Christoph Nix: "In den Bergen hat man sowieso Respekt gelernt".

Foto: Paul Römer

Gina Schwarz: "Es ist eine gruselige Zeit, ich versuche, bewusster zu leben".

Foto: imago

Der Lockdown, der abseits der Museen für alle Kunstsparten gilt (Ausnahme: Vorarlberg), wirft die Planungen durcheinander. Jeden trifft es anders, jede und jeder Kulturschaffende geht damit anders um. Was tun, wenn weiterhin alles stillsteht, Konzerte abgesagt werden, Festivals um ihre Austragung bangen und sich die Bühnenbilder in den Theaterhäusern stapeln? Ein Normalbetrieb scheint in weiter Ferne.


Christoph Nix, Theaterintendant

Christoph Nix: "In den Bergen hat man sowieso Respekt gelernt".
Foto: Paul Römer

Bereits im ersten Lockdown habe ich – noch als Intendant in Konstanz – ein tolles Sicherheitskonzept entwickelt: Wir haben draußen gespielt, von 690 Plätzen nur 270 belegt, das Stück Hermann der Lahme auf 60 Minuten gekürzt, die Pause gestrichen, dafür Wasserflaschen unterm Sitz hinterlegt, die Sänger trugen Plexiglas. Alles ging gut. Natürlich gab es auch Verschwörungstheoretiker; in der Tontechnik wurde behauptet, ich würde die Leute vergiften. Sie haben mir nie verziehen, dass das Freilichtprojekt erfolgreich war.

In Tirol ist es anders: rausgehen, Flashmob. Hier planen wir in dieser Saison neun Stücke, in Schulen, im Kloster, im Rathaussaal. Tirol erlebte die Pest – da lässt man sich die Laune nicht verderben. Aber in den Bergen hat man sowieso Respekt gelernt, egal was Wien da macht. Nur helfen sollten die Politiker, wenn wir die Theaterleute auszahlen, das müssen wir, mit wenigstens 80 Prozent. Sonst sind wir krumme Hunde, wir Intendant*innen, und quatschen nur: immer scheitern, besser scheitern. (afze)

Christoph Nix (66) ist Intendant der Tiroler Volksschauspiele in Telfs.


Gina Schwarz, Jazzmusikerin

Gina Schwarz: "Es ist eine gruselige Zeit, ich versuche, bewusster zu leben".
Foto: imago

Üben steht auf der Tagesordnung – mit oder ohne Lockdown. Es ist aber eine gruselige Zeit; ich versuche, bewusster zu leben, gehe joggen, ernähre mich gesünder. Beim Unterrichten ist zu bemerken, dass sich die Studierenden nach Präsenzunterricht sehnen. Sobald auf Distance-Learning umgestellt wird, flaut die Motivation ab. Der musikalische Austausch ist persönlich viel einfacher, auch die Gespräche über Sinn- und Lebensfragen, über Sorgen bezüglich der Berufsaussichten.

Was das Komponieren betrifft: Im November-Lockdown fuhr ich etwa aufs Land und schrieb an sechs Tagen jeweils ein Stück. So entstanden sechs themenbezogene Kompositionen zur Krise. Konzerte sind viele ausgefallen, wobei ich zunächst Glück hatte und mich dadurch beinahe privilegiert gefühlt habe. Im Frühjahr 2020 absolvierte ja meine Band Pannonica eine Tour – zum Schluss, am 9. März, spielten wir im Porgy & Bess, also kurz vor dem ersten Lockdown. Die Stimmung im Publikum war entsprechend ungewöhnlich ... (toš)

Gina Schwarz (52) ist Bassistin und Komponistin. Sie unterrichtet an der Wiener Musikuniversität.


Franz Koglmann, Trompeter

Franz Koglmann: "Hermann Broch versüßt mir die Tage."
Foto: Heribert Corn

Ein paar flüchtige Flügelhorntöne über Wien geblasen, und schon hebt sich meine Stimmung. Mein noch immer relativ neues Hub-van-Laar-Flügelhorn wirkt inspirierend wie am ersten Tag. Da freuen mich selbst die langweiligen Lippenübungen noch so halbwegs. Natürlich arbeite ich auch an neuen Stücken, nicht für einen großformatigen Auftrag, so etwas will zurzeit niemand vergeben.

Ich schreibe für kleine Besetzungen im Chamber-Jazz-Bereich, was mitunter sowieso schwieriger ist. Bei einer größeren Besetzung lässt sich’s mit den Klangfarben zaubern, im Trio muss die Essenz funktionieren. Konzerte sind zurzeit kaum möglich, aber da ich ja nie der typische Session-Musiker war, herrscht nicht so ein Unterschied zu "normalen" Zeiten.

