Nachdem sich selbst die Finanzpolizei überrascht gezeigt hat, wie viele Verstöße sie bei einer Razzia und Ermittlungen gegen Amazon-Dienstleister gefunden hat, sieht sich der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband (SWV) bestätigt. Seit langem weise man auf "verwerfliche Praktiken" Amazons hin. Der Konzern dürfe sich der Auftraggeber-Haftung nicht entziehen. Angezeigt wurde er – im Gegensatz zu zahlreichen Firmen die er beauftragt – nicht.

"Amazon sowie andere große Paketdienstleister schieben die Verantwortung auf ihre Subunternehmen ab und üben gleichzeitig enormen Druck auf diese aus", erklärt Katarina Pokorny, Vizepräsidentin des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes (SWV) und Obfrau der Sparte Transport und Verkehr in der Wirtschaftskammer Wien, am Montag in einer Aussendung.

987 BeanstandungenAm Sonntag hatte die Finanzpolizei wie berichtet mitgeteilt, dass nach der Razzia beim Amazon-Verteilzentrum in Großebersdorf in Niederösterreich 987 Beanstandungen erfolgten. Darunter finden sich bei Amazon-Dienstleistern Schwarzarbeit und Abgabenhinterziehung. "Ich kann mich an keine Kontrolle erinnern, bei der wir auf derartig viele Gesetzesübertretungen gestoßen sind", hieß es am Sonntag vom Leiter der Finanzpolizei, Wilfried Lehner.

"System der Umgehung"

"Diese Reihe an Verstößen zeigt eines eindeutig: Amazon und alle anderen Paketdienstleister müssen Auftraggeber-Haftung übernehmen anstatt ihre Subunternehmer auszubeuten", so Pokorny. Der SWV fordert in diesem Zusammenhang eine Ausweitung der Auftraggeberhaftung auf die Branche der Paketdienstleister.

"Klar ist, dass die unternehmerische Verantwortung nicht bei der Laderampe endet, das betrifft auch die korrekte Geschäftstätigkeit von Partnern und Lieferanten", erklärte Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) am Sonntag. "Wir gehen vehement gegen systemische Versuche vor, die darauf abzielen den fairen Wettbewerb auszuhebeln." Ein Kontrolldruck solle zu einem Umdenken führen und den heimischen Handel schützen.

"Offenbar hat sich im Bereich der privaten Paketzustellung ein System der Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Bestimmungen entwickelt", kritisierte GPA-Chefin Barbara Teiber. "So sehr die aktuelle behördliche Prüfung zu begrüßen ist, geht es nun darum, diese Machenschaften dauerhaft zu beenden. Dabei ist der Konzern Amazon genauso in die Pflicht zu nehmen wie die Subunternehmen und die staatlichen Behörden." Es gehe nicht, die Verantwortung auf die Arbeitnehmer abzuwälzen.

133 Dienstleister kontrolliert

Die kontrollierten Firmen stellen für Amazon im Großraum Wien Sendungen zu. 60 Finanzpolizisten kontrollierten 133 Amazon-Dienstleister – darunter 96 Subfirmen und weitere 24 Sub-Subfirmen – und 2.416 Dienstnehmer. Direkte Vertragspartner unterhält Amazon Österreich nur 13. Das ergab "die Entwirrung des Geflechts aus Unternehmen, Sub- und weiterer Sub-Sub-Unternehmen bisher", so das Finanzministerium.

Insgesamt wurden 76.605 Datensätze ausgewertet. 1.188 der kontrollierten Personen waren EU-Bürgerinnen und Bürger, 1.228 Drittstaatsangehörige. 687 waren teilzeitbeschäftigt, 237 als geringfügig beschäftigt gemeldet.

Konkret stellte die Finanzpolizei 468 Übertretungen nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, 144 Übertretungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz, zwölf Übertretungen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, drei Übertretungen nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz sowie eine Übertretung der Gewerbeordnung fest. Die Behörde beantragte Strafen in der Höhe von fast 770.000 Euro, rund 325.000 Euro Forderungspfändungen und stellte gut 88.000 Euro sicher.

Sozialleistungsbetrug

Darüber hinaus wurde in 96 Fällen Sozialleistungsbetrug zur Anzeige gebracht. Weiters ergingen 195 Kontrollmeldungen ans Arbeitsmarktservice (AMS), 68 Kontrollmeldungen an die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) sowie 18 Anregungen auf Durchführung von Betriebsprüfungen.

Von den insgesamt 350 im Umfeld der Amazon-Dienstleister überprüften Asylberechtigten bzw. subsidiär Schutzberechtigten wurde bei 93 Personen eine Überschneidung aus dem Leistungsbezug der Grundversorgung und ihrer Tätigkeit im Amazon-Umfeld festgestellt.

Diese 93 Personen wurden als Verdachtsfälle dem Bundesministerium für Inneres (BMI) gemeldet. Vom AMS wurden für Wien 163.773 Euro und für Niederösterreich 21.989 Euro an zu Unrecht bezogenen Transferleistungen (Arbeitslosengeld und Notstandshilfe) rückgemeldet. (APA, 18.1.2021)