In Österreich gilt das Amtsgeheimnis. Das soll sich ändern.

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Wien – Plötzlich hätte es ganz schnell gehen sollen: Nachdem an der Abschaffung des Amtsgeheimnisses in Österreich jahrelang ohne Ergebnis herumverhandelt worden war, wollte Türkis-Grün das Projekt wirklich dringend angehen – so jedenfalls die Beteuerungen. Ursprünglich war ein erster Entwurf für "vor dem Sommer" 2020 angekündigt worden, im Juni drängten die Grünen darauf, dass das neu geschaffene Informationsfreiheitsgesetz mit 1. Jänner 2021 in Kraft treten solle. Im Juli erklärte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), der Gesetzesentwurf solle in den Tagen darauf in Begutachtung gehen.

Nichts von alldem ist seitdem passiert. Es gibt keinen Entwurf. Die Corona-Krise habe den Prozess natürlich verlangsamt, heißt es von den Verantwortlichen. Und weil der Fokus im Herbst auf dem Hass-im-Netz-Paket der Regierung lag und dasselbe Team beide Materien verhandelt, sei in dieser Zeit eben auch nichts weitergegangen. Erst im Dezember seien die Gespräche langsam wieder angelaufen.

Es könnte noch dauern

Mittlerweile will auch keiner der Beteiligten mehr ein Zieldatum nennen: Wenn das Informationsfreiheitsgesetz fertig ist, ist es fertig. Und es könnte noch dauern, wie Recherchen des STANDARD zeigen.

Denn mit der Streichung des Paragraphen zur Amtsverschwiegenheit im Gesetz ist es nicht getan. Juristisch gibt es einige Details zu klären, der Verfassungsdienst ist eingebunden. Vor allem politisch hakt es an einigen Stellen.

Länder reden mit

Viel Grundsätzliches ist aber bereits geregelt. Ein Gesetzesentwurf der damals rot-schwarzen Bundesregierung aus dem Jahr 2015 dient teilweise als bereits sauber ausgearbeitete Vorlage. Und das Kapitel zur Informationsfreiheit im türkis-grünen Regierungsprogramm gehört zu den umfangreichsten im gesamten Pakt. Sämtliche Ausnahmeregelungen, technische Details und Zuständigkeiten sind also bereits ausverhandelt.

Diese Einigkeit betrifft aber nur die beiden Regierungsparteien. Für ein funktionierendes Informationsfreiheitsgesetz müssen aber auch die Länder ihre Gesetze adaptieren – und da dürfte es schon weniger Eintracht geben. Seit einigen Wochen gebe es Gespräche mit Vertretern der jeweiligen Bundesländer, um Wünsche und rote Linien abzufragen.

Gemeinden fürchten Arbeitsaufwand

Darüber hinaus sind die Gemeinden ein Player, den naturgemäß die ÖVP besonders im Auge hat – schließlich sind die meisten Ortschefs schwarz oder türkis. Die Kommunen fürchten einen überbordenden Verwaltungsaufwand in den Rathäusern. "Ein neues Informationsfreiheitsgesetz darf keinesfalls (noch) mehr Aufwand verursachen", heißt es vom Gemeindebund.

Man befinde sich ohnehin schon ständig im Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Transparenzpflichten; müsse dann auch öfter eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz geprüft werden, bringe das die Gemeinden an ihre Grenzen, so die Argumentation.

Kommunale Unternehmen im Fokus

Dazu kommt ein nicht unwesentliches Detail des türkis-grünen Transparenzvorhabens: Die Informationspflicht soll auch Unternehmen betreffen, die sich zu mehr als 50 Prozent im Eigentum der öffentlichen Hand befinden – das betrifft auch Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern. Das könnte dann unangenehm werden, wenn eine Gemeinde etwa ihre Kläranlage in ein Unternehmen ausgelagert hat, das nun plötzlich mit Bürgeranfragen konfrontiert ist und Bescheide ausstellen muss.

Die Position des Gemeindebunds: Kommunale Unternehmen dürfen bei Geschäftsgeheimnissen gegenüber privaten Firmen nicht schlechtergestellt sein.

Streitfrage automatischer Bescheid

Und dann gibt es immer noch einige Details, die sich die Türkisen und die Grünen noch ausstreiten müssen: etwa die Frage der Bescheide. Die Grünen wollen, so ist aus Verhandlerkreisen zu hören, einen Automatismus: Wer keine Antwort auf sein Informationsbegehren bekommt, soll unaufgefordert einen Bescheid erhalten, der dann angefochten werden kann. Die Volkspartei ist demnach skeptisch und will ein Bürokratiemonster verhindern.

An solchen Fragen, da sind sich alle Beteiligten sicher, wird die Informationsfreiheit nicht scheitern. Es handelt sich um ein Prestigeprojekt der Grünen, das diese auch als deren Erfolg in den Regierungsverhandlungen verkaufen. Manche im grünen Team hatten gegen Ende des Vorjahres den Eindruck, dass beim türkisen Gegenüber der Wille zum Tempo fehle, da sei es mitunter zu Verstimmungen gekommen. Die hätten sich nun aber gelegt.

Edtstadler beteuert Bedeutung der Idee

Die ÖVP-Seite will nicht als Blockierer dastehen. Ihre Argumentation: Gerade weil die Informationsfreiheit auch der Volkspartei wichtig ist, lässt man sich Zeit für ein ordentliches Gesetz. "Aufgrund der Bedeutung dieses Vorhabens ebenso wie aufgrund des Umfangs ist es aus unserer Sicht wesentlich, alle Betroffenen in den Prozess einzubinden", lässt Verfassungsministerin Edtstadler dem STANDARD ausrichten. Das Anliegen sei auch ihr als Ministerin wichtig.

Ende Jänner soll die reguläre Verhandlungsrunde nach den Gesprächen mit den Ländern jedenfalls wieder zusammentreten. Wie oft das noch notwendig sein wird, ist unklar – und damit bleibt auch ungewiss, wann das Amtsgeheimnis in Österreich nun durch die Informationsfreiheit ersetzt werden soll.

Nach der Einigung ist vor der Einigung

Denn das Vorhaben ist noch nicht beendet, wenn sich die Bundesregierung auf einen Gesetzesentwurf geeinigt hat: Für die Verfassungsänderung braucht Türkis-Grün im Parlament nämlich noch eine der beiden größeren Oppositionsparteien. Es wird wohl eher die SPÖ als die FPÖ mitstimmen. Aber dass die Sozialdemokraten ihre Stimmen ohne weitere Zugeständnisse abgeben, ist auch unwahrscheinlich.

Schlussendlich ist auch allen Beteiligten klar, dass die Umstellung nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Juristen gehen von einer Legisvakanz, also einer Übergangsphase, von mindestens einem Jahr aus. Die aktuelle Legislaturperiode dauert bis 2024 – allzu lange darf sich die Koalition also nicht mehr Zeit lassen, wenn das Prestigeprojekt noch während ihrer Regierungszeit umgesetzt werden soll. (Sebastian Fellner, 23.1.2020)