In Großbritannien und anderen Staaten ist das Covid-19-Vakzin von Astra Zeneca bereits für alle Altersgruppen zugelassen. Bei der Arzneimittelagentur EMA wird die Zulassung für die EU gerade geprüft.

foto: AFP

Brüssel/Amsterdam/Wien – Jede Woche zählt, betonte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach einer Videokonferenz mit den sogenannten "First Mover"-Ländern am Montag. Darum könne es mit der Zulassung des Impfstoffs der Firma Astra Zeneca nicht schnell genug gehen.

Gemeinsam mit Dänemark und Griechenland will Kurz deshalb in der EU darauf drängen, dass die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) den Impfstoff rasch und unbürokratisch zulässt. Im Interview mit Puls 4 wurde Kurz noch deutlicher: Sollte eine schnelle Zulassung nicht gelingen, "würde ihm irgendwann der Geduldsfaden reißen", zitiert der Sender den Kanzler in einer Aussendung. Kurz räumte demnach auch ein, dass andere Staaten mit ihren Bestellungen rückblickend gesehen schneller waren als Österreich, das sich der gemeinsamen EU-Impfstoffstrategie angeschlossen hatte.

Doch im Hintergrund macht sich Sorge breit, wenn es um die Zulassung und Verfügbarkeit der Covid-Impfstoffe geht. Wie DER STANDARD erfuhr, ist derzeit fraglich, ob der ersehnte Impfstoff von Astra Zeneca tatsächlich die volle Zulassung bekommen kann. Seine Wirksamkeit bei älteren Personen soll auch knapp vor der Entscheidung der EMA nicht vollends geklärt sein.

Lieferengpässe bei Pfizer

Dazu – das könnte ein Grund für die Eile des Kanzlers sein – kommen Lieferprobleme bei dem bereits zugelassenen Impfstoff von Pfizer. Nachdem schon vergangene Woche bekannt wurde, dass es zu zeitlichen Turbulenzen kommt, weil man das belgische Produktionswerk "neu kalibrieren" müsse, wie es von Pfizer hieß, bestätigte Kurz am Montag, dass es auch in Österreich zu Verzögerungen kommen werde.

Kurzfristig werde ungefähr 20 Prozent weniger Impfstoff für Österreich zur Verfügung stehen, die Lieferung solle jedoch im Februar nachgeholt werden, sagte Kurz. Das sei "nicht wünschenswert", aber "wir müssen unsere Strategie adaptieren". Da sind die Neos entschieden dagegen: Nur weil ein Werk eine Woche lang nicht pünktlich liefere, gebe es "keinerlei Grund, am Impfplan herumzudoktern", sagt Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker.

Länder überrascht von Kurz' Aussagen

Doch was bedeutet Pfizers Lieferengpass für den heimischen Impfplan? In vielen Bundesländern zeigte man sich von der Kunde des Kanzlers überrascht. Auf Anhieb können die wenigsten erklären, wie sich dieser Engpass auf sie auswirkt. Das verwundert dann doch. Denn dass vorübergehend weniger Impfdosen ins Land kommen, darüber hat der Corona-Sonderbeauftragte des Gesundheitsministeriums, Clemens Martin Auer, die Bundesländer vergangenen Freitag noch per E-Mail informiert. Auer ging sogar davon aus, dass die Liefermenge von Pfizer diese Woche um 40 Prozent einbrechen wird.

Über das Wochenende erfuhr das Büro von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) dann, dass es doch "nur" ein Minus von 20 Prozent sein soll, das in den Kalenderwochen sieben und acht wieder aufgeschlagen werden soll. In Wien entfallen diese Woche 3.500 Pfizer-Impfdosen. Man löst man das Problem, indem es in dieser und in der nächsten Woche weniger Erstimpfungen geben wird. Wichtiger sei es, in dieser Ausnahmesituation die Zweitstiche zu garantieren, die drei Wochen später erfolgen müssen, erklärt ein Sprecher Hackers.

Steiermark rechnet mit einer Woche Verzögerung

So wird auch das SPÖ-geführte Burgenland verfahren. Auch aus Kärnten – dort hat man in der betreffenden Woche 1.100 Impfdosen weniger – heißt es, man werde diese in der siebenten Woche kompensieren. Aus Sicht eines Sprechers des Landespressediensts wird man dort keine Verschlechterungen merken, auch was Zweitimpfungen angeht.

In Tirol gilt unabhängig davon, dass kurzfristig weniger Impfdosen zur Verfügung stehen, die Devise, dass alle zur Verfügung stehenden Dosen schnellstmöglich verwendet werden. Jedoch werde dabei die zweite Dosis immer mitbedacht, so die Auskunft des Landes. In Vorarlberg liefen am Montag noch die Abstimmungen mit der Bundesebene hinsichtlich des bevorstehenden Engpasses an Impfstoff. Aus Sicht des Landes sei wichtig, dass die zweiten Impfungen nach den bisher stattgefundenen Erstimpfungen gesichert seien, so ein Sprecher.