Ein Konzert ist ein Fest, und Feste feiert man nicht wöchentlich. Üben gehört zur Profession, Kochen und Lesen – Brochs durchaus angemessene Schlafwandler – versüßen den Tag. Dazu kommen Hochschulveranstaltungen. (poh)

Franz Koglmann (73) ist Jazzmusiker und Komponist.


Sandra Gugić, Schriftstellerin

Sandra Gugić: "Ich habe ein kleines Kind, ich musste stark jonglieren."
Foto: Dirk Skiba

Ich habe ein kleines Kind, und die Kinderbetreuung war in Berlin, wo ich lebe, sehr eingeschränkt. Ich musste mir die Woche immer mit meinem Partner einteilen und stark jonglieren. Wie kann man eine gewisse Fürsorge auf sein Umfeld und sich richten und den Fokus in seinem Schaffen trotzdem nicht verlieren? Das wurde eine große Frage.

Die Kindergärten haben inzwischen wieder offen, aber es ist viel Arbeit liegengeblieben – nicht nur Schreibarbeit und Recherche, sondern auch Kommunikation und was dazugehört, um sich als Selbstständige zu organisieren. Die große Lesezeit hatte ich in den vergangenen Monaten also nicht, wobei ich mir tatsächlich mehr Bücher als üblich zugelegt habe – auch um Kolleginnen zu unterstützen.

Was ich stark vermisse, ist Input von außen. Als Künstlerin ist man oft Einzelkämpferin, aber es macht einen Unterschied, ob die Isolation selbstgewählt ist oder nicht. Ich kenne Kolleginnen, die die Möglichkeit vermissen, für ihre Arbeit Menschen zu beobachten und für Figuren zu studieren. (wurm)

Sandra Gugić (45) ist Schriftstellerin.


Sasha Pirker, Filmemacherin

Sasha Pirker: "Begriffe wie 'miteinander' haben eine neue Bedeutung."
Foto: Judith Augustinovic

Das letzte Jahr war gespalten. Im Lockdown war ich wie erstarrt – unfähig, mich zu konzentrieren, bin apathisch auf dem Sofa gelegen. Für manche hat sich das wie bei einer Residence angefühlt, ich habe höchstens Möbel herumgeschoben und kein einziges Brot gebacken. Zufällig konnte ich dann ein Atelier im Hinterhaus anmieten. Das hat mir sehr geholfen.

So gern ich allein arbeite: Die Begriffe "miteinander" und "gemeinsam" haben für mich eine neue Bedeutung. So ist es mir doch noch gelungen, zwei Kurzfilme zu machen. Und Thomas Vinterberg hat mir erlaubt, Szenen aus Das Fest für einen Found-Footage-Film zu verwenden. Supernett. Ich freue mich schon, wenn die Filme real im Kino zu sehen sind! Denn man kann die Kunst nicht einfach ins Netz stellen. Ich habe aber über neue Formen nachzudenken begonnen. In meinem Kunstraum Size Matters zeige ich Filme, die man von außen durch die Fenster sehen kann. Meine Energien sind zurück – auch dank Eiseninfusionen! (kam)

Sasha Pirker (52) ist Filmemacherin und bildende Künstlerin.


Crack Ignaz, Rapper

Crack Ignaz: "Den Durchschnittstypen noch mehr misstrauen."
Foto: Heribert Corn

Ich hatte drei Phasen. In Phase eins war ich am Naturaufsaugen in Salzburg. Wenn man nur spazieren gehen kann, ist das dort um einiges geiler als in Wien. In Phase zwei bin ich zum Musikmachen übergegangen. Dieser Vibe eines globalen Events ist extrem in meine Musik eingeflossen. Jetzt, in Phase drei, mache ich musikalisch eher aggressive Sachen, weil man die ganze Zeit von einem negativen Ereignis umgeben ist.

Für mich ist die Pandemie ein verheerender Rückschlag. Ich hatte genau zu Beginn von Corona einen neuen Release und eine Tour geplant. Schlechtestes Timing! Dank Künstlerförderung geht sich das finanziell aus. Was ich mitgenommen habe aus der Pandemie? Dass ich dem Durchschnittsmenschen noch mehr misstrauen muss. Allein schon für wie viele Leute es ein Hindernis ist, diese Maske richtig zu tragen! Das hat sehr sichtbar gemacht, dass ein nicht zu kleiner Prozentsatz der Bevölkerung die einfachsten Sachen nicht versteht. Positiv war das Sich-Zurückziehen. Darauf sollte man auch sonst nicht vergessen. (abs)

Crack Ignaz ist Rapper aus Salzburg.


