Nicht nur zeitlich erinnerte die Verkündung des verlängerten Lockdowns für die Republik an ein Hochamt: Fast drei Stunden lang predigten am Sonntag die Regierungsspitzen über die gefährliche Infektionslage und die sich daraus ableitenden Verschärfungen – und das in seltener Eintracht, Schulter an Schulter mit einem schwarzen und einem roten Landeshauptmann. Damit nicht genug: Schon wenig später bekam Türkis-Grün für die bis 7. Februar anhaltende Absage an eine Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens auch noch den Sanktus von SPÖ und Neos.

Einmarsch in seltener Eintracht: Wiens Bürgermeister Ludwig, Kanzler Kurz, Steiermarks Landeshauptmann Schützenhöfer, Gesundheitsminister Anschober.
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Strebt Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach oftmaligen Alleingängen in der Krise nun den parteiübergreifenden Konsens an? Für den Politikberater Thomas Hofer war die mangelnde Einbindung anderer Kräfte zur Bewältigung der Pandemie "von Anfang an ein Konstruktionsfehler. Spät, aber doch" sei dieser nun behoben worden. Doch wie lange wird der Zusammenhalt bestehen? Und was hat Kurz zum Umdenken gebracht?

Klar ist: Der Lockdown zehrt inzwischen selbst an all jenen, die seine Verlängerung für absolut richtig halten. Die Last der Entscheidung auf mehrere Schultern zu verteilen ist aus Sicht von Kurz schon allein strategisch klug. Die Frage ist vielmehr: Wieso machen die Roten da mit, nachdem sie monatelang "Wien-Bashing" und Informationen in letzter Minute beklagt hatten?

Rote Bedenken

In der SPÖ gibt es zwei Erzählarten. Die offizielle Position ist, dass sich die Sozialdemokratie selbstverständlich einbringe, wenn man sie lässt. Seit Anfang Dezember kontaktiere der Kanzler Parteichefin Pamela Rendi-Wagner regelmäßig. Die beiden würden nun mindestens wöchentlich telefonieren. Die neue Teststrategie habe die Regierung bereits gemeinsam mit der SPÖ ausgearbeitet, und das sei gut so. "In der Jahrhundertkrise ist kein Platz für Parteipolitik", heißt es aus dem Büro von Rendi-Wagner.

Andere Rote sehen das anders: "Die Bundespartei macht einen taktischen Fehler", hört man aus Wien. "Der Bundesregierung galoppiert die öffentliche Stimmung davon, jetzt braucht sie einen Blitzableiter, und wir lassen uns instrumentalisieren."

Noch eine Erzählung besagt, dass die Landeshauptleute schon eine Woche vor der Lockdown-Krisensitzung am Freitagabend ohnehin von ihrem Vorsitzenden, dem Steirer Hermann Schützenhöfer (ÖVP), die Einladung für eine Zusammenkunft erhielten, in der man sich untereinander etwa zu den hektisch anlaufenden Impfaktionen austauschen wollte. Geworden ist daraus dann eine mehrstündige Abstimmungssitzung auch mit Kanzler Kurz, in der um Skigebiete, Hotellerie und Co gerungen wurde.

Überfällige Einbindung

Ebenso ist zu vernehmen, dass es neben Schützenhöfers Initiative vor allem die roten Länderchefs waren, die darauf gedrängt haben, dass die Landeshauptleute zu den am Samstagvormittag anstehenden Expertengesprächen zugeschaltet werden.

Aus den Reihen der Neos wird wiederum bestätigt, dass man am Samstag über die anstehenden Verschärfungen informiert wurde. "Man redet mit uns", heißt es dort, und: "Das war längst an der Zeit."

Trotz einhelliger Präsentation am Sonntag ortet Politberater Hofer aber einige Schwächen bei der Glaubwürdigkeit der Botschaften: So stellte Kurz "eine vollkommene Normalität bis zum Sommer" in Aussicht – was nicht nur epidemiologisch, sondern auch angesichts der bevorstehenden ökonomischen Auswirkungen äußerst gewagt sei (siehe Infobox). Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) wiederum konstatierte: "Es wird wärmer – das gefällt dem Virus nicht." Auch das hält einer genauen wissenschaftlichen Überprüfung so nicht stand.

Auf mehreren Seiten konstatiert Hofer zudem eine "Abstimmungskatastrophe": Das gelte zum einen für Kurz und seinen Unterrichtsminister Heinz Faßmann, der wenige Tage vor dem verlängerten Lockdown noch eine Öffnung der Schulen im Schichtbetrieb mit 25. Jänner in Aussicht stellte.

Ebenfalls in Erklärungsnotstand geriet Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, weil sein Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (beide SPÖ) über Kurier und Krone wissen ließ, dass "Kanzler und Minister hysterisch" wären und es für die Bundeshauptstadt überhaupt "keinen Lockdown" brauche. Hofer: "Hacker gilt zwar wegen der reibungslosen Massentests und der Grippe- und Corona-Impfaktionen als Machertschek", aber: "So etwas darf einfach nicht passieren." (Katharina Mittelstaedt, Nina Weißensteiner, 18.1.2021)