Chinas Wirtschaft ist zuletzt zwar gewachsen, in bestimmten Bereichen hinkt sie anderen Ländern aber hinterher.

Foto: Imago

China, könnte man meinen, ist gerade dabei, sich von der Weltwirtschaft unabhängig zu machen. Auch im Pandemiejahr 2020 hat China für Superlative gesorgt: Zum einen ist die Volksrepublik die einzige große Volkswirtschaft, die 2020 gewachsen ist. Die Erwartungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) von 1,9 Prozent hat Peking mit 2,2 Prozent sogar übertroffen.

Das scheint gut in das Konzept des "Decoupling", der Entflechtung, zu passen, die China anstrebt. Verkauft wird dieses Decoupling gerne als Antwort auf den Handelskrieg, den US-Präsident Donald Trump begonnen hat. Tatsächlich aber ist Pekings Plan älter.

Schon seit rund 15 Jahren bemüht man sich, Schlüsseltechnologien wie Luftfahrt-, Automobil- und Halbleiterindustrie fest in nationaler Hand zu halten.

Getrennte Wege

Das Berliner Mercator-Institut für China-Studien (Merics) hat in seinem Bericht "Decoupling – Getrennte Wege und Patchwork-Globalisierung" deswegen europäische Unternehmen gewarnt: Man müsse sich auf das Schlimmste vorbereiten – und das, obwohl man in Brüssel gerade versucht, ein umstrittenes Handelsabkommen durch das EU-Parlament zu bringen. Es soll europäischen Unternehmen einen besseren Marktzugang gewährleisten. Das Abkommen wird nicht nur von Menschenrechtlern kritisiert – auch Wirtschaftsverbände beschweren sich weniger über den Inhalt als über die Tatsache, dass sie diesen kaum kennen.

Der Merics-Bericht weist vor allem auf weniger offensichtliche Aspekte des Decoupling hin: So arbeite Peking in den erwähnten Schlüsseltechnologien an eigenen Standards. Für europäische Unternehmen könne es extrem teuer werden, sich auf zwei Standards einstellen zu müssen. Probleme bereiten zunehmend auch Datenbarrieren. Das chinesische Internet ist bereits weitgehend vom Rest der Welt abgekoppelt, dies hat zunehmend auch Einfluss auf ausländische Unternehmen in China.

Problem mit Lieferketten

Und schließlich erwähnt der Bericht ein wachsendes Lieferketten-Risiko. Dabei geht es nicht nur darum, ob ein Unternehmen Baumwolle aus einem Arbeitslager in Xinjiang bezieht, sondern auch, ob zum Beispiel ein Zulieferer aus dem Halbleiterbereich nicht auf einer schwarzen Liste Washingtons steht.

Für Peking scheint der Zeitpunkt günstiger denn je, sich vom Westen unabhängiger zu machen. Blickt man allerdings etwas genauer auf den chinesischen Superlativ, verliert dieser an Glanz. Zwei Prozent Wachstum klingen zwar großartig, für ein Land wie China aber ist das eigentlich zu wenig.

Armut ausgerottet?

Zwar hat Präsident Xi Jinping ebenfalls 2020 verkündet, die Armut sei in China nun erstmalig ausgerottet. Das aber täuscht nur darüber hinweg, dass die Einkommensunterschiede zwischen den reichen Städten an der Ostküste und dem Inland noch immer gewaltig sind, und nicht kleiner werden. Zwischen vier und fünf Prozent Wachstum braucht China, um genug Arbeitsplätze für die Millionen Wanderarbeiter einerseits und die jedes Jahr auf den Markt drängenden Uni-Absolventen andererseits zu schaffen. Ansonsten droht das, was die kommunistische Partei am allermeisten fürchtet: Instabilität. Der Lockdown Anfang des Jahres traf bisher vor allem die unteren Einkommensschichten.

Die Führung in Peking ist sich darüber im Klaren, dass die Zukunft des Landes weder im Export noch in gigantischen Infrastrukturprojekten liegen kann. Vor allem Letztere erhöhen die Verschuldung, die stetig zunimmt und wie ein Damoklesschwert über dem chinesischen Wirtschaftswunder hängt. Nötig ist eine stärkere Ausrichtung der Wirtschaft auf den Binnenkonsum: Die Chinesen müssen mehr verdienen und mehr ausgeben. Das funktionierte in den vergangenen Jahren recht gut: Der Anteil des Konsums am chinesischen Bruttoinlandsprodukt wuchs stetig, während jener des Exports schrumpfte. Dafür hat China im vergangenen Jahr mehr Stahl produziert als je ein Land zuvor.

Weniger Produktivität

Auch die Produktivität ist geschrumpft: Laut einem Bericht des Internationalen Währungsfonds nahm diese 2020 ab. Die chinesische Wirtschaft ist demnach nur zu 30 Prozent so produktiv wie jene der USA, Japans oder Deutschlands. (Philipp Mattheis, 20.1.2021)