare Regeln, was und wer gelöscht wird – und wer diese Regeln festlegt.

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Richtige Entscheidung oder Zensur? In den letzten Tagen seiner Amtszeit als US-Präsident wurde Donald Trump der Zugang zu Twitter gesperrt.
Foto: AP/ Alex Brandon

Keine Kontrolle

Kommunikationsplattformen agieren außerhalb des eingespielten Systems der Checks and Balances, sie handeln nur auf Basis ihrer eigenen Community-Richtlinien, ohne objektive Kontrolle und Transparenz. Wozu dies führen kann, sehen wir derzeit in den USA. Mehrere Plattformen haben dort entschieden, die Accounts des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump zu sperren. Da damit möglicherweise eine weitere Eskalation der Situation verhindert wurde, wird dieser Schritt sicher von vielen als gerecht fertigt empfunden.

Bei mir hinterlässt diese Vorgehensweise großes Unbehagen. Was heißt das für die politischen Debatten in Zukunft? Wer zieht die Grenze zwischen Inhalten, die strafrechtswidrige Tatbestände verwirklichen, und Inhalten, die der Empfänger nicht hören will? Aktuell legen das die Plattformen in ihren Community-Richtlinien selbst fest. Aber wollen wir derart wichtige Entscheidungen wirklich den CEOs von gewinnorientierten Datenkonzernen in den USA und China überlassen?

Meine Antwort darauf ist klar: Wir alle sollen diese Regeln beschließen, so wie wir auch die Regeln für unseren Umgang offline demokratisch beschließen. Es geht dabei nicht um die Frage, ob es "gerechtfertigt" ist, dass Plattformen Accounts sperren oder Inhalte löschen, sondern vielmehr darum, ob dies transparent, nachvollziehbar und aufgrund eines Regelwerks geschieht, das für alle gleichsam gilt.

Europäische Lösung

Um tatsächlich effektiv für die international agierenden Plattformen derartig ein deutige Rahmenbedingungen zu schaffen, braucht es eine europäische Lösung. Diese wurde mit dem von der Europäischen Kommission im Dezember präsentierten Digital Services Act und dem Digital Markets Act auf den Weg gebracht. Hier braucht es schnell eine europäische Einigung. Wichtig ist weiters, auf globaler Ebene in einer transatlantischen Allianz zwischen der Europäischen Union und den USA unter der neuen Biden-Administration enger zusammenzuarbeiten und wirksame Maßnahmen zu setzen. Es darf nicht länger ein Tabu sein, auch digitale Plattformen gesetzlich zu verpflichten, sich an Regeln zu halten. Nur so können wir auch gewährleisten, dass die Meinungsäußerungsfreiheit geschützt wird. Internationale Datenkonzerne regulatorisch adäquat zu fassen, stellt für Staaten und Staatengemeinschaften eine große Herausforderung dar.

Der Aufwand, sachgerechte Lösungen zu finden, entbindet Staaten aber nicht ihrer Pflicht, zur Sicherung des Meinungspluralismus tätig zu werden. Für Plattformen bedeutet die Einhaltung solcher Normen zusätzlichen finanziellen Aufwand, der gerade in der Gründungsphase als hinderlich empfunden wird. Dies muss bei einer Lösung berücksichtigt werden, ebenso wie die Unterstützung europäischer digitaler Infrastrukturen. Unternehmerisches Denken verlangt aber auch, bei wirtschaftlichen Entscheidungen den regulatorischen Rahmen zu berücksichtigen.

In Österreich wurde als erster Schritt mit dem Kommunikationsplattformen-Gesetz ein rechtlicher Rahmen für Kommunikationsplattformen beschlossen, der seit 1. Jänner 2021 in Geltung steht. Strafrechtliche Inhalte müssen zeitnah gelöscht werden. Passiert das nicht, drohen Sanktionen. Wichtiges Detail: Es besteht die Möglichkeit, die Entscheidung über das Löschen beziehungsweise Nichtlöschen überprüfen zu lassen.

Weitere Gefahr

Der Sturm auf das Kapitol in Washington machte eine weitere Gefahr sichtbar, die mir persönlich große Sorge bereitet und der Demokratie schadet: Verschwörungstheorien. Dies ist kein neues Phänomen, es existiert seit Jahrhunderten. Gerade in Österreich wissen wir, dass Verschwörungstheorien stark zur antisemitischen Hetze beigetragen haben, die letztlich zum größten Verbrechen der Menschheit geführt hat: der Shoah. Es ist erschreckend und eine Warnung zugleich, wie schnell solche Mythen ohne jegliche faktische Grundlage zu Gewalt und Hass führen können – und wie hartnäckig sie sich in der Gesellschaft halten. Aktuell sehen wir das wieder bei Corona-Verschwörungstheorien. Soziale Medien wie Facebook, Twitter, Instagram und Co haben das Problem verschärft, weil Verschwörungstheorien dort schneller Verbreitung finden. Für die User werden soziale Medien zu Echokammern, die nur die eigene Meinung widerspiegeln und keinen Raum für Kritik und Reflexion bieten.

Positiv ist jedenfalls zu bewerten, dass diese Themen nun auch in den Medien intensiv behandelt werden. Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, gesamtgesellschaftlich über diese Fragen zu diskutieren und gemeinsam Antworten darauf zu finden. Denn schlussendlich geht es um nichts Geringeres als um das Recht der Meinungsäußerungsfreiheit im Internet. (Karoline Edtstadler, 17.1.2021)