Toni Schmale, bildende Künstlerin

"Ich sehne mich nach wüsten Partys und Ungehemmtheit!"
Foto: Carolina Frank

Gerade arbeite ich an zwei großen Kunstprojekten im öffentlichen Raum. Das ist wirklich ein Glücksfall, ich kann trotz allem weiter arbeiten und bin unabhängig von den aktuellen Entwicklungen. Aber klar, auch bei mir wurden viele Ausstellungen verschoben. Aber eigentlich ist die Situation bei mir anders als sonst: Normalerweise bin ich den ganzen Tag alleine im Atelier. Jetzt bringen mich die Beschränkungen eher dazu, draußen arbeiten zu wollen – und auch mit anderen Menschen zusammen. Ich will gar nicht im Atelier bleiben!

Auch sonst war ich viel draußen unterwegs, seit letztem Jahr bin ich fast alle Stadtwanderwege in Wien abgegangen. Es ist ja auch die einzige Möglichkeit, Freunde und Freundinnen zu treffen. Am meisten fehlt mir die Spontaneität, nach einem Gefühl zu entscheiden und einfach zu verreisen. Kurz mal nach Berlin oder so. Obwohl ich sonst nie viel weggefahren bin, wird dieser Wunsch gerade immer größer. Ich sehne mich nach wüsten Partys, Schweiß und Ungehemmtheit! (kr)

Toni Schmale(41) ist Künstlerin in Wien.


Bernhard Studlar, Dramatiker

"Die langfristige Perspektive macht mir Sorgen."
Foto: Doris Geml

Vor genau einem Jahr hatte ich meine letzte Uraufführung. Allerdings war nach der zweiten Vorstellung schon wieder Schluss. Da ich als Autor von Tantiemen abhängig bin, war das letzte Jahr ein großer finanzieller Schaden. In Leipzig hat nun ein Stück Derniere – online auf der Plattform Dringeblieben. Immerhin. Umso wichtiger, dass der deutsche Literaturfonds gerade ein Förderprogramm für Dramatiker*innen aufgelegt hat. Solche Initiativen sind überlebenswichtig.

Meine Arbeitssituation an sich hat sich kaum verändert, die Texte entstehen ja weitgehend am Schreibtisch. Aber das kreative Umfeld ist verschwunden. Ich vermisse Impulse durch Theaterbesuche, den Austausch mit anderen.

Die langfristige Perspektive macht mir Sorgen. Sollte irgendwann gespart werden, trifft es am härtesten die Freien. Ich hatte jetzt Glück, weil mein Stück Lohn der Nacht den Theaterallianz-Preis gewonnen hat, womit eine Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen verbunden ist. Noch bin ich zuversichtlich, sie ist im August. (afze)

Bernhard Studlar (48) ist Dramatiker und Leiter der Wiener Wortstaetten.


Anna Friedberg, Musikerin

Anna Friedberg: "Ich habe circa 150 neue Songs geschrieben."
Foto: Parovsky

Anfang Dezember habe ich meine Londoner Wohnung mit Handgepäckskoffern verlassen. Zweieinhalb Monate später sitze ich immer noch in der Wohnung eines Freundes in Berlin fest und warte, bis ich in meine Wahlheimat zurückkehren kann. Inzwischen habe ich circa 150 neue Songs geschrieben.

Grundsätzlich muss ich sagen, dass sich mein Gemütszustand ziemlich nach unten bewegt hat, seit dem vorletzten Lockdown – jenem, als Skifahren erlaubt, Friseure offen und Shops zu waren und man niemanden treffen durfte – sich aber an der Grenze kurz vor der Depression hält. Manchmal weiß ich nicht mehr, welcher Lockdown gerade ist.

Jedenfalls hab’ ich mich vor wenigen Tagen dabei ertappt, dass ich Boris Johnson beim Wort nahm, als er stolz verkündete, dass es ab Mai wieder Konzerte mit bis zu 1000 Zuschauern in England geben werde. Und ab Juni wäre alles wieder beim Alten. Na, dann mach ich mich schon mal auf den Weg. (red)

Anna Friedberg (35) ist Chefin der Band Friedberg. Am 19. März erscheint ihre neue EP "Yeah Yeah Yeah ...".