In der Steiermark wiederum rechnet die Landesregierung wegen der Lieferschwierigkeiten bei Pfizer/Biontech mit einem um eine Woche verzögerten Start der nächsten Impfwelle. Bis dahin werde man mit dem "angesammelten" Impfstoff das Auslangen finden, sagt Impfkoordinator Michael Koren.

7.200 Dosen von Moderna in Verteilung

In Wien hätte man überdies gerne vom Gesundheitsministerium gewusst, warum 7.200 Dosen des Moderna-Impfstoffs im Impf-E-Shop für die Bundesländer noch nicht freigeschaltet und daher nicht abrufbar sind. Immerhin gehe es hier heruntergebrochen um etwa 720 Impfdosen für Wien, die man in dieser Situation gut brauchen könnte.

Darauf angesprochen heißt es aus dem Gesundheitsministerium 4.800 Dosen seien am Montag nach Tirol gegangen, 2.400 würden am Dienstag nach Oberösterreich gehen. Man könne die Impfstoffe immer nur in 1.200er-Verpackungen verschicken, da sie sonst kaputt gehen würden. Jedes Bundesland habe jedenfalls faire Ansprüche auf Impfdosen, und Wien habe sein Kontingent momentan "sehr gut ausgereizt".

Sorge um Astra-Zeneca-Zulassung

Was den Impfstoff von Astra Zeneca betrifft – also jenen Impfstoff, den der Kanzler so schnell wie möglich zulassen will – so zerbrechen sich in Brüssel wie in Wien Vertreter von Wissenschaft und Politik den Kopf über dessen Wirksamkeit bei älteren Personen. Der Zulassungsantrag der britisch-schwedischen Firma für den an der Universität Oxford entwickelten Impfstoff gegen Covid-19 ging am Dienstag vergangener Woche bei der EMA ein. An das Vakzin knüpfen sich starke Hoffnungen, die Pandemie, die nun seit bald einem Jahr wütet, unter Kontrolle zu bringen.

Der Impfstoff mit der Bezeichnung AZD1222 soll in der breiten Bevölkerung angewandt werden und eignet sich gut dafür: Die bisher in der EU bewilligten Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna brauchen Tiefkühlung bei bis zu minus 70 Grad – AZD1222 hingegen kann lange bei Kühlschranktemperaturen aufgehoben werden. Zudem ist das Astra-Zeneca-Vakzin weit preiswerter als die beiden anderen Stoffe.

Doch das ist derzeit in Schwebe. In Brüssel geht die Sorge um, dass es bei der für 29. Jänner geplanten EU-Zulassung des dritten Covid-19-Impfstoffs Probleme geben könnte. Am Donnerstag findet der nächste EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs statt, der sich per Videokonferenz ausschließlich mit der Lage der Corona-Pandemie beschäftigen wird. Fraglich ist, ob der Impfstoff eine volle Zulassung bekommen kann.

Grund dafür ist ein Evidenzproblem. Manchen EMA-Experten, die unabhängig von der Politik entscheiden müssen, reicht das Datenmaterial aus den Versuchsreihen im Herbst vorläufig nicht aus. Bei den über 65-Jährigen sei die Wirksamkeit nicht überzeugend geklärt, anders als bei den Produkten von Biontech und Moderna, die über 90 Prozent Wirksamkeit nachweisen konnten.

Im Vergleich gute Werte

Insgesamt weist der Astra-Zeneca-Impfstoff eine Wirksamkeit von 70 Prozent auf, was, etwa verglichen mit Grippevakzinen, ein sehr guter Wert ist. Aber die 90-Prozent-Effektivität von Biontech hat neue Maßstäbe gesetzt.

Dem STANDARD wurde von einem hochrangigen Experten, der in die Umsetzung der europäischen Impfstrategie eingebunden ist, bestätigt, dass es diesbezüglich "großes Kopfzerbrechen überall" gebe. Astra Zeneca habe Mängel bei der "belegbaren Wirksamkeit" bei Menschen über 65. Das müsse nicht mit einem höheren Risiko beim Verimpfen verbunden sein, doch der Schutz vor einer Corona-Infektion sei womöglich geringer.

Expertin Nicolodi: Zu wenig Evidenz

Nicht verwundert über diese Probleme ist die unabhängige österreichische Impfstoffexpertin Christina Nicolodi. Auswertungen zu Astra Zeneca, die bestimmte Subgruppen – etwa vom Alter her – betrachten, stünden noch aus. Im STANDARD-Gespräch präzisiert Nicolodi, dass die Altersgrenze von 55 Jahren bei Impfungen generell relevant sei. Ab diesem Alter verändere sich das Immunsystem und reagiere auf Immunisierungen anders als bei jüngeren Menschen.

