LPD-Einsatzleiter G. B. fällt durch ein freundschaftliches Verhältnis zu Demoorganisatoren auf. Sie bezeichnen ihn als "einen von den Guten".

Foto: Presse Service Wien

In internen Nachrichtengruppen der "Querdenker"-Szene wurden vor der Corona-Demo am Samstag in Wien radikale Pläne gewälzt. Das zeigen Sprach- und Chatnachrichten, die vom antifaschistischen Presseservice Wien veröffentlicht wurden. Überlegt wurde, die Demo mehrere Tage lang laufen zu lassen; von Reihen der "Hardliner" sei eine "Übernahme des Parlaments" angedacht worden.

"Ich hoffe, dass wir wirklich viele sind und uns nicht mehr heimschicken lassen", schrieb der Corona-Verharmloser Gottfried H., der am Tag nach der Demo "die zweite Welle" an Menschen "einberufen" wollte. "Schauen wir mal, wie weit die Bevölkerung ist", antwortete Mitorganisator Hannes B. im internen Telegram-Chat.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) warnte schon vor Wochen vor dem staatsgefährdenden Potenzial der Corona-Skeptiker. Teils wurden Demos untersagt, weil amtsbekannte Personen sie angemeldet hatten. Deshalb griff die Szene für die Aktionen vom vergangenen Samstag beim Anmelden der Demos auf bislang unbescholtene Personen zurück. Eine davon zeigte sich danach von den Umsturzplänen und dem Aufmarsch von Neonazis und anderen Rechtsextremen entsetzt. "Das alles auf meinen Namen! Ich hab Kinder!", beschwerte sie sich in internen Chats. Fotos zeigen, dass am Samstag amtsbekannte, gewaltbereite Hooligans an der Demo teilnahmen. Mitgeführt wurden Messer, Pfefferspray und Handschellen. Einige trugen verstärkte Schlaghandschuhe, Tarnanzüge oder paramilitärische Abzeichen.

"Lage kann schnell kippen"

"Es ist eine "gefährliche Zeit, in der die Lage schnell kippen kann", warnt man beim Staatsschutz auf Nachfrage des STANDARD. "Fantasien von der Machtübernahme haben extremistische Gruppen immer im Keller geschmiedet. Aber jetzt kann es auch zur Umsetzung kommen." Die Krise durch die Pandemie betreffe die ganze Bevölkerung, was diese Gruppierungen bewusst ausnützten. "Das haben sie schon in der Flüchtlingskrise 2015 probiert, aber wenn die Masse zu groß wird, muss man das sehr ernst nehmen", warnt man bei den Staatsschützern.

So würden Corona-Verharmloser laut BVT-Lagebericht auch Demonstrationen gegen den ORF planen, berichtet der "Kurier". Kundgebungen vor der ORF-Zentrale in Wien und vor den Landesstudios seien demnach an den nächsten Wochenenden geplant. Mitarbeiter sollen dabei "friedlich, aber lautstark mit sehr vielen Unannehmlichkeiten" am Betreten ihrer Arbeitsstätte behindert werden.

Einsatzleiter wird geprüft

Der lasche Umgang der Beamten mit den mehr als 10.000 Corona-Verharmlosern, die großteils ohne Maske unterwegs waren, sorgt seit Samstag indes für anhaltende Kritik an der Wiener Polizei. Die zeigte sich schon einsichtig, eine Evaluierung läuft. So wurde etwa ein Fotograf mehrfach von Demonstranten attackiert und von anwesenden Polizisten zwar beschützt, diese nahmen jedoch keine Personalien der Angreifer auf.

Geprüft wird nun aber nicht nur die Einsatzstrategie, sondern auch, ob manche Beamte zu sehr mit der Szene sympathisieren. So scheint einer der Einsatzleiter, G. B., seit Monaten einen freundschaftlichen Umgang mit Demo-Organisatoren, deren Ordnern und Teilnehmern zu pflegen. Fotos zeigen, wie er wiederholt mit ihnen einen kollegialen "Fauststoß" austauscht. Darunter auch private Demo-Ordner, die offensichtlich mit Handschellen und Pfefferspray ausgestattet sind. Dem STANDARD liegen weitere Fotos vor, die zeigen, dass B. auf mehreren Demos in seiner Funktion als Einsatzleiter Zeitschriften eines vermummten Teilnehmers annahm. Dies geschah auch einmal am Rande einer Kundgebung der rechtsextremen Identitären.

"Die einzige Waffe von Realitätsverweigerern ist und bleibt es, andere als Verschwörungstheoretiker zu bezeichnen": Das ist kein Motto der "Querdenker"-Demos, sondern findet sich auf dem Facebook-Profil des besagten Einsatzleiters. Auf Youtube folgt er verschiedenen Videokanälen, in denen abstruse Mythen über Corona verbreitet werden.

Der Sachverhalt werde nun überprüft, heißt es dazu aus dem Innenministerium und der LPD Wien. Von den "Szenegrößen" wird der Einsatzleiter gefeiert. "Ein Polizist – verständnisvoll und tolerant", heißt es auf Facebook. "Einer der besten, an unserer Seite", kommentiert ein Corona-Leugner, der in sozialen Medien auch davon schreibt, "so lange auf die Straße" zu gehen, "bis wir sie wiederhaben".

Keine Quarantäne für AfD

Beim Staatsschutz kennt man "die generelle Taktik der Rechten, sich bei der Polizei nach Demos zu bedanken. Die Polizisten werden hofiert." Besonders gefährlich werde es, wenn "Polizisten aufgerufen werden, Widerstand zu üben". Und genau das passiert derzeit.

Auch andernorts wird die Verantwortung der Polizei eingefordert. Dass der deutsche Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller (AfD) die Quarantänevorschriften vor seiner Teilnahme an der Demo am Samstag in Wien nicht eingehalten hat, dürfte nämlich feststehen, twitterte er doch zwei Tage zuvor noch aus dem Bundestag in Berlin. Doch Innenministeriumssprecher Harald Sörös sieht hier die Gesundheitsbehörde in der Verantwortung. "Wir sind das einzige Bundesland ohne Außengrenze", heißt es aus dem Büro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ), "an der Grenze stehen Menschen in Uniformen, nicht in weißen Kitteln". Womit der Ball wieder bei der Polizei ist. (Laurin Lorenz, Johannes Pucher, Colette M. Schmidt, Fabian Schmid, 19.1.2020)