Klaus Mosettig, Bildender Künstler

Klaus Mosettig: "Auch die nationalen Überheblichkeiten regen mich auf."
Foto: Efraim Moskovics

Ich lebe in Wien und Berlin, was gerade extrem anstrengend ist. Letztendlich bin ich mir nie ganz sicher, ob ich wieder zurückkommen kann, an der Grenze fühlt man sich ja fast wie ein Schwer verbrecher. Da gibt es viel Zorn gegen diesen neuen Nationalismus und die politischen Absurditäten in Österreich. Auch die nationalen Überheblichkeiten regen mich auf.

Beruflich bin ich wenig betroffen. Es ist immer schon mein größtes Glück, allein im Atelier zu arbeiten. Natürlich verschieben sich viele Ausstellungen, aber das ist nicht so schlimm. Dann habe ich mehr Zeit zu zeichnen, meine Arbeiten sind ja sehr zeitintensiv.

In meinem neuen Atelier in Berlin arbeite ich gerade an einer neuen Serie von Zeichnungen. Da geht gerade viel weiter, das tut mir gut. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass viele Menschen die Reize meiner Arbeit gerade jetzt aufgrund ihrer verlangsamten Wahrnehmung erkennen. Also so mühsam ich es privat finde, beruflich könnte man mich fast schon als Krisengewinnler bezeichnen. (kr)

Klaus Mosettig (45) ist Künstler


Mieze Medusa Autorin, Slammerin

Mieze Medusa: "Das Publikum wird wiederkommen, da bin ich sicher."
Foto: Claudia Rohrauer

Am meisten geht mir der Blick ins Publikum ab, wenn man an den Gesichtern sieht, ob ein Text die Menschen mitnimmt. Auch die Gespräche fehlen mir. Gerade hatte ich eine gestreamte Buchpräsentation in der Alten Schmiede, und ich bin so dankbar, dass online veranstaltet wird, aber es war schon ein bisschen traurig ohne Publikum im Raum.

Ob die Krise etwas Positives hat? Nein, nichts! Mittelfristig wird der inoffizielle Kulturbetrieb sich wieder erholen. Das Publikum für Poetry Slams wird wiederkommen, da bin ich mir sicher. Aber wenn der Motor zum Texteschreiben einmal ins Stottern geraten ist, ist das für viele Autoren sicher ein Schaden.

Ohne Bühne ist für mich die Notwendigkeit, einen Fünfminüter zur Lage der Nation zu schreiben, auch nicht so groß. Ich werde allerdings ein bisschen dafür belohnt, dass ich immer viele verschiedene Sachen gemacht habe, was teils anstrengend war. Ich habe die Zeit jetzt insofern genützt, als ich einen Roman angefangen und mehr gelesen und dabei gelernt habe als sonst. (wurm)

Mieze Medusa (46), Autorin und Slammerin


Herbert Molin, Veranstalter

Herbert Molin: "Wird schon wieder. Irgendwann."
Foto: Molin

Ich hab als Kleinveranstalter viel zu tun! Zum Beispiel verschieben wir Konzerte, die vom Frühjahr 2020 auf Frühjahr 2021 verschoben wurden, derzeit auf Frühjahr 2022. Hin und wieder machen wir Streamings, was für mich fast wie ein Livekonzert ist, weil ich darf ja maskiert vor Ort sein.

Um Geld zu verdienen, verkaufe ich Teile meiner Plattensammlung, wodurch ich zwar nicht in fremde Länder komme, aber mit Leuten dort kommuniziere. Das lässt Urlaubsstimmung aufkommen. Ich gehe jetzt auch in Museen. Leider kann ich meinen alten Körper nicht zwischendurch auf ein Bankerl platzieren, aber da muss man als kulturbeflissener Mensch durch. Stadtspaziergänge sind auch angesagt. Ich kenne jetzt den 10. und den 21. Hieb schon recht gut, dort ist man ja sonst weniger.

Hin und wieder treff ich Freunde und Freundinnen. Mit denen latsche ich durch die Kälte. Wenn ich schlafe, träume ich vom Wirten, den Kumpels und Konzerten. Wird schon wieder. (schach)

Herbert Molin (64) ist Musiker (Viele Bunte Autos), Szenewirt (Blue Box, B72, Rhiz) und Veranstalter (Liccht).


Ulrich Seidl, Filmemacher

Ulrich Seidl: "Ich habe meine Kochkunst erweitert."
Foto: Imago

Für mich hat der Lockdown Freiheiten geschaffen. Vor allem die Freiheit der Zeit: für Dinge, die man immer schon tun wollte. Covid-19 hat uns ja auch gezeigt, dass vieles bedenkenswert ist – als Gesellschaft, als Menschheit. Meine Hauptbeschäftigung ist der Schnitt an Böse Spiele, an dem wir schon zwei Jahre arbeiten.