Aus den Phase-III-Tests des Impfstoffs gebe es ihres Wissens aber nur Daten über "1.000 bis 1.500" Personen dieser Altersgruppe von insgesamt rund 11.000 Probanden. Das sei zu wenig, um die Wirkung auf Ältere wirklich einschätzen zu können.

"Panne" bei Testungen

Auch sei unklar, welche Rolle ältere Menschen bei jener "Panne" gespielt haben, die zu einer Neutestung der verimpften Vakzindosen führte: Nachdem der Astra-Zeneca-Impfstoff nach zwei gleich großen Teilimpfungen einen Immunisierungsgrad von rund 70 Prozent an den Tag gelegt hatte, stellte sich nach einem Dosierfehler heraus, dass eine Erstimpfung von einer halben und eine Zweitimpfung von einer ganzen Dosis einen Schutz von 90 Prozent erbringe.

Wie die Entscheidung der EMA ausfällt, ist im Moment offen. Für die Regierungschefs und die Kommissionspräsidentin würde sich bei nur teilweiser Zulassung ein politisches Problem ergeben. Zum einen spielt der Impfstoff von Astra Zeneca eine große Rolle in der EU-Impfstrategie. Schon am 27. August 2020 hat die Kommission 400 Millionen Dosen für alle 27 Mitgliedsländer gekauft – der erste Kaufvertrag für Covid-19-Vakzine der EU von bisher insgesamt sieben.

In Großbritannien für alle zugelassen

Um auf Nummer sicher zu gehen, wird überlegt, den Astra-Zeneca-Impfstoff bei einer Zulassung durch die EMA nur in der Alterskategorie bis 55 Jahre zu bewilligen. Bei einer Teilzulassung wäre es aber schwierig, der breiten Bevölkerung zu erklären, dass es Impfstoffe unterschiedlicher Qualität gebe, hieß es gegenüber dem STANDARD aus Regierungskreisen in Wien.

Zudem könnte das Fragen aufwerfen, denn in Großbritannien zum Beispiel wird AZD1222 im Rahmen einer Notzulassung in allen Altersgruppen angewendet.

Umdenken bei den Impfplänen

Sollte es zu der beschränkten EMA-Zulassung kommen, müsste es in der EU wahrscheinlich zu Umschichtungen bei den Impfplänen kommen. Über 55-Jährige müssten dann mit den verfügbaren Dosen von Biontech und Moderna geimpft werden. Sollte es keine Zulassung des Astra-Zeneca-Impfstoffes für über 55-Jährige oder für über 65-Jährige geben (eine Entscheidung steht noch aus), könnte das bedeuten, dass der bestellte Impfstoff zuerst bei Jüngeren zum Einsatz kommt, hieß es aus Ratskreisen.

An der österreichischen Impfstrategie würde das nichts ändern, sagte dazu Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Freitag. Die älteren Gruppen würden ohnehin in der Anfangsphase bereits geimpft. Bei der Pressekonferenz stellte Anschober ebenfalls klar: Die Entscheidung, welcher Impfstoff zugelassen werde, sei keine politische.

Am Montag konkretisierte das ein Sprecher aus dem Gesundheitsministerium: Man habe dank der Dosen von Pfizer und Moderna einen "Puffer", doch "wenn Astra Zeneca zugelassen wird, geht es natürlich schneller". Man verweist aber auch darauf, dass durch die laufenden Impfungen in Großbritannien live Erfahrungen gesammelt würden, was die Datenlage noch verbessen könne.

Verschieben der Zulassung möglich

Denkbar ist aber auch, dass die EMA die Zulassungsentscheidung Ende Jänner noch einmal verschiebt, bis Astra Zeneca mehr Daten zur Verfügung stellt. Die Firma wurde aufgefordert, zusätzliches Datenmaterial zu liefern – und habe das auch zugesagt, auch in den USA läuft eine breite Studie.

Auf STANDARD-Anfrage hieß es von Astra Zeneca, in der im Fachjournal "Lancet" veröffentlichten Phase-III-Zulassungsstudie des Unternehmens seien Personen aller Altersstufen über 18 Jahren eingeschlossen gewesen. "Alle zurzeit verfügbaren Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit für die ganze Population wurden bei der EMA eingereicht", sagte Astra Zenecas Medical Director in Österreich, Botond Ponner.

Laut Astra Zeneca "robuste Immunantworten"

Zudem hätten ebenfalls in "Lancet" veröffentlichte Ergebnisse der Phase-II/III-Studie mit AZD1222 gezeigt, dass das Vakzin "in allen Altersgruppen ähnlich robuste Immunantworten gegen Sars-CoV-2 hervorrief, wobei bei älteren Erwachsenen (56 bis 70 Jahre) sogar seltener und geringere lokale und systemische Reaktionen auftraten". (Irene Brickner, Thomas Mayer, Jan Michael Marchart, Walter Müller, Gabriele Scherndl, 18.1.2021)