Kein Zweifel, bei der Demo gegen Corona-Maßnahmen am Samstag in Wien waren unter den rund 10.000 Teilnehmern jede Menge radikale Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Rechtsextremisten ("Identitäre") und Neonazis – zum Teil herbeigekarrt aus Deutschland.

Und dann war auch jene Dame, die mich am Montag angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass sie mitsamt Mann und drei Kindern mitdemonstrieren war, weil sie der Lockdown verzweifelt macht. Das insgesamt einstündige Gespräch begann mit Vorwürfen gegen die Regierung, gegen "die Medien", mit Versicherungen, dass sie ganz bestimmt "keine Rechte" sei, auch keine "Corona-Leugnerin", dass sie aber etliche der Maßnahmen anzweifle – und, so heißt es in einer nachher geschickten Mail: "Niemals in der II. Republik sind in Österreich so viele Menschen auf die Straße gegangen, um ihren Unmut mit einer Regierung zum Ausdruck zu bringen, wie in diesen Tagen. Bitte zollen Sie dieser Willensbekundung des Volkes den Respekt, den sie verdient, denn es sind keine Berufsdemonstranten, sondern repräsentieren – ausgenommen einige wenige rechtsextreme Mitläufer, welche diese Strömungen für sich ausnutzen wollen – den Durchschnitt der österreichischen Bevölkerung, die sich von den von ihr legitimierten Vertretern nicht gehört fühlt."

Demo gegen Corona-Maßnahmen am Samstag in Wien.
Foto: imago/SKATA

Aber es kam im Laufe des Gesprächs immer deutlicher heraus, dass Frau Karin B. objektiv von den Einschränkungen des Lockdowns schwer belastet ist – mit drei Kindern und einer pflegebedürftigen Mutter. Und so ergeht es vielen – besonders Frauen mit Kindern. Der Vizerektor der Med-Uni Wien, Oswald Wagner, löste einen Shitstorm aus, als er in der Experten-Pressekonferenz meinte, ein verpflichtendes Homeoffice habe den Vorteil, dass weniger Kinder in Schulen und Kindergärten gehen müssten, weil sie von ihren zu Hause arbeitenden Eltern betreut werden könnten (er entschuldigte sich).

Restriktionen

Eine andere Leserin, Mag. Ilse S., ist um drastische Worte nicht verlegen: "Schön langsam frage ich mich, wer den Verstand verloren hat. Die Bürger, die sich gegen die Restriktionen und noch und noch mehr Beschränkungen auflehnen, oder Sie persönlich, die uns alle – wie viele Politiker auch – Angst einjagen wollen? Wo ist die Rede von den Single-Haushalten, die psychische Probleme wegen der Vereinsamung haben?"

Es ist die Rede davon, auch in dieser Zeitung; und über die zwangsläufigen Folgen zu berichten, wenn die Pandemie nicht aufgehalten werden kann, ist kein "Angsteinjagen". Aber es ist nicht zu leugnen, dass die nun schon fast ein Jahr anhaltendende Pandemie, aber auch das Hü und Hott bei ihrer Bekämpfung eine tiefe Verunsicherung bei nicht wenigen Mitbürgern auslösen, und da besonders stark bei den Frauen, auf denen die Last der Alltagsbewältigung liegt. Es ist immer noch nur schwer nachvollziehbar, wenn sich "normale Leute" gemeinsam mit üblen Demagogen und traurigen, diskreditierten Existenzen wie H.-C. Strache auf eine Massenveranstaltung begeben, noch dazu ohne Masken. Doch anscheinend ist bei vielen der Wunsch stärker, den Protest da anzubringen, wo er eben stattfindet.

Ein Phänomen, auf das wahrscheinlich sowohl die Regierung als auch die Medien bisher zu wenig geachtet haben. (Hans Rauscher, 19.1.2021)