Ich habe mich für den Film noch einmal selbst übertroffen und zweihundert Stunden Material gedreht. Es ist ein langes Arbeitsspiel, die zweieinhalb Geschichten in eine Emotionalität zu bringen. Ziel ist das Festival Cannes, man wird sehen … Zugleich arbeite ich schon an einem neuen Projekt, in dem es unter anderem um "schwarzen Tourismus" geht, Slums oder eine KGB-Zentrale, in der man sich anketten lassen kann.

Sonst lese ich, höre Musik und habe meine Kochkunst erweitert. Ich mache das fast täglich, orientiere mich an Zutaten der Jahreszeit. Ein Grammelschmalz, ein gutes Brot und Wein, das kann genügen! Irgendwann wird es vorbeigehen. Dass ich die Zeit nützen kann, empfinde ich als Geschenk. (kam)

Ulrich Seidl (68) ist Regisseur.


Sigrid Horn, Musikerin

Sigrid Horn: "Jetzt geht es mir echt gut, diesmal war ich vorbereitet."
Foto: Heribert Corn

Der erste Lockdown war furchtbar, ich bin in einem Loch versunken. Mein zweites Soloalbum i bleib do erschien just zur Ausgangssperre. Mitten im Abheben wurden mir die Flügel gestutzt, jeder Tag fühlte sich wie eine Bruchlandung an. Der Sommer war dann wunderschön, meine Band und ich konnten auftreten. Uns kommt in diesen Seuchenzeiten unser Genre zugute: Wir spielen meist vor Sitzpublikum, das funktioniert Corona-konform.

Jetzt geht es mir echt gut. Diesmal war ich vorbereitet, ich wusste, dass da wieder eine längere Durststrecke auf uns zukommt. Schon im Spätsommer habe ich mir Lockdown-Vorhaben zurechtgelegt. Ich habe ein Musiktheater geschrieben, worauf ich stolz bin, viel neues Material ist entstanden.

Mit Der traurige Gärtner werde ich im März ein sehr persönliches Lied veröffentlichen. Ich konnte damit erlebte Traumata abschütteln, dieses Lied ist eine Befreiung. Endlich darf es raus. Aber das Publikum fehlt schon wieder. Am 10. März spielen wir im Konzerthaus, so St. Corona will. (red)

Sigrid Horn (30) ist Musikerin.


Violetta Parisini, Musikerin

Violetta Parisini: "Jahrelange Aufbauarbeit ist ins Nichts geflossen."
Foto: Anita Schmid

Ich fühle mich wie in einem Eintopf von Gefühlen: Es geht mir gut, ich habe ein Dach überm Kopf, ich lebe in Österreich. Auf der anderen Seite steht die totale Überforderung. Ende Februar habe ich seit langem wieder etwas veröffentlicht, das mit vielen Hoffnungen verbunden war. Jahrelange Aufbauarbeit ist ins Nichts geflossen. Seit dem Sommer ist die Situation zumindest finanziell wegen der staatlichen Unterstützungen etwas entschärft, außerdem konnte ich immer wieder mal auftreten.

In meinem kleinen Handlungsbereich versuche ich zu tun, was ich tun kann, um zu sein, wer ich sein will. Eine gute Sache, die im Lockdown entstanden ist, ist unsere wöchentliche Familienkonferenz, in der jede und jeder Ängste, Freude, Trauer, Wünsche und Ideen äußern kann. Außerdem schreibe ich: Lieder, die von der Energie her richtig grantig sind, und einen Blog. Was diese Krise total gezeigt hat, ist, dass unregelmäßig verdienende KünstlerInnen keine Absicherung haben. Hier sollte eine Art von Mindestsicherung installiert werden. (abs)

Violetta Parisini (40) ist Musikerin aus Wien.


Edin Zenun, Maler

"Man merkt diese soziale Müdigkeit gerade bei allen".
Foto: Edin Zenun

Mir geht es an sich gut, und ich verbringe viel Zeit allein in meinem Atelier. Man merkt diese soziale Müdigkeit gerade bei allen. Hoffentlich wird das nicht zu einer gesellschaftlichen Gewohnheit. Aktuell arbeite ich an mehreren Projekten, u. a. an der zweiten Ausgabe der "Haus Wien", einer Ausstellungsplattform, die ich mitgegründet habe. Hier ändert sich in der Kunstszene gerade einiges. Aktuell sollte man zusammenhalten – wir sind ja alle ein Haufen.

Ansonsten plane ich Ausstellungen für den Kunstraum, den ich mitbetreue, und arbeite an meinen eigenen Bildern. Was soll man denn sonst machen? Durch die ständigen Verschiebungen von Messen und Ausstellungen herrscht große Unsicherheit. Meine Art, damit umzugehen, ist, dass ich auch auf abgesagte oder verschobene Projekte hinarbeite. Die Malerei besteht dann trotzdem. Am meisten fehlt mir das Ausland, die Menschen, die hierherkommen, und auch die Ausstellungen. Ich freue mich sehr, dass die Museen und Galerien aufsperren: Endlich wieder Kunst dreidimensional sehen! (kr)

Edin Zenun (34) ist bildender Künstler in Wien.


Anna Mendelssohn, Schauspielerin:

"Der zweite Bildungsweg war immer mein Plan": Anna Mendelssohn zwischen Performance und Psychotherapie.
Foto: Robert Newald

Ich lerne allmählich mit der Unsicherheit umzugehen, man plant nur von Monat zu Monat. Seit dem ersten Lockdown habe ich mehr mit Film als mit Theater gearbeitet. Mit unserem Film Ordinary Creatures hatten wir Riesenglück und konnten nach der abgesagten Diagonale unsere Premiere auf der Viennale feiern. Gerade arbeiten wir an einer neuen Filmeinreichung. Mit toxic dreams haben wir Kurzfilme für eine Ausstellung im Theatermuseum gedreht, die jetzt wohl auch wieder verschoben wird. Sehr positiv erlebte ich im Sommer das Festival "Wien dreht auf" wo ich moderiert habe. Die Mischung von Paganini, Kindertheater und Kabarett zwischen Gemeindebauten hatte etwas Magisches. Außerdem habe ich dieses Jahr eine Praxis eröffnet. Es war nie mein Wunsch, bis 70 ausschließlich Performerin zu bleiben, dieser zweite Bildungsweg war immer mein Plan. Vorangetrieben durch die Pandemie, rückt die Arbeit als Psychotherapeutin jetzt etwas schneller ins Zentrum. (afze)

Anna Mendelssohn (44) ist Performerin in Wien.


Alfredo Barsuglia, bildender Künstler:

Performances und Ausstellungen des Künstlers werden laufend abgesagt oder verschoben. "Jetzt geht es mir nur noch auf die Socken", befindet Barsuglia.

Foto: Johannes Siglär

Vor einem Jahr bin ich der Situation ja noch neutral gegenübergestanden. Die Entschleunigung war echt toll, davor war eh alles zu viel. Aber jetzt geht es mir nur noch auf die Socken. Aktuell hätte ich eine Performance im Brut Wien gehabt, die findet jetzt nur online statt. Eine Schau in Kalifornien musste sogar auf Winter gelegt und eine Ausstellung in Graz verschoben werden. Die hätte man auch nicht online umsetzen können, da sie wie ein Erlebnisraum funktioniert – meine Kunst kann man nur erleben. Deswegen habe ich schon letztes Jahr begonnen, mir Projekte zu überlegen, die auch im Lockdown funktionieren. Für eine Gruppenausstellung im Kunsthaus Graz diesen Frühling werde ich meinen Beitrag am Vorplatz aufbauen. Vorbereitungen für die Ausstellungen laufen auch im Lockdown gleich ab, nur mit den fehlenden Eröffnungen fällt etwas Wesentliches weg. Kommunikation und Kunst gehören zusammen. Ich frage mich, ob künftige Kunststudenten überhaupt noch wissen werden, was Eröffnungen sind? (kr)

Alfredo Barsuglia (41) ist Künstler.


Brigitte Kowanz, Bildende Künstlerin:

Brigitte Kowanz bereitet zwei große Projekte im öffentlichen Raum vor und will, wenn alles vorbei ist, "schnell mal raus".
Foto: Mato Johannik

Mir geht es so weit gut. Ich bin im Studio, und der Alltag geht vergleichsweise normal weiter. Ich bin mir des Glücks dieser privilegierten Situation – so autonom arbeiten zu können – bewusst. Auch zu Firmen und Baumärkten, die man so braucht, kann man Zugang finden. Derzeit verwirkliche ich zwei große Projekte im öffentlichen Raum: eine Arbeit in Zürich und eine in Köln. Außerdem bereite ich eine Museumsausstellung vor, die sich möglicherweise verschieben wird, abgesagt wurde jedenfalls noch nichts. Ich arbeite weiterhin so, dass wir die ursprünglichen Deadlines einhalten könnten. Das ganze Team hat gut zu tun, Stillstand gibt es keinen. Lästig sind die vielen Zoom-Meetings. Man merkt einfach, wie viel da fehlt, wenn der Kontakt nur online stattfindet. Ich vermisse soziale Kontakte und Museen. Ich freue mich schon, wenn das kulturelle Leben wieder hochgefahren werden kann. Auch darauf, wieder größere Gruppen treffen zu können und aufs Reisen. Wenn das alles vorbei ist, muss ich hier schnell mal raus. (abs)

Brigitte Kowanz (63) ist Künstlerin.


Händl Klaus, Autor, Regisseur

Händl Klaus arbeitet Notizen der letzten 30 Jahre auf.
Foto: Robert Newald

Ich lebe momentan im vollgestopften Archiv, in einem ehemaligen Lampengeschäft im Seeland von Biel, zwischen Bergen von Notizen aus 30 Jahren, im Chaos. Es gibt ein Bett und eine Dusche und einen Kocher. Da hab ich mich eingeigelt, um endlich aufzuräumen. Ich rede mir ein, dass ich das ja eh immer wollte. Aber es kommt viel zu früh und unseligerweise von außen. Wenigstens leidet hier keiner unter mir. Und im Tun selbst geh’ ich eh auf, ich stoße auf lauter alte Spuren für ein Stück, an dem ich schon ewig schreibe, und den Film, der mir in der Seele brennt, und ich sage mir – ach, ich sag’ mir gar nix mehr. Ich bin ausgekühlt, mir fehlt das Miteinander schrecklich. Und die Musik, die Wärme des Orchesters. Obwohl ich mich von der Oper verabschiedet habe, wird sie mich immer trösten. Jahrelang hab ich Opernlibretti geschrieben wie gestört. Und als es dann genug war, ist dieser Entschluss quasi verpufft, weil man die Oper gleich ganz zugesperrt hat. Was gäb’ ich drum, in eine gehen zu dürfen! (hil)

Händl Klaus (51) ist Schriftsteller und lebt in der Schweiz.


Erwin Wurm, Künstler:

Erwin Wurm arbeitet in einem Studio auf dem Land und weiß sehr wohl, dass er privilegiert ist.
Imago

Es gibt keine Besuche, keine Dinners, keine Partys. Es ist herrlich, ich liebe es. Wohlwissend, dass es vielen Leuten schlecht geht und ich privilegiert bin, weil ich in meinem Studio auf dem Land gut arbeiten kann. Ich habe, glaube ich, noch nie in meinem Leben so viel Zeit gehabt, mich meiner Arbeit zu widmen. Jeden Montag testen wir uns und unsere Mitarbeiter, alle tragen Masken. Wir haben während des Lockdowns einige Ausstellungen mit Long-Distance-Instructions gemacht, zum Beispiel im Taipei Fine Arts Museum, die dann 140.000 Besucher hatte. Die Asiaten sind insgesamt pandemieerfahrener und können besser mit so einer Situation umgehen als wir, wo so etwas überhaupt nicht möglich wäre. Daher wurde viel verschoben, und der Kalender für 2021 ist voll. Schauen wir einmal, ob das realisierbar ist.

Natürlich freue ich mich wieder aufs Reisen, New York zu sehen, Venedig zu sehen. Inhaltlich beschäftigt mich die Covid-Krise aber weniger – die wird sich durch die Impfung lösen lassen. Aber wenn man den Zustand unserer Erde sieht, finde ich das äußerst bedenklich und furchtbar – da stehen mit der Klimakrise wesentlich größere Aufgaben bevor. Dass so etwas wie ein Lockdown möglich ist, hat man im Zusammenhang mit der Klimakrise nicht einmal angedacht! (abs)

Erwin Wurm (65) zählt zu Österreichs bekanntesten Gegenwartskünstlern.


Nora Mazu, Musikerin:

Rapperin Nora Mazu ist an die Algarve geflüchtet und hat Yoga entdeckt.
Foto: Foto: Claudia Lecnik / 8cl grafikstudio

Ich bin im Oktober nach Portugal an die Algarve geflüchtet, weil ich das Gefühl hatte, dass es in Österreich wieder unangenehmer wird. Seit kurzem gibt es hier auch einen Lockdown, aber dadurch, dass es sich um eine Gegend mit sehr viel Platz handelt, kann man das Social Distancing viel leichter durchführen als in einer Stadt. Ich kann an den Strand gehen, muss mir keine Sorgen machen, meine Freunde und Eltern gegebenenfalls anzustecken. Da ich digitale Nomadin und im Software-Bereich tätig bin, kann ich von überall aus arbeiten. Ich war nie davon abhängig, mit meiner Musik Geld zu verdienen. Gerade erweist sich das als hilfreich.

Leider kann ich Freunde, die normalerweise Videos für mich machen würden, weniger unterstützen. Die Selbstständigen leiden ja extrem. Kreativ arbeite ich gerade an einem Lied, in dem es darum geht, Ja zum Leben zu sagen. Ich habe 2020 das Kundalini-Yoga für mich entdeckt. Dabei habe ich gelernt, dass in jeder Krise eine Chance steckt. Wenn man so unter Druck steht, dass man seine Rechnungen nicht zahlen kann, klingt das zynisch. Aber persönlich bin ich optimistisch und sehe, dass Nachhaltigkeit und Digitalisierung am Arbeitsmarkt gerade einen Boost erhalten. Männer, die jetzt die Kinder daheim betreuen, begreifen, dass das ein Fulltime-Job ist. Da tut sich plötzlich wahnsinnig viel. (abs)

Nora Mazu (39) ist Rapperin aus Wien und Gründungsmitglied der MTS Crew.


Cedric Mpaka, Kostümbildner:

Cedric Mpaka pendelte in den vergangenen Monaten zwischen Wien und Dresden – mit entsprechend vielen Tests.
Foto: Michael Obex

Mein zweites Wohnzimmer war in den vergangenen Monaten das Labor. Allein in Deutschland habe ich mich um die 40 Mal testen lassen müssen, unzählige Male auch in Österreich. Seit September bereite ich an der Semperoper in Dresden die Kostüme für eine Produktion des L’Orfeo von Monteverdi vor, 70 Kostüme gibt es allein für den Chor, 18 für die Solisten. Ich bin in den vergangenen Monaten deshalb zwischen Wien und Dresden gependelt. Seit es in beiden Ländern die Bestimmung gibt, dass man sich fünf Tage in Quarantäne begeben muss und sich anschließend freitesten kann, war das ein zeitlicher Spießrutenlauf.

Zurück in Wien, hockte ich fünf Tage in meiner Wohnung, bevor ich ins Landestheater Niederösterreich zur Anprobe inklusive vorherigem Test fuhr. In Sankt Pölten arbeite ich derzeit an zwei Produktionen, einer Uraufführung von Teresa Dopler und Shakespeares Othello. Bei ersterer wurde der Premierentermin zweimal verschoben, in Dresden erarbeiteten wir zwischendurch eine Corona-Version mit weniger Protagonisten. Ich habe also trotz Lockdowns gut zu tun, wegen der vielen Adaptionen mehr als in normalen Spielzeiten. Leider spiegelt sich das nicht in meinem Verdienst wider. Ach ja, L’Orfeo wurde jetzt auch verschoben. (hil)

Cedric Mpaka (30) ist seit 2016 freischaffender Kostümbildner.


Maria Köstlinger, Schauspielerin:

Maria Köstlinger (als Chloe) mit Herbert Föttinger im Stück "The Parisian Woman", das der Premiere an den Kammerspielen der Josefstadt harrt.
Foto: Moritz Schell

Im ersten Lockdown waren die Farben irgendwie heller. Das Gefühl der geschenkten Zeit schien fürs Erste gar nicht schlecht. Im Herbst ging es bei mir von null auf 180, es konnte geprobt und gespielt werden. Das Publikum kam ganz ausgehungert. Ich war so dankbar – aber auch naiv, denn ich dachte, so könne es dank der Sicherheitskonzepte weitergehen. Die Premiere von The Parisian Woman wurde schon viermal verschoben. Jetzt ist es so, als wäre die Inszenierung in den Gefrierschrank geschoben worden. Wir können nur abwarten. Aber im Gefrierschrank liegt ja noch anderes!

Was ich sonst tue? Leider habe ich nicht das Talent zum Bücherschreiben, das fällt also flach. Fürs Garteln ist gerade nicht Saison. Mein Mann werkt im Atelier, auch nicht meins. Ich setze mich aber öfter ans Klavier und singe mit meiner Tochter, die in Hamburg Musical studiert, jetzt aber in Wien ist, weil dort alles stillsteht. Immerhin kann ich im März und April die letzten Folgen der Vorstadtweiber drehen. Dazwischen versuche ich, die Texte meiner drei aktuellen Stücke frisch zu halten. Generell muss man in dieser an Eindrücken armen Zeit das Gehirn trainieren. Das kann bizarre Formen annehmen, zum Beispiel alles einmal mit der linken Hand zu machen. (afze)

Maria Köstlinger (48) ist Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt.